Gute Menschen haben böse Lieder
Heute gibt es in den dunkelgrünen Gazetten und Fernsehanstalten immer öfter Aufregung wegen nicht PC-konformen Liedtexten. Eine Jugendgruppe der CDU hatte ausgerechnet im faschistoiden Bundeshauptslum das Lied vom schönen Westerwald gesungen, was von einer übereifrigen DenunziantIn unverzüglich an die extremistischen Lügenmedien gemeldet wurde. Noch vor wenigen Jahren bekreuzigten sich dieselben Journalisten vor dem Waldsterben, die heute jeden Baum als nationalsozialistisches Monstrum verdächtigen. Fast so nazi wie ein blonder Zopf.
Die SPD beendet ihre Parteitage mit einem Lebensreformlied, welches aufmerksame Gesinnungswarte im Gesangbuch der SS wiederfanden: Wann wir schreiten Seit an Seit. Ich habe es während des Spätstalinismus mehrere hundertmale in der Schule mitgesungen. Und sogar noch viel schlimmere Lieder. Es hat mir nicht sehr geschadet, denn ich stand dabei immer etwas neben mir. Ich hatte damals etwas Mitleid mit der Klassenlehrerin, die den Scheiß täglich anstimmen mußte. Denn morgens begann die erste Stunde mit dem Ruf „Seid bereit – Immer bereit“, der Meldung und dem obligaten Lied. Einige der Texte sind also heute pfui.
So distanziert wie ich sangen die meisten Jungpioniere. Als wir etwas älter wurden, versuchten wir die Lehrer hinsichtlich der Liedwahl zu beeinflussen. Aber die hatten Lehrpläne. Und da standen solche feuchten Lieder drauf wie die Moorsoldaten. „Wir ziehen mit dem Spaten ins Moor“, was wir – inzwischen waren wir Thälmann-Pioniere mit der Parole „Freundschaft“ geworden – mit dem Anhängsel „Schlabbellibab“ quittierten. 100 % thüringisch war sowas.
Die Aufsässigkeit wuchs mit dem Alter. Im GST-Lager wurden pubertäre Lieder wie „Ofenrohr“ oder „Komm, wir fressen eine Leiche“ gesungen, im Militärlager (im Volksmund „bei der Asche“) bestimmten die Ufze was gebrüllt wurde. Und die richteten sich in der Regel nach dem Musikgeschmack des Volks. Solche Marschgesänge wie das „Polenmädchen“ oder „Oh Alele“ nahmen breiten Raum ein. „Oh Alele“ hielten wir für ein Lied aus dem Biafrakrieg. Wenn wir gewußt hätten, daß es ein Pfadfinderjux aus dem Westen war, hätten wir das nie in den Mund genommen.
Das beliebteste und bekannteste war das Grenzerlied. Es wurde nicht nur von den Grenzern gesungen, sondern in allen von Erichs Trachtenvereinen. Im folgenden Video ist es stimmlich und textlich stark geglättet worden. Nie stand eine Untermahlung durch ein Orchester zur Verfügung. In der rauhen Wirklichkeit wurde nach zwei Flaschen Bier gegrölt: „Mir wollen nach Haus, mir wollen nach Haus, hier hälts doch geine Sau nochn Daach länger aus.“
Das Lied hieß „Grenzerlied“. Das „EK-Lied“ war eigentlich ein anderes:
EK, EK, EK, bald sind wir nicht mehr da, und dann da fahren wir nach Haus und lachen alle Sprillis aus, EK,EK, EK, bald sind wir nicht mehr da.“ (Sprilli war ein Gefreiter im ersten Ausbildungshalbjahr AHJ).
In letzteren beiden Liedern spiegelte sich ein gewisser Überdruß an der Russenzeit.
Die Lügenmedien haben dagegen gerade die X-te Kampagne gestartet, wie die Treuhand das Leben der Ossis ruiniert hat. Auch die Blutkanzlerin fabulierte kürzlich wieder über die schwere Nachwendezeit.
Insgesamt sei die deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte, sagte Merkel der „Augsburger Allgemeinen“. Dennoch habe die Einheit auch zu harten Umbrüchen geführt, so hätten viele Ostdeutsche nie wieder in ihrem Beruf arbeiten können. Vieles, was Anfang der 90er-Jahre passiert sei, komme jetzt bei den Menschen noch mal auf den Tisch.
So berichteten es alle Gazetten unisono. Die Vorwendezeit, die mit Wohnungselend und Mangelwirtschaft für die Leute viel härter war, schämt sie sich zu erwähnen. Die knallrote Drecksau war bei den Kommunisten ja sogar Reisekader. Es geht um eine Reise nach Karlsruhe. Da wäre ein normal Sterblicher nicht einmal im Sarg hingekommen.
> Sprilli war ein Gefreiter im ersten Ausbildungshalbjahr AHJ
Muss ja ein Paradiesvogel sein, ich habe nie einen Gefreiten im ersten Diensthalbjahr gesehen. Da gab es nur Glatte…
Als wehrpflichtiger thüringer Abiturient konnte man seine gerade ausgefüllte Trabant-Bestellung verwetten, dass man seine Wehrverrichtung nördlich von Berlin, meist an der Küste oder deren Hinterland zu erfüllen hatte. Nix mit Zapfenstreich um 17 Uhr und ab nach Hause in Zivilklamotten. Sowas gab’s nur jenseits von Streckmetall und Minenfeld.
Mich hatte es zunächst an die polnische Grenze ans Oderhaff verschlagen. Nachts, müde, erschöpft und mit einem unguten Gefühl im Bauch, aber noch mit langen Haaren, wurde das Ziel nach mehr als 24-stündiger Lumpensammlerfahrt quer durch die größte DDR der Welt in spartanischen, vollgekotzen Doppelstockwagen der Deutschen Reichsbahn erreicht. Dass das Ziel offensichtlich noch im Deutschen Reich lag, durften die verschüchterten Jungs sofort erfahren, als man ihnen klipp und klar als erstes sagte, man solle sich bewußt sein, in einem besonderen Gelände zum Schleifen in den Dünen gelandet zu sein. gewissermaßen als Ehre, denn schließlich hätte ja hier der Wüstenfuchs Rommel sein Ausbildungsterrain gehabt. Das war in gewisser Weise nachvollziehbar, denn die Unterkünfte und die Einrichtung schienen noch aus dieser Zeit zu stammen.
Zum befohlenen Gesang vom „Polenmädel“ wurde eingerückt in das mysteriöse vermeintliche Traditionsgelände. Begleitet und angetrieben von Uff’zen, die ebenfalls aus der Wüstenfuchs-Epoche übriggeblieben zu sein schienen. Stiefel, Reiterhosen, straffes braunes Lederkoppel, eine Hand in der Hosentasche, die andere an der Kippe, den Mützenring hyperbolisch gebogen, dass die Kopfbedeckung in der Tat eher an Wehrmacht als an NVA erinnerte.
An Nachtruhe war im kargen, mit 32 eisernen Doppelstockbetten und antiken Spinden liebevolleingerichteten Schlafsaal nciht zu denken, denn immer wieder war aus der Tiefe des Raumes die laute Frage eines Uffz‘ zu hören, ob denn der Delinquent wisse, was 45 Grad Neigung für den Spind bedeuten, wovon man sich umgehend überzeugen konnte.
Ja – so war der Empfang eines braven thüringer Jung in der Streitmacht des Sozialismus.
Im offiziellen Sprachgebrauch heißt der Dienst in der NVA nun „gedient außerhalb der Bundeswehr“.
Flinten-Uschi hätte ihre wahre Freude an der täglich praktizierten Traditionspflege der damaligen Vorgesetzten gehabt und zur Bewältigung ihres selbsterteilten Hauptauftrages den 36-Stunden-Tag ausrufen müssen.
Angesichts des heutigen Zustandes der Bundeswehr – personell wie materiell – erscheint „gedient außerhalb der Bundeswehr“ fast wie ein nachträglicher Ritterschlag.
Das hätt’ste nicht gedacht, Uschi – gelle?