Spaßbauern und Landkommunarden
Um es vorweg zu sagen: Götz Kubitschek ist für mich kein wirklicher Landkommunarde, sondern eher ein Spaßbauer, der Ziegen hält. Er trägt keine kratzigen selbstgestrickten Pullover aus Schafswolle, seine Freundin Ellen Kositza häkelt ihre Kleider nicht aus Tofuabfällen. Keine selbstgehämmerten Holzsandalen, keine pludernden Haremshosen und keine aus Rohwolle gestrickten Tellerminen als Mützen. Alles außerhalb des grünen Bereichs.
Von diesen Spaßbauern gibt es immer mehr. Meine Freunde halten fast alle Schafe, Rinder, Ziegen, Hunde oder Pferde. Ich natürlich auch. Aber keiner zieht sich komisch an. Keiner verstrickt und verspinnt die Wolle von den Schafen. Die kommt unten als Dünger in die Blumentöpfe. Die meisten fahren politisch völlig unkorrekt mit Pickups und großen Schleppern durch die Kante. Tiere und Landmaschinen erhöhen das Ansehen im Dorf. Darum geht es auch. Und natürlich um die Erlebnisse mit Hunden, Schafen und Zebus. Die Spitzenreiter beim Unterhaltungswert sind zweifellos Ziegen. Wer viel Aufregung und Überraschungen schätzt, einen Hang zum Eskapismus hat, sollte sich welche anschaffen. Wie Kubitschek.
Ein kurdischer Autor hatte kürzlich einen Krimi über Landkommunarden geschrieben, der im Zwangsfernsehen aufgeführt wurde. Er hat angesichts des in den Medien herrschenden Zeitgeistes ins Schwarze Grünbraune getroffen. Zeit mal an die Ursprünge des Ökologismus und der Landkommunarden zu erinnern.
In eine restaurative Stimmung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts platzte Friedrich Nietzsche mit seiner archaischen Blut- und Bodenphilosophie. Nietzsche stellte die Frage nach der Umweltverträglichkeit der modernen industriellen Gesellschaft und verneinte diese, stellte die menschliche Vernunft selbst in Frage und geißelte das Christentum, welches die ursprünglichen germanischen Naturidole weitgehend verdrängt hatte. Die deutschen Aborigines sollten die römischen Priester zum Tempel herausjagen, um Waldschraten und Elfen ihren angestammten Platz zu verschaffen.
Der im deutschsprachigen Raum wie sonst nirgends auf der Welt weitverbreitete metaphysische Ehrfurcht vor der Natur und die kehrseitige Abwertung des menschlichen Lebens hat hier scheinbar ihre Wurzel. Nietzsche orakelte:
„Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst der Übermenschen werde.“
Reflexhaft entstanden ab dem endenden 19. Jh. zahllose zivilisations- und fortschrittskritische Lebensreformansätze, die wie bei den heutigen Grünen immer eine Ausgestaltung als pseudoreligiöse Heilstheorien erfuhren, von den Nudisten und Wandervögeln über die Anthroposophen, Okkultisten bis zu den Antisemiten. Gelüftete Schlafzimmer, bequeme Unterwäsche, Reformkleider, Kneipp-Sandalen, Leibesverrenkungen in Kraftkunstinstituten, Judenvertilgung, Vegetarismus, Reformhäuser, Abstinenz, Menschenzucht und Lichttherapien sollten die Gebrechen der Gesellschaft heilen.
Liebe zur Natur – das wäre ja noch gegangen. Wer hat etwas gegen ein wenig Rohkost, kalte Beine beim Wassertreten, süßes Obst, dessen Saft die Unterarme beim Essen herabläuft und ein wenig Sport. Die neuen Irrlehren erhoben jedoch einen Ausschließlichkeits- und Wahrheitsanspruch, der befremdet. Zahlreiche Tempelentwürfe wurden allein für Nietzsche hergestellt und weisen auf ein religiöses Vakuum hin, das nach dem Abschied von der christlichen Religion schnell mit goldenen Kälbern aufgefüllt werden sollte. Auf einem unschuldigen Hügelchen bei Ascona im Tessin wurde eine Kommune der Lebensreform aufgebaut, in der sich Alkoholiker wie Hermann Hesse und Gesundheitsapostel wie Ida Hoffmann sammelten. 1905 wurde der Berg „Monte Verità“ getauft, Berg der Wahrheit, um zu demonstrieren, daß hier die Wahrheit mit Löffeln gefressen wurde. Die Kommunarden rannten nackt herum, vollführten ekstatische Feuertänze bei Vollmond, fasteten und meditierten. „Kohlrabiapostel“ nannte das einfache Volk solche Leute.
Im Oktober 1913 fand der sogenannte Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner bei Kassel statt. Bei dieser Gelegenheit trafen sich 2-3000 Aktivisten der auf über 60.000 Mitglieder angeschwollenen organisierten Jugendbewegung, um ihr gewachsenes Selbstbewußtsein zu demonstrieren und sich über ihre Ziele zu vergewissern. Der Ton wurde von Kulturkritikern angegeben, die antimodernistische, heidnische und technikfeindliche Konzepte vertraten. Das Grußwort des Lebensphilosophen Ludwig Klages an den Jugendtag ist entsprechend eine einzige Jeremiade gegen das industrielle Zeitalter. Überflüssig zu erwähnen, daß Klages dem Schwabinger Kreis um den Dichter Stefan George nahestand. „Anarchisten, Bohemiens, Weltverbesserer, Künstler und krause Apostel neuer Werte“ trafen sich an den Schwabinger Kaffeehaustischen, „bleiche junge Genies träumten von einer elitären Erneuerung der Welt, von Erlösungen, Blutleuchten, Reinigungskatastrophen und barbarischen Verjüngungskuren für die degenerierte Menschheit“, schrieb Joachim Fest in seiner Hitler-Biografie. Um die Ecke wohnte vom September 1900 bis April 1901 Lenin, der ausgerechnet in Schwabing die Handlungsanleitung der bolschewistischen Revolution „Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung“ mit dem Konzept der elitären Kaderpartei als Avantgarde der Arbeiterbewegung schrieb und von 1912 bis 1914 der Postkartenmaler Adolf Hitler. Klages Anklagen begannen ähnlich wie auf einer grünen Bundesversammlung. Man kann sich förmlich das verbitterte sauertöpfische Gesicht von Renate Künast vorstellen:
„Wir täuschen uns nicht, als wir den ´Fortschritt´ leerer Machtgelüste verdächtig fanden, und wir sehen, daß Methode im Wahnwitz der Zerstörung steckt. Unter den Vorwänden von ´Nutzen´, ´wirtschaftlicher Entwicklung´, ´Kultur´ geht er in Wahrheit auf Vernichtung des Lebens aus. Er trifft es in allen seinen Erscheinungsformen, rodet Wälder, streicht die Tiergeschlechter, löscht die primitiven Völker aus, überklebt und verunstaltet mit dem Firnis des Industrialismus die Landschaft und entwürdigt, was er von Lebewesen noch übrig läßt gleich dem ´Schlachtvieh´ zur bloßen Ware, zum vogelfreien Objekt ´rationeller´Ausbeutung. In diesem Dienste aber steht die gesamte Technik und in deren Dienste wieder die weitaus größte Domäne der Wissenschaft.“
Die Zwanziger Jahre waren die Blütezeit der Freiland- und Freigeldbewegung. Diese Bewegung ging auf Anregungen von Silvio Gesell zurück. Gesell hatte um 1900 eine Wirtschaftstheorie erdacht, bei der das Geld monatlich um 1 % entwertet wird. Damit würde ein schneller Umlauf erzwungen und Sparen unattraktiv gemacht. Krisen würden damit unwahrscheinlicher, es würde ständig Hochkonjunktur herrschen. Die beiden wichtigsten Unterstützer wurden der Berliner Tischler Georg Blumenthal und der antisemitische Ernährungsreformer Gustav Simons, der die Gartenstadt Eden bei Oranienburg mitgegründet hatte. 1909 hatte Blumenthal die „Physiokratische Vereinigung“ gegründet. Der Schöpfer des Vollkorn-Siemons-Brotes, Gustav Simons war die Scharnierperson zur Lebensreformbewegung und gehörte dem „Orden des Neuen Tempels“ des Lanz von Liebenfels an. Auf der Burg des Ordens wehte schon seit 1907 die Hakenkreuzfahne. Es war ein Orden für blonde und blauäugige Männer, die sich zur Reinzucht verpflichten mussten. Gesell störte sich nicht an den Neigungen Simons. „Die Natürliche Wirtschaftsordnung kann nicht verdorben werden.“ So seine Meinung dazu. 1911 zog Gesell selbst in die Gartenstadt Eden. Biologische Anbauweisen, Vegetarismus, FKK sollten in Gütergemeinschaft verwirklicht werden.
Aus dem „Deutsche Freiland-Freigeld-Bund“ und der „Physiokratischen Vereinigung“ wurde der „Freiwirtschaftsbund“ zusammengeschlossen. Im Rheinland wurde ein „Kampfbund der Freiwirte“ gebildet, in Württemberg eine „Proletarische Arbeitsgemeinschaft für Freiwirtschaftslehre“, eine Jugendorganisation „Ring Revolutionärer Jugend“ entstand. In Basel fand 1923 der „1. Internationale Freigeld-Kongreß“ statt. Dort musste sich Gesell mit Angriffen auseinandersetzen, die von seiner Lehre beinhaltete Freizügigkeit für alle Rassen auf der ganzen Welt würde der Zuchtmoral zuwiederlaufen. Er konterte, dass das Nebeneinander der Rassen und die dadurch möglichen Vergleiche zwischen diesen das „sicherste Ventil“ gegen eine „instinktwidrige, vielleicht schädliche Kreuzung“ seinen. Gesell rechnete nicht mit großen, dunkelhaarigen und glutäugigen Schönheiten, welche nach blonden Hünen Ausschau halten und die blonden Germanen aus der sexuellen Bahne werfen; Wer denkt da nicht an Boris Becker, Christof Matschie oder Prinz Harry. Auch wußte er nichts von der Vorliebe dunkler Südmänner für blonde Frauen und umgekehrt; der Glaube an sichere rasseninstinktive Ventile war eben blauäugig.
Der Antisemit und Ariosoph Dr. Kunkel, auch ein Geselle von Mario Gesell, gründete Mitte der 20er Jahre in Sontra die Siedlung „Donnershag“, die ein geschlossenes deutsch-gläubiges Gemeindeleben führte, und die nur Kommunarden aufnahm, die versicherten, von jüdischem und farbigem Einschlag frei zu sein. Da um 500 in ganz Europa, außer in Thüringen, die Völkerwanderung stattgefunden hatte, konnte jede dieser Versicherungen nicht mehr sein als eine gutgläubige Vermutung. Statt sich sinnvollerweise mit kulturellen und religiösen Prägungen seiner Mitgeschöpfe zu beschäftigen, vertrieb man sich die köstliche Zeit mit Vermutungen über Blutzusammensetzungen. Ein naturverbundenes Leben ohne Industrie sollte die westliche „Zuvielisation“ ersetzen.
Für die Anthroposophen und Theosophen hatte die Sonne zentrale Bedeutung, für die Nudisten, Kleingärtner und Artamanen war sie für die Körperbräune und den letzten Schliff bei der Bildung der grünen Farbe des Gemüses ebenso unverzichtbar, für die Wandervogelbewegung war sie wegen des Landschaftsgenusses und trockener Sandalen nice to have, bei den Okkultisten gehörte sie zum Gestirnsrepertoire, Lichttherapien, das Lichtgebet, Lichtmenschen, Sonnenauf- und -untergänge in der Malerei, fast alles drehte sich um die Sonne, sie hatte hohen Symbolgehalt.
Auch an Adolf und seinen Jüngern ging die neue Zeit nicht vorbei. Er teilte die Sympathie für die Sonne und machte sie mit verbogenen Strahlen zum Parteisymbol. Am 24. Februar 1920 fand die erste größere öffentliche nationalsozialistische Versammlung im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses statt. Der Arzt Dr. med. Johannes Dingfelder hielt unter dem Titel „Was uns not tut!“ eine Rede über den bevorstehenden Produktionsstreik der Natur; die natürlichen Grundlagen seien gefährdet, die Güter würden sich vermindern, den Rest fräße das Ungeziefer. Das Ende der Menschheit wäre nahe ohne die völkische Neubesinnung. Anschließend wurde das Parteiprogramm von Hitler bekanntgegeben, die 25 Punkte.
Ab 1900 wimmelte es in Deutschland von Landkommunarden, Lebensreformern, Gartenstädten, Reformhäusern und Gesundheitsfexern. Bis ins KZ feierte der biologisch-dynamische Anbau seinen Siegeszug. 1945 wurde diese Entwicklung durch die Entnazifizierung plötzlich unterbrochen. Jugendstil, Lebensreform, Eutanasie, Hakenkreuzdeckchen, alles war auf einmal „Pfui“. Man sprach etwa 20 Jahre nicht darüber. Jedenfalls nicht laut. Deshalb ist die erste grüne Welle nahezu vergessen, vielen Zeitgenossen ist nicht klar, daß die originäre ökologische Bewegung von Anfang an ökosozialistisch, überwiegend technikfeindlich und zivilisationskritisch war. Der kurdische Autor des Schwarzwald-Fernsehkrimis, der dem sog. „Kampf gegen Rechts“ verpflichtet ist, hat ein brisantes Thema gestreift, das die vergessene und verdrängte Geschichte der Grünen tangiert. Der mörderische Steinzeitelitarismus der K-Gruppen begann in Deutschland nicht 1968, sondern schon um 1900. Seine Ausbreitung wurde von 1945 bis 1968 nur kurz unterbrochen.
Eine phantastische Zusammenfassung!
Vielen Dank.
Also, ich finde auch, nicht schlecht, sprach der Specht. Lehrreich Herr Doktor und völlig einleuchtend und dazu zum piepen. Ihnen geht’s grad zu gut, stimmts?
Das soll jetzt kein Einwand sein, aber gelüftete Schlafzimmer sind schon in Ordnung. Und wenn Tomaten wieder Tomatengeschmack hätten, wäre das auch ein Schritt in die richtige Richtung. Von Erdbeeren ganz zu schweigen.
Kultur ist Überlieferung.
Genau !
Wie sagte neulich ein Spaßvogel:
„Man sollte die Holländer dazu verdonnern ihr Gemüse selber zu fressen!“
„Und wenn Tomaten wieder Tomatengeschmack hätten … Von Erdbeeren ganz zu schweigen.“
Die Erdbeeren und die Tomaten schmecken vor allem deshalb nach roher Kartoffel, weil schmackhafte Sorten außen weich sind, nicht haltbar sind beim Transport im großen Stil oder Matschepampe werden durch Lagern oder beides. Zum Glück kann man für den Hausgebrauch schmackhafte Sorten selber anbauen, bei Tomaten und Erdbeeren keine allzugroße Hürde.