Wem nützt die bargeldlose Wirtschaft?
Prinzipiell ist Geld eine zivilisatorische Errungenschaft, weil sie Tauschgeschäfte in der Wirtschaft vereinfacht und einen einheitlichen Wertmaßstab liefert. Aber das haben nicht alle Politiker begriffen, so daß Geld in der Geschichte immer wieder dämonisiert und verboten wurde.
Derzeit ist von einem Verbot von Bargeld die Rede. In Schweden geben die ersten Banken kein Geld mehr an ihre Kunden. Das Entgelt für alle Transaktionen soll überwiesen werden. Ähnliche Zustände in Italien. Um etwas zu kaufen muß der Kunde eine Kreditkarte und ein Konto haben oder ein Überweisungsformular ausfüllen. Der Händler muß ein Kartenterminal und eine Datenverbindung vorhalten. Nutznießer ist die Bank, weil auf jede Transaktion eine Transaktionsgebühr anfällt. Der Staat verspricht sich die Zurückdrängung der Schwarzarbeit und der Kriminalität sowie mehr Steuereinnahmen davon.
Die Auswirkungen dieses Geldexperiments sind jedoch komplexer. Längere Schlangen an den Supermarktkassen gehören noch zu den banalsten Nebenwirkungen. Ein Geldverbot kann eine ganze Wirtschaft auf den Kopf stellen.
Die Bewohner der neuen Länder haben damit 40 Jahre Erfahrung. Es gab zwar ein Quasi-Geld, das von den Einwohnern als Alu-Chips bezeichnet wurde. Doch damit konnte man nur eine begrenzte Auswahl an Artikeln einkaufen. Auch hatte es keine Wertaufbewahrungsfunktion. Viele lebenswichtige Dinge gab es dafür nicht. Die Folge waren Parallelwährungen und Leistungstausch bis zum Leistungskarussell.
Die wichtigste Nebenwährung waren die sogenannten blauen Fliesen. Das war der Codename für D-Mark. Der Kurs schwankte von 1:7 bis 1:15. Bei einem Monatsnettoverdienst von etwa 700 Ostmark waren das 50 bis 100 DM, die man dafür eintauschen konnte. Für die meisten Leute war diese Nebenwährung viel zu teuer. Sonst wäre sie die Hauptwährung geworden.
Darum spielte der Leistungstausch bzw. der Gütertausch eine beherrschende Rolle. Nicht nur die Privatleute machten das, sondern auch die staatlichen, genossenschaftlichen und privaten Betriebe untereinander. Ein Baubetrieb beispielsweise baute für den Holzhandel eine Unterstellhalle und bekam Bauholz dafür. Dem Forstbetrieb wurde ein Eigenheim gebaut und wiederum gab es Holz. Mit einem Teil des Holzes wurden Fliesen und andere Baumaterialien getauscht. Für die Baugenehmigung der Unterstellhalle gab es einen Hänger Bauholz für die Bauaufsicht. Ein anderer Bauaufsichtler bekam die Garage gefliest – mit Fliesen, die gegen Bauholz getauscht worden waren. Zweimal im Jahr wurde eine Brigade ins Steinzeugwerk geschickt, um dort zu helfen. Als Gegenleistung gab es zwei Waggons mit Steinzeugrohren. Die Kreisarchitektin bekam von der Lieferung was ab. So bildeten sich nicht nur banale bilaterale Tauschvorgänge, sondern auch nützliche Tauschringe, die über Jahrzehnte stabil funktionierten und alles irgendwie am Laufen hielten. Nicht wirklich paßgenau allerdings. Es mußte vieles passend gemacht werden…
Als ich einmal Bauholz brauchte, mußte ich in einen Betrieb mit Sägewerk wechseln. Vor dem Betrieb stand ein Schild: „Sägen von Holz: Nachfrage zwecklos“. Ich ging rein und fragte den Betriebsleiter, ob die Nachfrage auch zwecklos sei, wenn ich bei ihm arbeiten würde. Er sah mich an und sagte: „Gib her, den Sägezettel“ und stempelte ihn ab. Danach hatte ich einen neuen Arbeitsplatz und mein Holz wurde gesägt.
Leistungs- und Gütertausch geht noch sicherer als ein Bargeschäft an den Finanzbehörden vorbei. Die Behörden merken nur etwas davon, wenn sie bestochen werden. Höhere Steuereinnahmen durch Bargeldverbot sind deshalb eine fata morgana. Deutschland ist auf ein Bargeldverbot sehr gut vorbereitet. Viele Einwohner der neuen Länder beherrschen das Metier des Leistungskarussells im Schlaf. Leider sind es inzwischen ältere Damen und Herren. Aber von denen kann man alles lernen.
Nun werden viele Leser einwenden, daß man mit dem Euro ja noch alles kaufen kann. Das ist zunächst richtig. Es gibt jedoch in der unteren Etage des Dienstleistungsbereichs viele Leute, die nur auf Trinkgeldbasis arbeiten. Die keine Rechnung stellen wollen oder können. Das werden die ersten sein, die ihr Geld in ausländischen Devisen verlangen werden, wenn Bargeld verboten wird. Prostituierte, Haushaltsauflöser, Kleinkriminelle, Hausmeister, Nagelpimper, Babysitter, Asylanten und Raumpflegerinnen werden hurtig aus dem Euro flüchten. Mit Transaktionen in anderen Währungen wird der Euro geschwächt. Landeswährungen, die irgendetwas nicht können, verlieren schnell ihre Akzeptanz. Das kann man in Argentinien, Venezuela, Kuba und Simbabwe gut studieren, auch an der untergegangenen DDR. Es gibt kein besseres Mittel eine Währung zu ruinieren, als dem Geld irgendwelche Funktionen zu nehmen. Tauschmittel, Wertmaßstab und Wertaufbewahrung sind die drei Geldfunktionen. Wenn eine davon entfällt, übernimmt eine andere funktionierende Währung das Kommando. Gutes Geld verdrängt schlechtes Geld. Wenn Devisen und Edelmetalle zusätzlich zum Bargeld verboten werden, übernimmt die Tauschwirtschaft. Dann haben wir das, was die Fiskalisten wollen: Subsistenzwirtschaft wie in Afrika.
Ja, wem nutzt nun die bargeldlose Wirtschaft? Die derzeitige Inflationswirtschaft nutzt immer denjenigen, die am nächsten an den Druckmaschinen hocken. Das sind die Banken und staatlichen Dienstleister. Eine Tauschwirtschaft dagegen bevorzugt diejenigen, die die begehrtesten Güter und Leistungen des Grundbedarfs anbieten. Geisteswissenschaftler, Bankiers und Kreativwirtschaftler sind in einem Tauschkarussell nur Sand im Getriebe. Kraftfahrer, Handwerker, Landwirte und Putzfrauen werden geschwind die kleinen Könige des Marktes. Und vielleicht auch die Freunde der Devisen und der Edelmetalle…