Vom Agrar- zum Industriestaat
Die sogenannten „Gutmenschen“ finden, daß Deutschland ein Stück Sch… ist. Die Kanzlerin entriß ihrem Generalsekretär Gröhe das Deutschlandfähnchen. Diesen Selbsthaß zu teilen, gibt es keinen Anlaß, weil viele Phasen der deutschen Geschichte uns Grund zum Stolz geben. Dazu gehört die Periode zwischen den napoleonischen Kriegen und der Pensionierung des Fürsten Bismarck.
Die überhastete Etablierung der Demokratie in Frankreich hatte zum größten Blutbad seit der Bartholomäusnacht (August 1572) geführt. Die Fallbeile arbeiteten von 1792 bis 1794 fast rund um die Uhr, die Bevölkerung ganzer Landstriche wurde systematisch ausgerottet. Der Wohlfahrtsausschuss ordnete die Verwüstung und das Ausbluten der Vendée an und ließ vier Départements mit entsetzlicher Grausamkeit entvölkern. General Turreau gab den Befehl: „Wir müssen alle Männer vernichten, die zu den Waffen gegriffen haben und sie mit ihren Vätern, ihren Frauen, ihren Schwestern und ihren Kindern zermalmen. Die Vendée soll nichts anderes sein als ein großer nationaler Friedhof.“ Solche revolutionären Auswüchse nach der Vertreibung Napoleons in ganz Europa zu verhindern, bildete sich die Heilige Allianz.
„Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit! Ihre Majestäten, der Kaiser von Österreich, der König von Preußen und der Zar von Russland (…) erklären daher feierlich, dass die gegenwärtige Vereinbarung lediglich den Zweck hat, vor aller Welt ihren unerschütterlichen Entschluss zu bekunden, als die Richtschnur ihres Verhaltens in der inneren Verwaltung ihrer Staaten sowohl als durch in den politischen Beziehungen zu jeder anderen Regierung alleine die Gebote der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, die, weit entfernt, nur auf das Privatleben anwendbar zu sein, erst recht die Entschließung der Fürsten direkt beeinflussen und alle ihre Schritte lenken sollen, damit sie so den menschlichen Einrichtungen Dauer verleihen und ihren Unvollkommenheiten abhelfen.“
Kerngedanke der Heiligen Allianz war die Sicherung des Friedens nach den Erschütterungen der napoleonischen Kriege, die in ganz Europa 3,5 Millionen Tote gefordert und viele Landstriche verwüstet hatten. Frankreich wurde nach der Wiederherstellung der Monarchie in die neue Machtarchitektur mit einbezogen und trat der Heiligen Allianz 1818 bei. Die Fürsten Europas hatten eine ganz andere Herangehensweise an die Sicherung des Friedens als die Demokraten nach der Niederlage Deutschlands und Österreichs im Ersten Weltkrieg, als Deutschland aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen wurde.
Der Frieden war wiederhergestellt, dennoch gab es große wirtschaftliche und politische Schwierigkeiten. Kaum war Napoleon in Waterloo endgültig geschlagen worden, als 1816 der Sommer ohne Sonne zu einer Hungersnot führte. Ein Vulkanausbruch in Asien hatte weltweit zu Mißernten geführt. Viele Deutsche waren durch den Reichsdeputationshauptschluß und den Wiener Kongreß in neu gebildeten Staaten gestrandet, in diesen mußte sich zwischen der neuen Herrschaft und den Bürgern erst ein neues Machtgleichgewicht etablieren. Zuerst wurde in Nassau eine Verfassung eingeführt, es folgten Schwarzburg-Rudolstadt, Schaumburg-Lippe, Waldeck, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Hildburghausen, Bayern, Baden, Lippe-Detmold, Württemberg und Hessen-Darmstadt. Weitere Staaten folgten nach 1820.
In einigen Bundesstaaten verfügten die Abgeordneten bereits über freie Mandate. In den Herrenhäusern bzw. Ersten Kammern genossen dagegen Vertreter des Adels, Beamte und Militärs Vorrechte. Die Rechte der Kammern wurden zwar durch das Einberufungs- und Entlassungsrecht des Monarchen eingeschränkt, andererseits standen die Abgeordneten als Volksvertreter den von den Fürsten berufenen Regierungen gegenüber, ohne Rücksichten auf Mehrheitsverhältnisse nehmen zu müssen. Fraktionszwang gab es noch nicht. Die Parlamente berieten damals noch über Steuern oder Gesetzesentwürfe, im Gegensatz zum Bundestag, wo mehr oder weniger durchgewunken wird, was die Merkelatur ausheckt. Oder wo wichtige Entscheidungen am Parlament vorbei erfolgen. In einigen deutschen Bundesstaaten konnten die Abgeordneten über den Staatshaushalt insgesamt befinden.
In dieser Zeit der Konsolidierung von staatlichen Strukturen kam es zu einer unerfreulichen Entwicklung. Nach der Vertreibung Napoleons hatten Studenten, Turner, Krämer und Handwerker den Wunsch, daß die schöne Zunftherrlichkeit des Heiligen Römischen Reiches wiederkehren möge. Die gestärkten deutschen Territorialstaaten dachten aber nicht daran, ihre frisch erlangte Macht zu beschneiden. Viele rechtliche Regelungen waren neu, so auch die Rechte der Juden. Es kam in ganz Deutschland zu antisemitischen Unruhen.
Ihren Namen erhielten die 1819 ausbrechenden Unruhen durch den mehrfachen Hetzruf „Hep“ oder „Hepp“, mit dem die Studenten, Handwerker und Krämer sich sammelten und Juden bedrohten. Am Abend des 2. August 1819 begannen die Unruhen in Würzburg. Zu weiteren Hepp-Hepp-Unruhen kam es in Düsseldorf, Danzig, Bamberg, Bayreuth, Regensburg, Pottenstein, Ebermannstadt, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg, Breslau, Grünberg, Rotenburg a.d.F., Königsberg, Lissa, Koblenz, Hamm, Kleve, Dormagen, Frankfurt, Darmstadt, Kreuznach und Hamburg.
Damit ist angerissen worden, daß es nach 1815 nicht möglich war, die Uhr auf 1788 zurückzudrehen. Ein Vierteljahrhundert französische Raserei hatte die Welt verändert. Nationalismus und Antisemitismus waren neue Herausforderungen. Die Hep-hep-Unruhen hatten gezeigt, daß einige unpopuläre Maßnahmen erforderlich waren wie die Karlsbader Zensur-Beschlüsse, die Köpfung des Kotzebue-Mörders Karl Ludwig Sand, die Inhaftierung des Franzosen- und Judenfeinds Friedrich Ludwig Jahn und die Verbannung Napoleons. Europa kam danach bis 1848, also 30 Jahre lang zur Ruhe. Faktisch aufgekündigt wurde die Vereinbarung erst durch den Krimkrieg, in welchem Frankreich mit seinem alten Bundesgenossen – der Türkei – und mit Großbritannien Krieg gegen Rußland führte.
Der wirtschaftliche Wiederaufstieg zog sich zunächst in die Länge. Mit der heutigen Technik kann man einen Acker binnen eines Jahres wieder urbar und fruchtbar machen, mit den Mitteln der Vorfahren dauerte das ein Jahrzehnt. Im Handwerk, in der Industrie, im Verkehrswesen und im Bergbau herrschte Kapitalmangel, heute im Zeitalter des Anlagenotstands ein kaum noch zu verstehender Umstand. Staaten und Haushalte waren nach 25 Jahren Krieg überschuldet. Der Abbau dieser Last dauerte bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts.
Trotzdem begann eine Zeit des Aufschwungs, die kulturell und politisch bis 1890 reichte, wirtschaftlich und auf dem Gebiet der Wissenschaft sogar bis 1914. Gegenüber der vornapoleonischen Zeit explodierte die Zahl wichtiger Erfindungen. 1817 erfand Freiherr Drais von Sauerbronn das Velociped. 1826 wurde von Joseph Dressel die Schiffsschraube ersonnen. Ein Jahr später entdeckte Georg Simon Ohm das Ohmsche Gesetz. 1833 erfanden Wilhelm Eduard Weber und Carl Friedrich Gauß den Schreibtelegraf. 1835 fuhr die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. 1851 verwendete Hermann von Helmholtz erstmalig den Augenspiegel. 1854 erfanden Julius Plücker und Heinrich Geißler die Vakuumröhre, im selben Jahr Heinrich Goebel die Glühbirne. Ein Jahr später hatte Robert Bunsen den ersten Bunsenbrenner gebaut. 1857 veröffentlichte Gregor Mendel die Vererbungslehre. Robert Wilhelm Bunsen und Gustav Robert Kirchhoff kamen 1859 auf die Spektralanalyse.1861 erfand Johann Philipp Reis den Fernsprecher. 1872schuf Ferdinand Julius Cohn die Grundlagen der Bakteriologie. 1876 erfand Nikolaus August Otto den Ottomotor. 1879 fuhr in Deutschland der erste elektrisch betriebene Zug, 1881 die erste Straßenbahn, von Werner von Siemens produziert. 1884 erfand Gottlieb Daimler den Benzinmotor, ein Jahr später das Motorrad. 1885 und 1886 bauten Carl Friedrich Benz, Gottlieb Wilhelm Daimler und Wilhelm Maybach die ersten Automobile.
Die Kunst kam am schnellsten wieder auf die Beine, allerdings waren die Werke des Biedermeier in ihren Herstellungskosten doch sparsamer als die des Rokoko oder des Empire. Als bildende Künstler des Biedermeiers und des folgenden Realismus blieben bis heute die Maler Moritz von Schwind, Friedrich Gauermann, Eduard Gaertner, Adolph Menzel, Ludwig Richter, Carl Spitzweg, Ferdinand Georg Waldmüller und Caspar David Friedrich in Erinnerung. Biedermeierkomponisten waren in der Klaviermusik Robert Schumann und bei Liedern Franz Schubert. Genauso populär waren die Lieder Wilhelm Müllers. Im Nachbiedermeier spielte Franz Liszt die überragende Rolle. Auch hier: Liedersingen und Klavierspielen waren deutlich sparsamer als die Unterhaltung durch ganze Orchester.
Beliebte Schriftsteller waren Franz Grillparzer, Wilhelm Hauff, Karl Leberecht Immermann, Nikolaus Lenau, Eduard Mörike, Johann Nepomuk Nestroy, Friedrich Rückert und Friedrich Hebbel. Zu erwähnen ist natürlich auch Heinrich Heine, obwohl er sich überwiegend in Frankreich aufhielt. Nach 1850 begann die Schaffensperiode von Heinrich Raabe und Gottfried Keller. Bis 1832 blieb Goethe auf dem Olymp der deutschen Dichtkunst hocken, seine Indifferenz zu Zeitfragen wurde ihm zuweilen übelgenommen, zum Beispiel von Ludwig Börne.
Das Kind rückte in den Mittelpunkt des Interesses. Die Spielzeugindustrie erlebte ihre erste Blüte. 1840 gründete Friedrich Fröbel in Bad Blankenburg den ersten Kindergarten. Heinrich Hoffmann und Wilhelm Busch schrieben erste Kinderbücher bzw. Kindergeschichten.
Bekannte Architekten der Epoche war der Berliner Karl Friedrich Schinkel und der Wiener Joseph Kornhäusel, der seine Bauten vor allem in Wien und Baden bei Wien hinterließ. Fürst Pückler aus Bad Muskau war der große deutsche Landschaftsarchitekt.
Nach 1820 galten der Backen-, Oberlippen- oder Kinnbart nicht mehr als revolutionär, nur der Vollbart galt als Symbol des Liberalismus oder noch schlimmerer Gesinnungen. Das änderte sich im Laufe der Zeit. Auf einer Fotografie des preußischen Generalstabs, welches 1871 in Versailles aufgenommen wurde, sieht man die Rauschebärte bei der herrschenden militärischen Elite.
Mit der Reichseinigung 1871 erfolgten wichtige wirtschaftliche und politische Weichenstellungen zu mehr Freiheit. Erstmals wurde in allen Bundessaaten die Gewerbefreiheit etabliert, zweitens ein allgemeines Männerwahlrecht für den Reichstag. Wie vordem das Schicksal der deutschen Industrie am seidenen Faden hing sieht man an der Geschichte von Carl Zeiss. Als Zeiss sich in den 40er Jahren als Mechaniker selbständig machen wollte, scheiterte das zunächst an den Zunftbestimmungen. Gewerbefreiheit und Marktwirtschaft waren im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, genauso wie in den meisten anderen Bundesstaaten Fremdwörter. In Weimar gab es schon zwei Mechaniker und Zeiss bekam als dritter keine Lizenz. In Jena bewarb er sich wiederum und auch in dieser schönen Stadt gab es schon zwei Mechaniker. Nachdem er den Großherzog persönlich bemüht hatte, welcher übrigens sein Pate war, bekam er 1846 eine Berufszulassung als dritter Mechaniker in der Saalestadt. Mit Vitamin B (B=Beziehungen), wie man das später nannte.
Der zentrale Wachstumsmotor für die Industrialisierung in Deutschland war der Eisenbahnbau. Die von diesem ausgehende Nachfrage förderte die Entwicklungen in den drei aufs engste miteinander verbundenen Leitbranchen: dem Bergbau, der Metallerzeugung und dem Maschinenbau. Im Jahr 1840 gab es etwa 580 Kilometer, um 1850 bereits über 7000 Kilometer und 1870 fast 25.000 Streckenkilometer. Zu den großen Herstellern von Dampfmaschinen und Lokomotiven zählten die Maschinenfabrik Esslingen, die Sächsische Maschinenfabrik in Chemnitz, August Borsig in Berlin, in München Josef Anton Maffei, Hanomag in Hannover, Henschel in Kassel und Emil Kessler in Karlsruhe. Die Firma Borsig, lieferte 1858 die tausendste Lokomotive aus. 1850 wurden in Deutschland 0,2 Millionen Tonnen Roheisen produziert, 1872 bereits 1,6 Mio. Tonnen. War „Made in Germany“ zunächst noch ein Markenzeichen für Billigware, avancierte es im Laufe der Zeit zum Qualitätssiegel. Am Ende der Regierungsperiode von Reichskanzler Bismarck war der Wohlstand in allen Schichten deutlich gesteigert worden und die Arbeitslosigkeit pendelte um 1890 bei 2 %.
Zum Schluß rundet ein Blick auf die Politik das Bild ab. Die Heilige Allianz war mit dem Krimkrieg und dem Ausscheiden Frankreichs definitiv beendet. Es entstanden außenpolitische Risiken. 1859 führte Frankreich schon wieder Krieg in Italien und annektierte Savoyen. 1866 kam es zum Krieg zwischen Preußen und einigen Verbündeten gegen den Deutschen Bund unter Führung Österreichs. In der Folge wurde nach dem Sieg Preußens der Deutsche Bund aufgelöst und ein Norddeutscher Bund unter preußischer Führung gebildet. Dieser wurde 1871 von Frankreich angegriffen und es kam zum Deutsch-Französischen Krieg, der mit der Niederlage und Gefangennahme Napoleons III. endete. 1876 marschierte Rußland bis an den Bosporus und zwang der Türkei einen ungünstigen Frieden auf. Viel außenpolitisches Porzellan war zerschmissen und Reichskanzler Otto von Bismarck war bis zu seiner Ablösung 1890 mit außenpolitischen Reparaturarbeiten beschäftigt. Er veranstaltete 1878 den Berliner Kongreß, auf dem Rußland, die Türkei, England und Österreich ihre Beziehungen auf dem Balkan ordneten und er arbeitete am Dreikaiserbündnis zwischen Rußland, Österreich und Deutschland, um ein fragiles Machtgleichgewicht herzustellen und zu erhalten. Das letzte Jahrzehnt seiner Kanzlerschaft war wieder ein Friedensjahrzehnt in Europa.
Ein wichtiger rechtspolitischer Erfolg wurde die Arbeit am Bürgerlichen Gesetzbuch, die 1874 begann und 1896 abgeschlossen wurde. Mit der Gründung des Deutschen Reiches waren auch die letzten Binnenzölle in Deutschland weggefallen.
Für Deutschland war die Zeit von 1815 bis 1890 die Periode des Wiederaufbaus, der industriellen Revolution und einer wissenschaftlichen Blüte. Ein ganzes Menschenalter Fortschritt am Stück.
Danke für Ihren Parforceritt durch diese wunderbare Epoche deutscher Geschichte! Die Fülle an Tatsachen verdeckt meines Erachtens jedoch etwas die Gründe dieser, gewissermaßen, kambrischen Explosion und ich könnte mir gut eine Fortsetzung vorstellen bezüglich der Schilderung einzelner herausragender Forschungs- und Entwicklungsleistungen (bis in die 1950iger Jahre übrigens). mfG!
Geschichte kann so interessant sein! Wirklich schade, dass es den meisten Schülern in der Schule nicht so wirklich schmackhaft gemacht wird, weil man dadurch auch sehr viel über die aktuele Situation und für die Zukunft planen kann. Ein Zitat, was mir dazu einfällt: „People do care more about what happened in the last two days than in the last 2000 years.“ (keine Ahnung von wem…) Wenn sich jemand für Werkzeuge interessiert kann er sich übrigens gerne bei mir melden.
Eine super Führung durch die Geschichte. Unsere Kinder sollten aus unserer Geschichte lernen, sowie wir es als Kinder unserer Eltern sollten.