Gastbeitrag: Mach mal den Menasse
Neues vom Jahrmarkt der Lügen und Eitelkeiten
Nun ging das alte Jahr mit den Spiegelsachen zu Ende. Natürlich war das alles nur ein Einzelfall. Ein gewisser Klaas Relotius hatte ein wenig übertrieben, die Dinge, wie man so sagt, im Nachrichtenmagazin ein wenig zugespitzt. Nur böse Zungen können behaupten, er habe Dutzende von Geschichten frei erfunden oder gefälscht und sei von seinem Blatt, dem Spiegel, durch ungezählte weitere sog. Qualitätsjournalisten unterstützt worden, die sich rege bemühten hatten, dem Wort der Lügenpresse mehr Substanz (neudeutsch: Bäckgraund) zu verleihen. Immerhin hat der Volksmund bereits zugeschlagen. Ihm entschlüpfte reloutieren für das Erfinden und Fälschen von Pressestorys. Noch wehrt sich
mein Word-Rechtschreibprogramm gegen die Neuerung.
Doch kaum war die Sache im Kasten, betrat der nächste preisgesalbte Edle den Jahrmarkt der Unaufrichtigkeiten. Auch er schon länger unterwegs. Sein Name verdient festgehalten zu werden: Menasse. Dachte erst, es handele sich um einen schludrigen Verschreiber und tippte auf Neuigkeiten von der Heidelberger Liederhandschrift Corpus Manasse. Doch falsch. Es geht um ein Buch mit dem Titel Die Hauptstadt. Sein Autor Robert (nein, nicht der grüne Ex-Twitterer) ist ein semi-vergnüglicher Österreicher, der uns Deutschen die Leviten über unsere jüngere Vergangenheit liest, und alles im ganz großen Wurf der Hauptstadt Brüssel enden lässt. Heilserwartung und Erlösung. Einfach schön. Ein Epos.
Bei solchem Beginnen darf Auschwitz nicht fehlen. Auftritt Professor Walter Hallstein. Wer erinnert sich schon groß an den? Erster Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die EWG, das war jene obskure Vereinigung, die, unter verdecktem Vorsitz der CIA Anfang der 1950-er Jahre gegründet, den schwächelnden westeuropäischen Kriegsgewinnern beim weiteren Abzocken von Deutschland behilflich sein sollte. Einzelheiten dazu lese man – ich liebe nun mal Selbstzitate – in meinem Unterwegs zu Weltherrschaft, Band 3, nach. Auch Beuteland von Bruno Bandulet kann ich sehr empfehlen. Dass die Summe der EWG-Abzocke nicht ausschließlich negativ aus-, sondern auch für Deutschland was abfiel, war verschlagenen Leuten wie Konrad Adenauer und seinem Knappen Hallstein zu verdanken.
Doch von solchen Winkelzügen handelt das Hauptstadt-Buch von Menasse eher weniger. Dafür lobt er Hallstein auf andere Weise. Er schildert dessen Auftritt in Auschwitz, wo er in missionarischer Weise am Ort deutscher Schuld die Segnungen der heutigen Europäischen Union hellsichtig besingt – wenn auch nur als Redner. Hallstein in Auschwitz?
Das ist natürlich nur unter der Prämisse Auschwitz ist überall zutreffend. Wer sich – unbegreiflicher Weise – auf die Geographie-Grundkenntnisse seiner Schulzeit stützt, der wird sagen: Auschwitz liegt im heutigen Polen, und es lag, als Hallstein dort angeblich redete, auch schon in Polen, zudem lag es in jenen Tagen im Ostblock. Ein westdeutscher Spitzenmann hält im Ostblock zu solcher Hoch-Zeit des Kalten Krieges eine sozusagen grenzenlose europäische Grundsatzrede? Eher nicht. Sie hätte ihm die Verhaftung durch die polnische Staatssicherheit eingetragen. Dort gab es genügend viele, die sehr gut deutsch verstanden, wie etwa ein gewisser Hauptmann Marcelli Reich, der später in Westdeutschland als Marcel Reich-Ranicki recht bekannt wurde. Doch auch davon ist in Sachen Hallstein nichts bekannt. Übrigens auch nicht vom Inhalt der Rede, so wie Menasse sie glaubte zitieren zu dürfen.
Ist halt nur ein Roman. Lügen im Roman sind üblich: August Bürger schrieb genau solche in einem überaus erfolgreichen Buch zusammen, das erstmals 1786 erschien, und zwar unter dem Titel „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande. Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt.“ Die Deutschen liebten dieses Buch und seine Lügen. Es hat ungezählte Nachdichtungen erfahren.
Man sieht also: im Roman geht alles, und alles ist irgendwie Geschmacksache. Auschwitz als Ort für eine Geschichtslüge finde ich allerdings geschmacklos. Für diese Ansicht bedarf ich nicht einmal der Beihilfe durch das Strafgesetzbuch, das bekanntlich die sog. Auschwitzlüge unter Strafe stellt.
Hier ist mein Vorschlag für den nächsten, sicher ebenfalls preiszukrönenden Roman „Widerstand“ des Ostmärkers Menasse: Man schrieb den 15. März 1938. Der Heldenplatz in Wien war schwarz von Menschen. Sie brüllten „Rotfront“, bis Teddy Thälmann endlich ans Mikrophon trat.
„Als der Führer der KPD und Kanzler der deutschen Nation und des Reichs melde ich nunmehr vor der Geschichte den Eintritt des befreiten Österreichs in die internationale arxistisch-leninistisch-stalinistische Gemeinschaft freier Völker.“
So tönte es über den Platz, und die Leute johlten vor antifaschistischer Begeisterung.
Soweit mein Vorschlag. Er würde sicher helfen, den an diesem Tage angeblich ins Werk gesetzten Anschluss durch den in Selbstsicht größten Feldherrn aller Zeiten in die Ecke der Geschichtslegenden zu verbannen. Wo er aus fortschrittlicher Sicht auch hingehört. Ich bitte schon jetzt darum, in die Anwärterliste für alle in Frage kommenden Friedenspeise als Unterstützer aufgenommen zu werden.
©Helmut Roewer, Januar 2019
Kulturschaffende müssen vor allem die gerade gängigen Systemlosungen im Blick, auf der Zunge oder in der Feder haben. In der DDR waren das Lösungen wie „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“. In südlicheren Gegenden der DDR hieß der Spruch „Von der Sowjetunion lernen, heißt siechen lernen“, was schon eher mit der Realität übereinstimmte. Das Nonplusultra dieser Sprüche war: „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist“. Darunter machte man es nicht.
Heute gibt es andere Losungen und Orientierungsgrundsätze, die ein Kulturschaffender beherrschen sollte. Vor allem solche Künstler, die kein Schwein kennt. Nichtsdestotrotz werden sie an die Futtertröge gelassen, wenn sie systemtreu sind. Wenn meine Information stimmt, hat Menasse für die Erwähnung von Auschwitz als Initialzündung für die DU 300.000 € kassiert. Zu welchen Kategorien dieser Herr gehört, kann man am Schicksal seines Vaters ablesen.