Jena – ein Biotop für Radikale
Jena ist durch Carl Zeiss das geworden, was es heute ist. Als Zeiss sich als Mechaniker selbständig machen wollte, war das sehr schwierig. Gewerbefreiheit und Marktwirtschaft waren im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Fremdwörter. In Weimar gab es schon zwei Mechaniker und Zeiss bekam als dritter keine Lizenz. In Jena bewarb er sich wiederum und auch in dieser schönen Stadt gab es schon zwei Mechaniker. Nachdem er den Großherzog persönlich bemüht hatte, welcher übrigens sein Pate war, bekam er 1846 eine Berufszulassung in der Saalestadt, die im übrigen durch ihre Universität und ihre sauren Weine bekannt war.
Zeiss war nicht nur ein in höchste Präzision vernarrter Tüftler, sondern auch ein strenger Patron. Instrumente, die nicht genau genug gingen zerstörte er persönlich mit dem Vorschlaghammer und zahlte den liederlichen Gehilfen in solchen Fällen keinen Lohn. Carl Zeiss, Ernst Abbe und Otto Schott, die drei führenden Industriellen in Jena waren Patriarchen, die dem Genossenschaftswesen verpflichtet waren. Ihre gemeinsame Glasfirma nannten sie „Schott und Genossen“, der Zeiss- und der Schott-Betrieb wurden 1891 als staatliche Stiftung mit umfangreichen Mitarbeiterrechten organisiert. Jena wurde ein Hort des staatssozialistischen Stehkragenproletariats, der sogenannten Arbeiteraristokratie. Die Stiftung als Rechtsrahmen konnten Nationalsozialisten und russische Befehlsempfänger zwar nach 1933 ruinieren, aber nicht den Geist von Zeiss und Schott. Der Zeissianer hatte selbst in den 80er Jahren des 20. Jh. noch immer seinen Stolz. Im Bernstein der Erinnerung wurde das Jena von Ernst Abbe und Otto Schott immer schöner. Die Zeissianer pflegten einen vorbürgerlichen und vordemokratischen Mythos. Kaum einer kannte noch die Statuten von 1891, aber je weniger diese bekannt waren, umso besser gedieh die Vergangenheitsverklärung und die Mär von der Besonderheit Jenas. Diese Besonderheit glaubte der Zeissianer auch in sich selbst verkörpert.
Der Patriarchalismus überlebte auch. Vor Weihnachten 1988 fand eine Leitungssitzung bei Zeiss statt. Generaldirektor Wolfgang Biermann kontrollierte den Stand der Planerfüllung und der Rechnungsstellung. Für letztere war im Kombinat Prof. Dr. Klaus Mütze zuständig. Biermann fragte nach dem Stand einer wichtigen Exportrechnung und der Professor kam ins Stottern. So wie Zeiss den Ausschuß seiner Gehilfen mit dem Hammer zerschlagen hatte, so ging Biermann zu Professor Mütze, schnitt ihm den Schlips ab und schlug vor, daß Mütze sich von Stund an Schlafmütze nennen solle. Nach der Sitzung drückte Biermann dem Professor, der übrigens in der Staatssicherheit organisiert war, 25 Mark für den Schlips in die Hand.
Zeiss und Schott überschwemmten die Stadt mit Geld und die Universität sorgte für die ideologische Verklammerung von Industrie und Zeitgeist. Ich will gar nicht näher beschreiben, was zwischen 1933 und 1990 alles seltsames in der Uni gelehrt wurde, auch die merkwürdige und regelwidrige Fernpromotion von Karl Marx sei nur am Rande erwähnt. Interessanter ist die Zeit des späten Großherzogtums, weil um die Jahrhundertwende die Fundamente des Nationalsozialismus und des Leninismus gelegt wurden.
Der Medizinstudent Ernst Haeckel entdeckte früh seinen Ekel gegen alles Krankhafte. 1860 wurde Haeckel auf Darwins Buch „Die Entstehung der Arten“ aufmerksam und er entwickelte diese Theorie der Evolution in Bezug auf die Entstehung des Menschen weiter. 1865 wurde er ordentlicher Professor für Zoologie in Jena. Bereits kurz darauf radikalisierte sich sein Auftreten. 1899 erschien sein berühmtes Buch „Die Welträthsel“, das stark antiklerikalen Charakter hatte. Der von ihm vertretene Monismus besagte, daß keine Materie ohne Geist und kein Geist ohne Materie existiere und daß Gott identisch mit den Naturgesetzen selbst sei. Haeckel unterschied nicht zwischen belebter und unbelebter Natur, sondern nach Haeckel war alles Materielle, also auch das Anorganische, die Steine und das Wasser belebt. Das Materielle habe eine geistige Sphäre, selbst Steine hätten eine Kristallseele.
Mit der Lehre von der Belebtheit der anorganischen Natur arbeitete Haeckel den Irrlehren der Blavatsky mit ihren Aether- und Astraläonen sowie dem Spiritismus und Okkultismus in die Hände. Das Weimarer Großherzogtum duldete Haeckels Eskapaden nicht nur, sondern bezahlte und adelte sie über seine Professur.
Darwin hatte in Bezug auf die Entwicklungsstufen vor der Unterscheidung in niedere und höhere noch gewarnt, Haeckel übertrug die Selektionstheorie bedenkenlos auf die menschliche Gesellschaft und schlug das Tor in den Sozialdarwinismus weit auf. Während der Darwinismus Haeckels ein antikatholisches Instrument der Vulgäraufklärung war, wurden diese Entwicklungsgedanken von Otto Ammon zu einer Lehre des Rechts des Stärkeren und des Kampfes ums Dasein weiterentwickelt. Auch die Entwicklung und der Fortschritt der Völker sei von biologischen und rassischen Voraussetzungen bestimmt. Von der reformistischen Antireligionspropaganda zur reformistischen Behauptung, daß Liberalismus und Parlamentarismus den Erfordernissen des Kampfes „Jeder gegen Jeden“ nicht entsprechen würden, war es nur ein kleiner und historisch sehr schneller Schritt. Der benachbarte Reichstagswahlkreis Weimar wählte übrigens bereits 1907 den nationalsozialistischen Abgeordneten Graef, der im Reichstag gegen die Juden laberte. Da war Hitler noch politischer Quark im Schaufenster. Der parallel gewählte Jenaer Reichstagsabgeordnete Lehmann forderte in der Sitzung am 26. Oktober 1911 den Schutz der deutschen Arbeit, auch ein Motiv, das im vorbürgerlich geprägten Jena gern gehört wurde und später von Hitler in allen Variationen ausgebreitet wurde.
Jena war insbesondere durch Marx und Haeckel eine staatlich alimentierte Schaltzentrale des Bösen geworden und es war durch die drei Industriellen Zeiss, Abbe und Schott sowie die Universität zu großem Wohlstand gekommen. Pflanzenornamente rankten sich um 1900 an Jugendstilfassaden empor, Blätter und Lianen wucherten an Vasen, Gläsern und Kaffeetassen. Vor den Gebäuden und in der Universitätsaula reckten sich nackte Kollosse, Giganten und Sportler mit unverdeckten Fortpflanzungswerkzeugen. Der nackte Mensch war die Projektionsfläche unerfüllter Allmachtsphantasien, ob als Amazone oder als Titan. Ein übersteigertes Ich in einer übersteigerten Welt der zunächst noch unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten bestimmte das Lebensgefühl des Spätkaiserreichs. Im reichen Jena konnte dieser Zeitgeist unbeschwert ausgelebt werden.
Von diesem überspannten Lebensgefühl hat sich in Jena über zwei elitaristische Diktaturen, die letztlich Ausfluß der antidemokratischen und antikapitalistischen Agitation des Kaiserreichs waren, viel erhalten. Extremisten aller Art waren in der Stadt und in der Jugendszene gut vertreten. Gerade steht der protestantische Jugendpfarrer König wegen Gewaltsaufrufen und schweren Landfriedensbruch vor Gericht und es gibt neben den gewaltbereiten Protestanten auch eine gut besuchte militante rechte Szene. Es gab nicht nur das braune Haus der NPD in Lobeda, sondern auch der durch die Uwes bekanntgewordenen Jugendclub in Winzerla. Und anhand der Biografien der Uwes zeigt sich auch, daß es sich bei ideologischer Radikalität nach wie vor nicht um ein Armuts- sondern um ein Wohlstandsphänomen handelt. Die Eltern der Uwes waren wie in Jena üblich Lehrer, Ingenieure und Professoren. Jena ist nicht rechts und links, weil es arm ist.
Der Fisch fängt immer am Kopf zu stinken an, und nicht am Schwanz. Der derzeitige Bürgermeister der Stadt, Dr. Albrecht Schröter (SPD) fällt bei protestantischen Rüstzeiten durch antizionistische Aktivitäten auf. >Hier. So schließt sich der Kreis.
Die regelwidrige Promotion von Marx? Gegen welche Promotionsregeln des 19. Jahrhunderts wurde denn Verstößen? In Absentia – in Abwesenheit zu promovieren verstieß gegen keine Regel. Marx suchte sich das fortschrittliche Sachsen-Weimar aus, um seine in Fachkreisen bis heute sehr gut eingeschätzte Arbeit bewerten zu lassen, da ihm das an einer preußischen Universität verwehrt blieb. Regelwidrig war da nichts. Und ansonsten ein buntes Sammelsurium natürlich schlimmer Dinge. Aber dass auch das Zentrum der ostdeutschen Dissidentenbewegung in Jena war. Jürgen Fuchs und co? Mmm Ich glaube, in fast jeder Stadt findet sich gutes und schlechtes.