40.000 Leute einfädeln ohne Funktelefon
Der Erste Mai war vor allem ein Hochamt deutscher Organisationskunst. Nur mit Ablaufplänen, Uhren und ohne Mobiltelefonie wurden in Weimar jedes Jahr 40.000 Leute in vorbestimmter Reihenfolge an der Tribüne auf dem Goetheplatz vorbeigeschoben.
Schon eine Woche vorher wurden im Neuen Deutschland die Sprüche veröffentlicht und die Plakatmaler begannen hurtig mit der Arbeit. Gleichzeitig bekam jeder Haushalt einen Zettel mit den Stellplätzen für die Schulen und Betriebe in den Briefkasten. Das waren eingermaßen breite und lange Straßenzüge. Da begann dann immer die Ausgabe der Frühstücksbeutel und die Diskussion, wer die Fahnen, Führerporträts und Spruchbänder tragen mußte.
Dazu gibt es eine schöne Ankedote. Abramowitsch sollte das Porträt von Tschernenko tragen. Er wehrte sich: „Vor zwei Jahren habe ich Breschnjew getragen, er ist im selben Jahr gestorben. letztes Jahr habe ich Andropow getragen, er ist im selben Jahr gestorben.“ Seine Kollegniki: „Abramowitsch, du hast goldene Hände,“ Tscherneko war übrigens wirklich im selben Jahr gestorben, nachdem Abramowitsch ihn getragen hatte.
Die Kunst der Instrukteure war es, acht Marschsäulen so ineinanderzuschieben, daß sie in der richtigen Reihenfolge an der Tribüne auf dem Goetheplatz vorbeikamen. Denn dort verkündigte ein Sprecher die Leistungen in der Planerfüllung für den jeweiligen Betrieb, Stachanowbrigaden wurden extra erwähnt, auch Sammlungen für bedrohte Völker in Nikaragua:
„Wir begrüßen die Genossenschaftsbauern der LPG „Ulrich von Hutten“, die ihren Plan bereits zum 30. April mit 41,4 % erfüllt haben. An der Spitze marschiert die Brigade Schweinebauch, die hohe Leistungen im Plan Wissenschaft und Technik bei der Einführung der neuen automatischen Rübenhacken in die Produktion erreicht haben. Wir danken den Werktätigen der Brigade Schweinebauch für ihre hohen Leistungen, die nur unter Anwendung neuester sowjetischer Erfahrungen erreicht werden konnten, hoch lebe die deutsch-sowjetische Freundschaft, sie lebe hoch, sie lebe hoch, sie lebe hoch…..Wir begrüßen die Werktätigen des VEB Dreikäsehoch, die hohe Leistungen bei der Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Käsesorten erbracht haben. Zusätzlich zum Plansoll wurden im Rahmen der Konsumgüterproduktion täglich 20 Blumenampeln produziert. Die Brigade Mäusezahn unterstützt den Freiheitskampf des chilenischen Volkes mit einer Spende von 144 Mark. Hoch lebe die antiimperialistische Solidarität, sie lebe hoch, hoch, hoch. Wir begrüßen die Schüler und das Lehrerkollektiv der Pestalozzi-Oberschule. Zu Ehren des 11. Plenums der Partei der Arbeiterklasse haben die Schüler der Klasse 7a 3,7 Tonnen Altpapier gesammelt. Der Erlös wurde für das Pfingstreffen der FDJ in Berlin zur Verfügung gestellt………“
Nach einem peniblen Zeitplan setzten sich die Marschblöcke auf vorbestimmten Routen in Bewegung, wobei es wegen der Zusammenfädlung von jeweils zwei Blöcken immer zu Stockungen kam. Andererseits mußten diejenigen, die gerade Vorfahrt hatten, hektisch in Bewegung gebracht werden. Den übelsten Job hatte der Manager, der den finalen Zusammenbau am Anfang der wegen der rußgeschwärzten Fassaden sog. Gaskammer (Karl-Liebknecht-Straße, vormals Adolf-Hitler-Straße, vormals Bürgerschulstraße) zu erledigen hatte. Er fuchtelte wie ein Kranker mit seinen Ärmchen, um die jeweils richtigen Leute in Bewegung zu bringen und durch die Gasse zu jagen.
Alles ein ausgeklügeltes System, was die Grünen wegen ihrer Bildungsferne und Disziplinlosigkeit heute nicht mehr auf die Rille bekommen würden. Die SED war wesentlich zielgerichteter, gebildeter und leistungsliebender, als die flatterhaften Bohémiens der Ampel. Daß sie trotzdem gescheitert ist – eine Folge ausländischer Besatzung und der damit einhergehenden Planwirtschaft.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst:
Und auf vorgeschriebnen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur;
Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle. – Schafsnatur!
(Geh. Rath v. Goethe)
Was wollen Die ? Höherer Lohn bei weniger Arbeitszeitund, was war da noch ? Ah ja, Sicherheit ! Irgentwie hat man die Gerechtigkeit jetzt glatt vergessen! HaHaHaHaHa…
Das ist eine sehr schöne Beschreibung, die uns 35 Jahre nach dem Systemabsturz der SED heute vor Augen führt, wie es wirklich in unseren Kreisstädten am 1. Mai, dem „internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse und der mit ihr verbundenen Schichten aller Werktätigen“, zuging. Also ehrlich, oft habe ich es damals gehasst, von nachbarschaftlichen Blockwarten kontrolliert zu sein, ob ich von meinem Balkon auch ordnungsgemäß geflaggt und demonstriert habe.
Zugleich aber fand ich es schön, nachmittags bis in den Abend hinein durch die Straßen und Gastwirtschaften meiner heimatlichen Kreisstadt zu wandeln, mit angetrunkenen Werktätigen und Blockflöten-Funktionären das Für und Wider der gehaltenen Reden zu diskutieren und dabei dem „Volk aufs Maul“ zu schauen. Das war natürlich nicht ungefährlich, denn Horch-und-Guck saß immer mit am Biertisch.
Da traf ich einige mir bekannte Genossen von BPO-Leitungen (BPO = Betriebparteiorganisation) der SED, die mir als linke Radikalinskis bei öffentlichen Auftritten wohl bekannt waren.
Aber im Vollrausch gaben sie so manches von sich, was mir ziemlich grenzwertig vorkam.
Kleinere Kinder und Betrunkene sagen im Zweifel das, was sie wirklich denken. Die Funktionäre erlebten schließlich hautnah, wie es in den VEB praktisch zuging. Ich als Lehrer hatte davon keine Ahnung, ich hatte nicht solche Probleme wie die, die von der Planwirtschaft betroffen waren.
Und ich verstehe erst jetzt, was Walter Ulbricht erklären wollte, als er den Genossen im SED-Politbüro sagte: „Es muss alles demokratisch aussehen, aber wir müssen es auch unter Kontrolle haben.“
Uhren? Aber (noch) nicht aus dem Richemont-Zoo, sondern aus den heimischen VEB. Ein Kollege aus Westberlin zeigt anfangs der 80er immer ganz stolz seine Ruhla-Quarzomatik.
Es bleibt bemerkenswert und unerforscht, dass Luxusuhren vor 1990 ein schattenhaftes Dasein führten (auch in der Schweiz) und danach plötzlich der Turbo angeworfen wurde. Von welchem Geld?
Warum erst zur Schule? Kommt gleich zu uns! Die Deutsche Volkspolizei
Das war ein Spruch auf einem Plakat zum 1. Mai. Leider wurde es nicht zugelassen.
Etwas Ähnliches erlebte ich am 1. Mai 1988 in einem Demonstrationszug. Vor dem Erreichen der der Rednertribüne wurde von Beauftragten aufmerksam bewertet, was auf den selbstgefertigten Trageschildern der Demonstranten geschrieben stand. Einer hatte ein Trageschild bei sich mit dem Text:
„Ich repariere Produkte des VEB Robotron und leiste devisenfrei meinen Teil für unsere sozialistische Volkswirtschaft – tausche 100 Aluminium-Chips gegen 10 Hartmetall-Chips“.
Etwa 500 m vor der Tribüne wurde der Mann aus dem Demonstrationszug herausgenommen. In der Tagespresse war darüber aber nicht berichtet worden.
Ich staune über die detaillieren Erinnerungen, das ging mir damals am Arsch vorbei. (Übrigens gab es keine Pflicht zur Teilnahme.) Später hat man darüber geschmunzelt, heute bleibt das Lachen im Halse stecken.
Erst als ich im Landkreis wohnte war es freiwillig. Am Ersten Mai fuhren nämlich die Arbeiterbusse nicht in die Stadt.
„Erst als ich im Landkreis wohnte war es freiwillig.“
Beispiel (Großstadt): Ein Kollege ging nie zur Demo (ohne einen Ruß darum zu machen), mußte am nächsten Werktag jeweils zum Oberchef (Warum blabla? – Gartenarbeit / Feiertag). Alle haben geschmunzelt, keine Schikanen, aber natürlich auch keine Karriere.