Berlin als Geisel des römischen Intrigenstadels
Peer Steinbrück (SPD) hatte vor ziemlich genau fünf Jahren Silvio Berlusconi und Beppe Grillo als Clowns verunglimpft. Das war nicht gerade eine diplomatische Spitzenleistung. Seit 2013 bevölkerten deren Parteien in Italien die Oppositionsbänke. Seit gestern ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, daß entweder Grillo oder Berlusconi über Mittelsleute an die Hebel der römischen Macht gelangen könnte. Denn Grillo und Berlusconi kontrollieren ihre Medien und halten ihre Parteien damit in Abhängigkeit, so wie die abgewählten Demokraten sich in der babylonischen Gefangenschaft des Staatssenders RAI befinden.
Sowohl Grillo wie auch Berlusconi haben ein langes Gedächtnis. Grillo ein noch längeres. Er ist erwiesenermaßen rachsüchtig. Und auch die Lega hat eine Rechnung mit der deutschen Sozialdemokratie offen. Martin Schulz hatte den Intelligenzquotienten des damaligen Parteichefs Bossi im Europaparlament in Straßburg in einer fulminanten Rede in Frage gestellt. Berlusconi empfahl wiederum Schulz die Rolle des Kapos in einem Nazifilm zu spielen. Italia und Germania hatten sich damals nichts geschenkt und die Schatten der Vergangenheit huschen plötzlich wieder über die europäische Bühne.
Die gestrige Wahl zur Kammmer ist für die regierenden „Demokraten“ zur Tortur geworden. Sie sind gedrittelt worden. Mit Berlusconi hatten sie ein Wahlgesetz – das sogenannte Rosatellum – ausgeheckt, das ihnen Vorteile verschaffen sollte. Aber genau den Urhebern ist die neue Regelung auf die Füße gefallen: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Den Grillini, der 5-Sterne-Bewegung, die vehement gegen das neue Wahlgesetz waren, hat es dagegen genutzt. Und auch der Lega:
2013 | 2018 | |
Rechte Mitte | 125 | 259 |
davon Forza Italia | 98 | 104 |
davon Lega | 18 | 122 |
davon Fratelli | 9 | 32 |
Bewegung der 5 Sterne | 109 | 227 |
Linke Mitte | 345 | 113 |
davon Partido Democr. | 297 | 104 |
Frei und Gleich | 0 | 15 |
Sonstige | 51 | 12 |
Summe | 630 | 630 |
Die Forza Italia, der politische Resonanzboden des Medienmoguls Berlusconi, hat trotz Stimmenverlusten ihre Sitze behauptet. Die Lega war bisher die Unabhängigkeitspartei des Nordens, hat ihr Programm jedoch inzwischen auf gesamtitalienische Ziele umgeswitcht, und hat um über 100 Abgeordnete zugelegt. Allerdings im Norden. Sie ist im rechten Bündnis stärkste Kraft geworden, obwohl noch vor drei Wochen alle Umfragen Berlusconi vorne sahen. Die Zerstückelung einer Italienerin durch einen Rauschgiftasylanten und die Benennung des verhaßten Europapolitikers Antonio Tajani als Ministerpräsidenten-Kandidat der Forza haben zum Stimmungsumschwung geführt. Die Fratelli (Brüder Italiens) sind eine Partei, die in der Nachfolge der Sozialen Bewegung steht und konnte die Zahl ihrer Sitze verdreifachen.
Die Partido Democratico als das Sammebecken der in der Tangentopoli-Korruptionskrise von 1992 untergegangenen Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten wurde nicht zuletzt wegen interner Streitigkeiten, aber vor allem durch eine selbst angezettelte Wahlrechtsänderung gedrittelt. Römische Beobachter gehen jetzt von ihrem weiteren Verfall aus. Der Chef Matteo Renzi hat in der Wahlnacht seinen Rücktritt erklärt. Die Altkommunisten von „Frei und Gleich“ hatten sich schon vor der Wahl abgespalten und konnten die Wähler nicht im erhofften Maße überzeugen.
Die 5-Sterne-Bewegung hat mit einem Gewinn von etwa 6 % der Stimmen die Zahl ihrer Sitze verdoppeln können und ist stärkste Einzelpartei. Ihr Chef Beppe Grillo war aus dem Staatsfernsehen rausgeworfen worden, weil er die Korruption unter Ministerpräsident Craxi als Komiker kritisiert hatte. 1987 attackierte er den sozialistischen Ministerpräsidenten aus Anlass eines Chinabesuchs. Grillo: „Wenn die Chinesen alle Sozialisten sind, wen bestehlen sie dann?“ Als Konsequenz wurde Grillo vom Staatssender RAI weitgehend ausgelistet. Er hat seitdem eine Stinkwut auf das in seinen Augen „faschistische“ RAI und auf die Demokraten. Eine Koalition zwischen den 5 Sternen und den Demokraten wird in Rom deshalb für sehr unwahrscheinlich gehalten. Der Preis wäre mindestens die sofortige Abschaltung von RAI. Bisher haben die 5 Sterne betont, keine Koalitionen einzugehen. Seit der vergangenen Nacht ist das anders. Sie wollen regieren und warten auf Angebote.
Über ein Bündnis der beiden Wahlgewinner, der Bewegung der 5 Sterne unter Luigi di Maio und der Lega von Matteo Salvini wird spekuliert. Es gibt Gründe, die dafür sprechen, es gibt wirtschaftspolitisch und in der Asylpolitik auch Differenzen. Salvini behauptet, daß er eine Koalition nicht will. Die Mathematik spricht dafür. Die Lega ist zweitstärkste Partei und zusammen käme eine stabile Mehrheit zustande.
Eine Koalition zwischen Grillo und Berlusconi ist unwahrscheinlich, da sich beide schon zu oft in den Haaren lagen. Die von der deutschen Lügenpresse erhoffte Mesalliance von Renzis Demokraten und Berlusconis Forza ist meilenweit von einer tragfähigen Mehrheit entfernt. Die bunten Luftballons der brüsselhörigen Journalisten sind geplatzt. Bleibt noch die Variante einer Expertenregierung, wie sie in Italien schon öfter als Ausweg gefunden wurde.
Wenn man sich die Karte Italiens mit den gewonnenen Direktwahlkreisen anschaut, hat man den Eindruck Italien würde an derselben Stelle auseinanderfallen, an der es 1860 zusammengeflickt wurde.
Der Mezzogiorno – das ehemalige Königreich beder Sizilien – ist exakt in den alten Grenzen den 5 Sternen (gelb) zugefallen, der Rest Italiens dem rechten Zentrum Centrodestra (blau) und einige Wahlkreise in der Toskana den Linken. Nachdem Venetien, Südtirol und die Lombardei an den römischen Ketten zerren und mehr Autonomie wollen, könnte auch der Süden sich seiner Eigenstaatlichkeit erinnern.
Wer kennt nicht den Roman „Der Leopard“, in welchem der Zerfall des Königreichs in satten Farben beschrieben wurde, ein Desaster, welches durch den Wegfall einer staatlichen Aufgabe, nämlich der des Küstenschutzes vor Piraterie, ausgelöst wurde. Gerade diese Aufgabe des Küstenschutzes ist nun wieder hochaktuell. Ein Südstaat mit den Inseln hätte wieder eine Funktion.
Daß die 5 Sterne im Süden gewonnen haben, ist der Gutgläubigkeit der Süditaliener zuzuschreiben. Wer die besseren Märchen erzählen kann, wird dort gewählt. Früher war das Berlusconi, heute sind es die Grilini. Einmal war ich in einer sizilianschen Gaststätte. Ich erzählte dem Kellner, daß mein Hund Italienisch kann und zeigte ihm, wie der Hund mir auf den Befehl „Dai la zampa“ Pfötchen gab. Nach drei Minuten waren das gesamte Küchenpersonal und die Wirtsfamilie aufmarschiert, um sich von den Sprachkenntnissen der Hündin zu überzeugen. In Norditalien lachen die Leut über den Spaß, del sud glauben sie das.
Für die 5 Sterne hat das Wahlergebnis natürlich Konsequenzen: Die Subventionsmentalität dieser nach Süden ausgreifenden Bewegung wird sich erhöhen und die Mafia wird versuchen einzusickern.
Im römischen Intrigenstadel ist jetzt alles möglich. Ein römischer Kommentator schrieb, daß man den Löffel jetzt in eine Schüssel mit Eidechsen und Lurchen steckt, und daß es einfacher wäre einen Elefanten mit Ohrfeigen umzubringen, als dieses Parlament wieder nach Hause zu schicken. Die Eurokraten können sich warm anziehen, die Gefahr, daß deutsche Rentenansprüche, die in italienischen Verpflichtungen „investiert“ wurden, nun uneinlösbar werden, hat sich gestern erhöht. Die Merkelregierung ist seit langem die Geisel Roms, seit gestern ist das noch etwas offensichtlicher.
Selbst wenn in Italien nur eine einzige Partei zu Wahlen anträte, dann würden es die Italiener schaffen, ein Patt zu wählen.