Konrad Kustos: Schein gehabt
Heute nach längerer Zeit mal wieder ein Eintrag von Konrad Kustos, der zuerst auf „Chaos mit System“ erschienen ist. Aus der Hauptstadt Berlin. Als Beweis, daß an Spree und Panke nicht nur die faschistoiden Bevormunder am Werk sind, sondern auch die Freiheitsfreunde. Ein Sehtest mag ja noch in Ordnung gehen. Aber in einer Zeit, wo darüber diskutiert wird, das Rentenalter zu erhöhen, ist eine Fahrprüfung schon absurd. Für die Arbeit sind die Alten noch gesund genug, für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vielleicht nicht?
Für alle, bei denen das Seniorendasein noch weit entfernt ist, mag es wie eine gute Idee klingen: Nach den Wünschen der Verkehrsversicherer sollen Senioren ab 75 Jahren zum Fahrtest. Noch in diesem Jahr wollen die Versicherungskonzerne „Standards für eine Testfahrt entwickeln“. Wer allerdings Statistiken lesen kann, der weiß, dass Prüfungen oft wahre Leistungsfähigkeiten verfälschen, wer gelernt hat, dass sich Gründe für Fahrunfähigkeit nicht nur bei Älteren finden lassen, und wer alte Menschen vor Demütigungen und weiteren Erschwernissen bewahren will, dem stellen sich dabei die Nackenhaare auf. Für den derart ganzheitlich Denkenden entpuppt sich diese Initiative nicht nur als Versuch, den Gewinn der involvierten Unternehmen zu maximieren, sondern als eine weitere Einübung in den bevormundenden Nanny-Staat, also den gewollten Verlust von Freiheit und Selbstverantwortung.
Zwar wiegelt das Bundesverkehrsministerium noch ab, man setze eher auf freiwillige Kontrolle, doch schon beim Verkehrsgerichtstag in Goslar in der kommenden Woche wird das Thema Zwangsprüfung auf der Tagesordnung stehen. Den Versicherern schwebt vorerst „nur“ eine Kontrollfahrt an der Seite eines geschulten Fahrlehrers vor, wobei man sicher sein kann, dass die Fahrschulen sich über die zusätzliche Einnahme freuen werden. Ein so umfänglicher wie teurer Vorbereitungskurs wird sicher gerne zusätzlich angeboten.
Vorerst soll sich nur eine „Empfehlung“ aus einer solchen Testfahrt ergeben, doch kennt man die Eigendynamik solcher Prozesse, die in diesem Fall stark an die (bisher ebenfalls noch freiwilligen) Fahrtenschreiber in Privatfahrzeugen erinnern. „Langfristig wird eine solche Kontrollfahrt zur Pflicht werden müssen“, setzte der Chef der Unfallforscher des Versicherungsverbandes, Siegfried Brockmann, schon mal eine Duftmarke. Man hat dabei sofort die begeisterten Medien- und Regierungsberichte vor Augen, die eine solche exklusive deutsche Sicherheits-Diktatur als Vorbild für den Rest der Welt feiern würden. Und am Ende stehen dann Fahrverbote ohne jede Prüfung bei stetig niedriger werdenden Grenzwerten.
Die Begründung der Versicherer jedenfalls ist hanebüchen. Man räumt ein, dass Senioren absolut gesehen weniger Unfälle als Fahranfänger verursachen, argumentiert dann aber mit dem Detailkriterium, dass 75% der Unfälle mit Personenschaden, an denen über 74-Jährige beteiligt waren, von diesen verursacht worden waren. Bei Fahranfängern beschränke sich der Anteil der Verursacher auf bloße 70%. Doch wäre es nicht eine viel einfachere und aussagekräftigere Sicht auf die Statistik, wahrzunehmen, dass neun Mio. über 74-Jährige nur für 11,5% der Unfälle verantwortlich sind, aber die restlichen theoretisch fahrfähigen 57 Mio. mehr als 88% der Unfälle zu verantworten haben? Auf jede Million der Oldies kommen also 1,28% der Gesamtunfälle, bei im Vergleich 1,54% des gesetzlich fahrfähigen Restes mithin deutlich weniger.
Solche Zahlen erfassen natürlich alle nicht die Komplexität der Lage, und kein Mensch wird bezweifeln, dass die Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit dem Alter nachlässt. Aber es gibt eben viele individuelle Unwägbarkeiten, die durch eine zurechtgebogene Statistik nicht erfasst werden können und sollten. Es geht eben auch um Demütigung und Ungleichbehandlung, es geht um zusätzliche Erschwernisse im Leben für ohnehin durch ihr Alter schon gebeutelte Menschen, es geht um Willkür in Form der Auslieferung an einen kommerziellen und/oder seelenlosen Apparat.
In einer solchen Testfahrt ginge es dann um mehr als nur wie suggeriert um objektive Fahrsicherheit. Mit im Spiel wären auch Fahrschullehrer, die den sekündlichen Schulterblick, exakt dreimaliges Blinken beim Spurwechsel oder das demonstrative Einstellen eines schon eingestellten Spiegels fordern, obwohl der Kandidat vielleicht dies durch seine Erfahrung, seinen Realitätssinn, defensives Fahren oder andere Blickwinkel ersetzt, wenn er den Hals nicht mehr so weit drehen kann und die Gedanken langsamer fließen.
Auch andere Verkehrsteilnehmer-Kategorien neigen zu problematischen Protagonisten in ihrer jeweiligen Gruppe: unbeherrschte Jugendliche, einen zuhause anderen Fahrstil gewohnte Migranten, testosterongesteuerte Überflieger aus den Chefetagen oder die nicht unerhebliche Zahl überforderter Frauen, die zwar mit vorsichtiger Fahrweise die Statistik ihrer Gruppe schönen, aber den Verkehr immer wieder mal ins Chaos stürzen.
Die meisten Alten jedenfalls können ihre Fähigkeiten auch ohne Prüfung sehr wohl einschätzen, nutzen deshalb ihr Auto sowieso möglichst selten oder schaffen es ganz ab. Die anderen werden sich auch durch eine „Empfehlung“ nicht abhalten lassen. Das ganze Unternehmen der Versicherer reiht sich deshalb ein in eine Fülle „gutgemeinter“ Maßnahmen der Autoritäten zur Abschaffung des mündigen Bürgers, es ist letztlich nur eine Einübung in den Souveränitätsverzicht. Hinter den scheinbar vernünftigen Maßnahmen gegen eine Minderheit steht das Bemühen um eine Sicherheitsdiktatur, um die Kontrolle von der Wiege bis zur Bahre.
„Es geht eben auch um Demütigung und Ungleichbehandlung“
Eben nicht. Ganz im Gegenteil. Monetäre Interessen der Statistik-Akrobaten aus der Abteilung Lobbytum.
Versicherer: weniger Risiken = weniger Ausgaben = mehr Gewinne -> Wir tun etwas … Gutes
Staat: Gefahr der Sicherheit und des Lebens = Gerechtigkeitslücke = ich rette Euch = wählt mich = ich bin wichtig -> ich tue etwas … Gutes
Fahrschulen/TÜV etc.: junge Kundschaft schrumpft = Fahrschulgeschäft läuft schlechter = dringender Handlungsbedarf = Sicherheit muss verbessert werden -> siehe Politik
Mit Sicherheit wurde bisher in der Geschichte jeder „Müll“ und Irrsinn legitimiert. Erst wenn es zu spät, bemerken die meisten das. Aber dann sind Freiheit und Geld futsch.
In den USA betrachtet der Ami den Staat schon eher als seinen natürlichen Feind. Bei uns herrscht eher das Gegenteil.
Kopfschüttel.
Ich muß mich als Personenbeförderer über 60 alle zwei Jahre einer betriebsärztlichen Untersuchung inkl. Sehtest und Leistungsreaktionstest unterziehen, da kann man bei Privatfahrern ruhig ab 75 auch mal die Leistungsfähigkeit testen. Dann würden vielleicht manche Geschichten, wie letztens auf der A 57 zwischen Neuss und Krefeld, wo ein 84jähriger 40 km konsequent auf der falschen Richtungsfahrbahn unterwegs war und nicht einmal die Polizei bemerkt hat, die ihn davon abbringen wollte, nicht passieren. Oder der 93jährige, der in Leverkusen einen mit Blaulicht am Strassenrand abgestellten Rettungswagen frontal gerammt hat.
@Eloman, ich sehe das wie Sie. Auch wenn die Teilnahme am Straßenverkehr mit dem Auto für uns mittlerweile eine Normalität ist, so sollte man dennoch nicht vergessen, daß man dabei immer noch auch eine große Verantwortung hat. Der Schaden ist dann im Zweifelsfall nicht nur ein Blechschaden, sondern weit größer. Auch in anderen Berufen muß man sich ab einem gewissen Alter regelmäßig medizinisch untersuchen lassen oder es gibt da aus nachvollziehbaren Gründen klare Altersgrenzen zum Ausscheiden, in der Regel weit unterhalb dessen, mit dem im Alltag leider genügend Oldies mehr oder weniger als „Blindschleichen“, zumindest aber als klares Risiko unterwegs sind. Nicht weil sie per se ALLE schlechte Autofahrer sind, aber weil sicher mehr als man ahnt und vor allem diese selbst meinen, unterwegs sind, die die notwendige Übersicht und Reaktionsfähigkeit usw. nicht mehr besitzen und auch viele Regeln nicht mehr kennen. Es ist meiner Meinung nach eben kein Zufall, daß es zwar statistisch gesehen weniger Unfälle durch ältere Menschen geben mag, denn viele fahren nicht mehr so oft und vor allem nicht mehr so viele km wie z. B. allein jüngere Arbeitnehmer, die täglich viele km beruflich unterwegs sind und mimimieren damit natürlich das statistische Risiko, aber wenn, dann verursachen sie oft die absurdesten oder spektakulärsten Fälle, die in der Regel klar mit den o. g. Faktoren zu tun haben. Auf jeden Fall sagt die von Ihnen zitierte Statistik leider überhaupt nichts zum Thema aus, sondern verfälscht letztlich nur die Situation, denn relevante Faktoren wie Zahl der älteren Verkehrsteilnehmer und zurückgelegte km pro Fahrer ab einem gewissen Alter müßten da mit einfließen. Es macht eben einen statistisch einen gewaltigen Unterschied ob auf 9 Mio Oldies 1,28% der Unfälle kommen und diese dabei z. B. 10 Mio km im Jahr fahren und ob auf 58 Mio. Jüngere 1,54% Unfälle kommen, diese aber z. B. 10 Mrd. km fahren, um das ganze nur simpel zu verdeutlichen. Das Risiko von einem Oldie“verunfallt“ zu werden ist also statistisch mit jedem km die diese fahren deutlich größer.