Deutsche Tüchtigkeit im Wandel der Zeiten
Deutschlands Beliebtheit im Ausland hat durch das Sparregime in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien gelitten. Frankreich und Zypern beklagen ebenfalls den germanischen Austeritätskurs. Frau Merkels Konterfeis haben in griechischen Printmedien immer öfter einen Hitlerbart oder sie trägt einen schwarzen Uniform-Hosenanzug. Kürzlich war ein Video des Europaparlaments im Netz aufgetaucht, in dem ein deutscher Schaffner in Eisenbahnuniform anderen Europäern in deutscher Sprache diktatorische Anweisungen gibt. Der darauffolgende Hinweis, daß die EU Meinungsfreiheit garantiert, kam in englischer Sprache. Da wird gestichelt. Diese Vorbehalte gegen Deutschland sind nicht neu. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg zog Kronprinz Wilhelm in seinen Erinnerungen eine interessante Bilanz, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann:
„Als ich (…) mehr und mehr auch in die Probleme der äußeren Politik des Reiches eindrang, fand ich immer wieder die von mir schon auf meinen Reisen beobachtete Tatsache bestätigt, dass unser Vaterland in der ganzen Welt wenig beliebt, vielfach geradezu verhaßt war. (…) Aber nicht Missgunst gegen die deutsche Tüchtigkeit allein hat uns die Abneigung der großen Mehrheit eingetragen; wir hatten es auch verstanden, uns durch weniger gute Eigenschaften, als Tüchtigkeit ist, missliebig zu machen. Unklug ist es, wenn sich ein Einzelner oder ein Volk in seinem Vorwärtsstreben über Gebühr vorlaut vordrängt; Misstrauen, Widerstand, Abwehr und Feindschaft werden dadurch geradezu herausgefordert. In diesen Fehler sind wir Deutschen amtlich wie persönlich nur zu oft verfallen. Das offenbar herausfordernde, laute Auftreten, das alle Welt bevormundende, fortwährend belehren wollende Gebaren mancher Deutschen im Auslande fiel den anderen Nationen auf die Nerven. Es richtete im Verein mit Torheiten und Geschmacklosigkeiten, die sich auf der gleichen Linie bewegten und die im Lande von führenden Persönlichkeiten oder von leitenden Stellen ausgingen und draußen hellhörig empfangen wurden, großen Schaden an.“
Was der Kronprinz beklagte, war nichts anderes als das Eingeständnis, daß Deutschland an seinem zur Schau getragenen Sendungsbewußtsein und an seiner fehlenden Biegsamkeit im Auftreten scheiterte. Das neue Deutschland geht der Welt nicht nur durch seinen Antiinflationskurs auf die Nerven, sondern auch durch Klimainitiativen, Pöbeleien gegen Nachbarländer und deren Politiker, sowie durch das durch Gabriel losgetretene Glühlampenverbot.
Tabelle: Diplomatische Verschnupfungen
Tschechien |
Kritisches Verhältnis zum ehemaligen Präsidenten Klaus |
Schweiz |
Drohung mit Kavallerie |
Italien |
Pöbeleien gegen Berlusconi und Grillo |
Österreich |
Kritisches Verhältnis zur ehem. Regierung Schüssel wegen Teilnahme der Freiheitlichen |
Polen |
Kritisches Verhältnis zur ehem. Regierung Kaczynski |
Luxemburg |
Unnötige Bemerkungen über das Geschäftsmodell |
Dänemark |
Kritisches Verhältnis zur Regierung Rasmussen wegen Teilnahme der Volkspartei |
Die wachsende Distanz ist die Summe aus diplomatischen Mißstimmungen und dem Stabilitätskurs rund um den Euro. Dieser Stabilitätskurs der Bundesregierung kann im eigenen Land nur solange durchgehalten werden, wie die Zinsen für Staatsanleihen nicht höher sind, als das Wirtschaftswachstum. Das ist solange der Fall wie die Anleihezinsen auf das niedrige Niveau des Wirtschaftswachstums gedrückt werden können.
Deutschland hatte 2012 ein Verschuldungsniveau von etwa 81,7 % des Bruttoinlandsprodukts. Im Bundeshaushalt 2013 sind darauf 1,4 % Zinsen geplant. Wenn man für Bund, Länder und Kommunen mal Zinsen von 2 % annimmt, so liegt man etwa richtig. Wenn das Wachstum geringer ist, als 2 %, so wächst das Verschuldungsniveau über 81,7 % hinaus, ist das Wachstum höher, so reduziert sich der relative Schuldenstand. Das Wachstum wird von der OECD für 2013 auf etwa 2,5 % geschätzt.
Jahr |
BIP Mrd. € |
Zinssatz |
Zinsen Mrd. € |
Staatschuld Mrd € |
Staatsschuld / BIP |
2012 |
2.480 |
|
|
2.025 |
81,7 % |
2013 |
2.542 |
2 % |
40 |
2.065 |
81,2 % |
Man sieht, mit einem Wachstum über der Verzinsungshöhe sinken die Schulden Deutschlands. Wenn dann noch etwas Teuerung dazukommt, verstärkt sich der Effekt.
Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Zypern haben 2013 kein Wirtschaftswachstum. Daraus folgt. daß jeder Euro, der für die Verzinsung der Staatsschulden aufgewendet werden muß, zu einem Anstieg des Verschuldungsniveaus führt. Diese Länder brauchen unbedingt Inflation, um das Schuldenniveau zu halten oder zu senken. Das Beispiel Italien rechnet sich so: 2013 wird eine Schrumpfung der Wirtschaft von 0,5 % vorhergesagt. Der Zinssatz für die Bedienung der Staatsschuld liegt bei 4 %.
Jahr |
BIP Mrd. € |
Zinssatz |
Zinsen Mrd. € |
Staatschuld Mrd € |
Staatsschuld / BIP |
|
2012 |
1.564 |
|
|
1.938 |
123,9 % |
|
2013 |
1.556 |
4 % |
78 |
2.016 |
129,6 % |
|
Italien würde 4,5 % Inflation benötigen, um den Schuldenstand gemessen am BIP 2013 auf dem Niveau von 2012 zu halten (4 % Zins + 0,5 % Wirtschaftsrückgang).
Die von Deutschland geforderten Strukturreformen greifen nicht auf Kommando. Spanien hat zum Beispiel seinen Arbeitsmarkt vor zwei Jahren etwas liberalisiert. Bis die spanischen Firmen das begreifen und nutzen dauert es Zeit. Die Firmenchefs haben jahrzehntelang das Umgehen von festen Arbeitsverhältnissen geübt. Und es hat ja mit Kooperationen, Subunternehmern, Leistungstausch, Schwarzarbeit, befristeten Arbeitsverhältnissen und Praktika irgendwie funktioniert. Außerdem war die Umsatz- und Gewinntransparenz bei einem Geflecht aus Kleinstbetrieben äußerst niedrig, da brauchte man nicht soviel Steuern zahlen. Es wird viele Jahre dauern, bis ein Arbeitsmarkt und eine Betriebsgrößenstruktur wie in Deutschland entsteht, wenn überhaupt. Bis dahin brauchen Frankreich, Spanien, Italien und andere Kandidaten eine jährliche Geldentwertung in Höhe des Schuldendienstes, wie das vor dem Euro dort üblich war.
Eine Möglichkeit wäre noch, den Staatsapparat abzumagern. Aber davor scheuen sich alle Regierungen, und mit der von Brüssel vorgegebenen Regelungsdichte ist das auch nicht ganz einfach. Jedes neue Gesetz und jede neue Verordnung erzeugt automatisch neue Beamte. In Griechenland diente die Verbeamtung offensichtlich auch dem kriminellen Klientelsystem. Wenn aber wirklich in der Verwaltung eines Tages gespart würde, entstünden schwer vermittelbare Arbeitslose, die von Betrieben, die sich das Geld am Markt verdienen müssen, kaum begehrt werden.
Die einzig praktikable und pragmatische Lösung ist: Europa braucht zwei Währungen. Eine Währung für Länder mit einem funktionierenden Arbeitsmarkt und eine Währung für Länder mit Einmann- und Familienbetrieben. Ansonsten wird Völkerhaß entstehen, weil zwei langfristig gewachsene Kulturen mit Wucht aufeinanderprallen.
Kronprinz Wilhelm analysierte die Fehler der deutschen Politik erst 1920, als die Dynastie der Hohenzollern verjagt war. Warten die derzeit regierenden und opponierenden deutschen Politiker mit vernünftigen Rezepten auch bis es zu spät ist?