Die Konservativen sind nicht die Kommenden – eine Provokation
Von Helmut Roewer
Falls Sie einen Konservativen kennen, so besuchen sie ihn ohne Scheu. Tun Sie es bald, denn… man
weiß ja nie. Falls Sie einen Konservativen kennen, vermeiden Sie es, ihn danach zu befragen, was das
denn sei, so ein Konservativer. Nehmen Sie stattdessen ein Schlückchen von seinem in
überschaubaren Quanten angebotenem Roten, schlürfen den mit aufgesetztem Kennerblick und
lassen sich die familiären Sammlungen zeigen, Stocknägel, Flinten, Krawattennadeln oder so. Freuen
Sie sich im Übrigen an dem wohltemperierten Gespräch, das nur ab und an die Grenzen des
Politischen streift und von dort mit kurzem Augen-zum-Himmel-heben wieder weggelenkt wird.
Sie werden sich höflich verabschieden und auch mit ebenderselben Höflichkeit verabschiedet
werden, und wenn sie den angenehmen Abend Revue passieren lassen, dann werden Sie sagen:
Schön, dass es sie noch gibt, diese Konservativen.
Eins
Falls Sie einen solchen Konservativen kennen, werden Sie sich fragen, warum Sie zustimmen sollten,
wenn man Sie fragt, ob Sie auch konservativ sind. Sie werden erst leise und dann schließlich laut
sagen: Jungs, mit euren Stocknägeln, Flinten und Krawattennadeln werdet ihr nichts mehr reißen
können, weil sich niemand außer euch selbst dafür noch erwärmen kann.
Doch kaum haben Sie das ausgesprochen, rauscht es im Blätterwald. Nein, so wäre es vor
dreißig, vierzig Jahren gewesen, jetzt säuselt es noch bestenfalls in den vertrockneten Blättchen. Man
räuspert sich und schließt sich zum Kampfe zusammen. Es gilt einen Nestbeschmutzer dingfest zu
machen. Wenigstens dafür reicht die Puste noch aus. Denn nichts ist schlimmer, als in der Idylle der
Belanglosigkeit gestört zu werden.
Falls Sie, der Kritiker, jetzt überhaupt noch zu Wort kommen, werden Sie vielleicht fragen: Habt
ihr sonst keine Feinde? Doch das geht im Schwall der Aufgeregtheiten unter. Jetzt räuspern sie sich
und schaffen sich schließlich mit starker Stimme Gehör. Sie rufen: Na, dann erklärt doch mal ohne
Geschwafel, wofür ihr steht. Die Antwort kommt prompt: Wir wollen das Bewahrenswerte
bewahren. – Aha, soso. Das wollen eigentlich alle. Alle ihre Pfründen. Na, dann bewahrt mal schön.
Sind also alle konservativ. Jeder auf seine Weise.
Zwei
Zur vorletzten Jahrhundertwende gab es in Berlin (wo sonst wohl?) eine laute Gruppe von Kerlen und
einigen wenigen Maiden, die wollte alles auf den Kopf stellen. Sie nannte sich Die Kommenden. Nun,
was schufen sie? Nichts, denn der Weltkrieg mit seinem katastrophalen Ausgang nahm ihnen die
Arbeit ab. Er stellte alles auf den Kopf. Die Kommenden verschwanden im Sprachgewirr, und es
waren ganz andere, welche die Macht an sich rissen.
Nach einem zweiten verheerenden Weltkrieg trat eine Pause ein, in der Wirrköpfe nicht
gebraucht wurden. Manche nannten die, die jetzt agierten, die Vernünftigen. Andere sprachen von
den Konservativen. Dabei zeichneten sich diese keineswegs durch das Bewahrenwollen aus. Sie
wollten ändern, und zwar so grundlegend, dass es wieder bergauf ging. Das gelang, worauf wieder
viel Platz war für all die Wirren, die sich als die Kommenden empfanden. Und sie kamen, weil kein
Krieg sie hinderte. Und wie sie kamen, sie tun es heute noch. Jetzt sind sie die wahren Konservativen,
denn sie wollen bewahren, was sie sich selbst geschaffen haben, auch wenn klar ist, dass ihr Weg in
den Abgrund führt.
Stellen Sie sich vor, dass es Männer und Frauen gibt, die das verhindern wollen. Und stellen Sie
sich vor, dass diese sich als die Kommenden bezeichnen und einfach loslegen. Ich weiß schon, Sie
können sich das nicht vorstellen. Vor allem diejenigen nicht, die sich selbst als die Konservativen
bezeichnen.
©Helmut Roewer, Januar 2025
Nach der ersten Klasse war ich kein Sozialist, nach dem Austritt aus der CDU war ich kein Konservativer, nach einem Schnupperkurs bei der FDP war ich kein Liberaler. Die Leute, die etwas bewegt haben, waren meistens nicht einordenbar. Ein gutes Beispiel Bismarck. Er hat eine liberale Wirtschaftsordnung eingeführt, sozialistische Renten, gilt aber als Konservativer. Warum eigentlich? Weil er dem Kaiser gedient hat?
Womöglich sind es die Medien, die andere immer in Schubladen einsortieren. Otto Normal würde vermutlich sagen, dass er einer der Guten – im Sinne von gut für das Land – wahr.
Mumpitz, die CDU war nie konservativ – das ist alte Zentrum plus die opportunistischen kleinen Nazimitläufer die sich nach 45 angeschlossen haben.
„Konservativ“ heißt einfach „nicht revolutionär“, bezieht sich also auf das, was die Parteigänger mit dem Staat zu tun gedenken, wenn sie an der Macht sind.
Vor dem Godesberger Programm war die SPD noch schaumgebremst revolutionär, waren die westdeutschen Katholiken konservativ (lateinische Messe, Abtreibung, großzügige Inzestregelungen bei den Bauern).
Und, wie aus dem Umfeld von Adenauer (immerhin Staatsrat in republikanischen Zeiten) verlautete, hatten die Mönche, bei denen die Urväter der CDU herumlungerten, immer satt zu essen. Und Meßwein.
Nach dem „Schnupperkurs bei der FDP war ich kein Liberaler“. Was hat diese Partei mit dem (klassischen) Liberalismus zu tun, wieso brauchen Sie überhaupt Parteien für ein Weltbild? Übrigens wollte ich Ende 89 im Betrieb eine „blaue Partei“ ins Leben rufen (Die Radfahrer), wurde aber von den Grünen links überholt – köstlich.
Wie wär’s mit einer Gruppierung „Die Normalen“ oder „Die Pragmatiker“ oder „die normalen Pragmatiker“ ?
Die Frage ist doch nicht die, wer denn da kommen wird, sondern die, wie man die Blockierer und Zerstörer los wird.
Krieg ist eine Möglichkeit – allerdings keine erstrebenswerte und noch dazu auch keine zuverlässige.
Man muss sich nur die Absurdität der heutigen Konservativen vor Augen halten, eine „dringend notwendige Politikwende“ sei nicht nur notwendig, sondern nur sie selbst – seit mehr als 20 Jahren in Persona für den desolaten Zustand verantwortlich – seien dazu in der Lage.
Und 30% scheint das auch noch zu gefallen.
Wäre in diesem Lande überhaupt noch sowas wie ein Putsch des Militärs als letztes Mittel möglich ?
Ich glaube nicht.
Einfach zurück zur Lage vor Bismarck. Kritische Masse der Deutschen weg, da kein Nationalstaat mehr – und gut isses!
Ganz ohne Blutvergießen wird das wahrscheinlich nichts werden, an einen großen Krieg denke ich aber nicht, eher so IS-Gangland-Schießereien und Sezessionen.
Man wird sich wundern, wie leicht das gehen kann.
Genau wegen dieser logischen Probleme definiere ich mich nicht als Konservativer. Für mich sind zwei Punkte wichtig: Erstens hart am Wind der Wahrheit zu segeln und zweitens ständig darum bemüht zu sein, mehr zu werden, als man ist. Wenn Deutschland nach diesen beiden Maximen handeln und regiert werden würde, dann wären wir fit für jedwede Zukunft. Bewahrer dessen, was ist klingt mir zu sehr nach Stagnation.
Signori, vielen Dank für die Anregungen. Das Thema verdient weiterentwickelt zu werden.
Zu den irritierenden Umbrüchen: Ich vermute, dass Autor Roewer diesen Text in einem Format abliefert (PDF?), der beim Einkopieren in den Blog zu diesen Umbrüchen führt. Ließe das sich vielleicht im Interesse der Leser vermeiden?
Zum Begriff „konservativ“: Solange nicht klar definiert wird, was damit gemeint ist, lässt sich darüber viel schimpfen. Ist der geistig versteinerte Senior „konservativ?“ Oder ist es der Opponent von wetterwendischen Opportunisten? Oder jemand, der eine Familie als Mann, Frau, Kinder definiert? Muss man nicht zwischen strukturkonservativ und wertekonservativ unterscheiden? Was wäre das? Ist es ein Konservativer oder ein Progressiver, der sagt, es müsse sich alles ändern, damit alles so bleiben könne, wie es ist? Ist jemand, der die lebendige Demokratie gegen die ans totalitär-statisch grenzenden Ansprüche der Grünen verteidigt, konservativ?
Die These dieses Artikels braucht mehr geistige Tiefe.
WordPress hat ein Update gehabt, das man nur als Verschlimmbesserung bezeichnen kann. Das ist leider kein Einzelfall.
Danke für die Antwort. Sie haben mein Verständnis. Dieser technische Kleinkram kann zeitlich enorm aufwändig sind, auch wenn es nach außen nach nichts aussieht. Viel Erfolg!