So kann man eine Stadt verasseln
In den frühen 90er Jahren hatte ich noch einen gewissen Respekt vor dem Westen und vor dem deutschen Hochschulwesen. Ich arbeitete damals in Darmstadt für einen Professor und einen Doktor, die in den 60er und 70er Jahren in der Schriftenreihe des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton publiziert hatten. Das waren für mich Autoritäten.
Wenn man in der südhessischen Universitätsstadt allerdings auf die Gasse ging, so mußte man fast auf Schritt und Tritt an Parolen der Baader-Meinhof-Bande vorbeilaufen. Kaum eine Wand war von Narren Händen unbeschmiert. Am häufigsten: „Freiheit für die Gefangenen der RAF“. Die Kehrseite: Zwei studentische Praktikanten unterhielten sich im Ingenieurbüro völlig ungeniert darüber, wie man sich die Fingernägel lackiert.
Ein Jahr später mußte ich aus beruflicher Veranlassung zu einem Umweltkongreß nach Freiburg im Breisgau fahren. Über den fachlichen Teil möchte ich aus Höflichkeit schweigen, es gehört hier nicht zum Thema. Nach getaner Arbeit mußte ich allerdings immer mit der Straßenbahn zur Unterkunft fahren. Was Straßenbahn ist, wußte ich aus Erfurt. Damit fuhren normale Leute zur Arbeit. In Freiburg war das anders. Die Bahn war täglich frisch vollgekotzt und ein Teil der Passagiere sah übelst verlebt aus. Es roch in den Garnituren nach ergossenem Blaseninhalt und Exkrementen. Dabei regierten die Grünen die Stadt damals noch gar nicht. Bürgermeister war 1992 noch Rolf Böhme von der SPD.
Heute kann man quer Beet davon ausgehen, daß Hochschulstädte hinsichtlich Ordnung und Sauberkeit erhebliche Defizite haben. Wenn man eine gewisse Verschmutzung und Verrohung erzeugen will, muß man Akademiker heranziehen. Ein krasses Beispiel ist Berlin. Verschiedene Gazetten berichteten kürzlich empört über Sperrmüll in der Hauptstadt. Allerdings nur um von den Kackhaufen abzulenken, die auf den Trottoirs herumliegen. Nein, nicht von Hundis, sondern von Menschen. Oder wer kennt nicht die explodierenden Feuerwerkskörper, mit denen die Antifa den Hauptbahnhof beschallt?
Das Problem mit den pubertierenden Semiidioten ist freilich nicht neu. Bereits Robert Merle berichtete in seinem Roman „Fortune de France“ von studentischen Ausschweifungen im 16. Jahrhundert. Allerdings wurde der Romanheld für einen Fehltritt im Rahmen der universitären Selbstverwaltung ausgepeitscht. In Deutschland kannte man das Institut des Karzers, mit dem sich die Lehrkräfte etwas Respekt verschaffen konnten. Für reiche und elitäre Studiker, wo es aufs Geld und eine kurze Studienzeit nicht so ankam, war es allerdings auch eine Ehre im Karzer irgend etwas abzusitzen.
In Goethes Biografie wurde die Leipziger Studienzeit durchaus kritisch beleuchtet. Auch meine Großmutter machte verstörende Erfahrungen. Sie vermietete in den zwanziger und dreißiger Jahren an einen jungen Herrn von Zitzewitz, der den Eingang zum Hörsaal nicht kannte, weil er auf dem Paukboden oder in seiner Kneipe beschäftigt war. Allerdings war das Studium im 16. bis 20. Jahrhundert noch kein Massenbetrieb. Zu meiner Zeit (1972) wurden etwa 7 % der Schüler zum Studium zugelassen. Davon schaffte etwa ein Viertel den Abschluß nicht.
Halbheiten konnte man sich damals nicht leisten. In unserem Studienjahr war ein junger Herr, der immer nur zu den Sportstunden anwesend war. Das fiel dem Sektionsdirektor Hampe auf. Er bestellte den durchtrainierten Muskelmann und stellte ihn zur Rede. Der Sportler begann seine Verteidigung so: „Jo, Herr Hompe“. Weiter kam er nicht. „Für sie immer noch Herr Professor!“ antwortete Hampe und die Exmatrikulation wurde binnen kürzester Frist durchgezogen. Da war noch etwas Zug dahinter. Kein Muff unter den Talaren.
Die Werkzeuge zur Verteidigung studentischer Ehre sind im neuen Jahrtausend plebejischer geworden. Während oben benannter von Zitzewitz seine Satisfikationen mit dem Degen erlangte oder in ehrenvollem Zweikampf Schmisse empfing, sind die postmodernen studentischen Waffen die Eisenstange, die Zwille, die Rauchbombe oder der revolutionäre Molotoff-Cocktail. Früher wurde mit Zeugen nach einem Regelwerk Mann gegen Mann gekämpft, heute in Überzahl oder mit einem Schlag von hinten auf die Nuß.
Das Studium unterlag immer dem Wandel der Zeiten. Eine anthropologische Konstante ist, daß es in der Pubertät abgeleistet wird. Da waren die Persönlichkeiten immer schon instabil. Nur daß die Pubertät heute früher einsetzt und später endet. Ein Teufelskreis.
Der erwähnte Herr von Zitzewitz brachte erst als Methusalem einen gewissen Nutzen für Deutschland. Beengte finanzielle Verhältnisse haben zu allen Zeiten eine akademische Notreife bewirkt und die Studienzeit nicht ausufern lassen. Vielleicht sollte das Bafög reformiert werden. Oder würden Studiengebühren helfen? Zu meiner Zeit dauerte das Studium nach einer Hochschulreform nur noch vier Jahre, davon ging noch ein Vierteljahr Militärlager ab. Verlängerung gabs nicht. So glaubte man „allseits gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ zu erziehen. Für die Verwüstung der Städte brauchte die Partei keine rumlungernden Studenten. Das erledigte die Planwirtschaft.
Derzeit ist es leider so: Wenn man eine Stadt verasseln will, sollte man eine Uni gründen.