Entbürokratisierung auf Brüsseler Art

Ständig ist von Entbürokratisierung die Rede, was derzeit in Brüssel und Berlin vorangetrieben wird, ist das komplette Gegenteil. Im Folgenden eine Übersicht der Stiftung Familienunternehmen über neue Berichtspflichten, Stand Mai 2023.

EU-Ebene

  1. CSRD / nachhaltige Finanzierung: Die neue Taxonomie-Verordnung der EU schafft ein Klassifizierungssystem für wirtschaftliche Tätigkeiten gemessen am Kriterium der Nachhaltigkeit. In Verbindung mit der im Januar 2023 in Kraft getretenen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) führt sie zu Berichtspflichten in massivem Umfang (bis zu etwa 2000 Berichtspunkte durch die CSRD). Deren inhaltliche Ausgestaltung durch EFRAG und EU-Kommission dauert aktuell an. Die EU-Kommission selbst beziffert den mit dem anfänglichen CSRD-Vorschlag verbundenen durchschnittlichen Aufwand pro Unternehmen allein für das erste Jahr mit rund 100.000 Euro1, was deutlich mehr als einer Vollzeitstelle entspricht.
  2. „Deforestation“: Das kürzlich verabschiedete EU-Gesetz zum Entwaldungsschutz sieht neue Sorgfaltspflichten für Unternehmen vor. Erfasst sind z.B. Holz, Rinder, Kautschuk, Kaffee oder Kakao. Der Verkauf betroffener Produkte in der EU setzt für Unternehmen eine Sorgfaltserklärung von Lieferanten im Hinblick auf den Nicht-zusammenhang zur Entwaldung im Ursprungsland voraus. Daneben treten Nachweispflichten, was den Einklang der Produkte mit den rechtlichen Vorgaben im Ursprungsland anbelangt.
  3. Entgelttransparenz: Im Frühjahr 2023 hat das EU-Parlament neue Regeln zur Entgelttransparenz verabschiedet. Auf viele Unternehmen kommen damit Auskunfts- und wiederkehrende Berichtspflichten zu, etwa was geschlechterbezogene Lohnunterschiede anbelangt.
  4. Transparenzregister / Geldwäscherichtlinie: Das EU-Parlament will die Schwelle für wirtschaftlich Berechtigte senken. Wenn das so kommt, würden weitere Personen von der Eintragungspflicht in das Transparenzregister erfasst. Schon jetzt müssen allein in Deutschland mehr als zwei Millionen Unternehmen ihre wirtschaftlich Berechtigten melden.
  5. EU-Lieferkettenrichtlinie: Die EU will noch in diesem Jahr eine neue Richtlinie verabschieden, welche massive Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang der gesamten – oder jedenfalls erheblichen Teilen der – Lieferkette vorsieht. Diese könnten noch deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen.
  6. SCIP-Datenbank: Diese stammt aus der EU-Abfallrahmenrichtlinie. Unternehmen müssen seit 2021 umfangreiche Informationen zu diversen Stoffen in Artikeln oder Gemischen in die Datenbank der Europäischen Chemikalienagentur eintragen.
  7. REACH / CLP: Zwar hat die EU-Kommission eine angekündigte Revision der europäischen Chemikalienverordnung REACH auf die kommende Legislatur verschoben. Doch erste Überlegungen der Kommission sehen vor, die Genehmigung der Nutzung zahlreicher Stoffe mit einem nötigen Nachweis zu verbinden, dass es zu den jeweiligen Stoffen keine Alternativen gibt. Auch nimmt die Anzahl der von den Verordnungen REACH und CLP erfassten chemischen Stoffe ständig zu. Damit verbundene Kennzeichnungs-, Informations-, Registrierungs- und Aktualisierungspflichten erzeugen ebenfalls erheblichen bürokratischen Aufwand.
  8. Industrieemissionen: Die Industrieemissionsrichtlinie durchläuft derzeit einen Novellierungsprozess. Zusätzliche Industrieanlagen dürften damit unter die Richtlinie fallen. Geplante Anforderungen stellen außerdem die Genehmigungsfähigkeit zahlreicher Anlagen in Frage. Genehmigungen wären potenziell mit spezifischen Anforderungen eines verpflichtenden Systems zum Umweltmanagement für Anlagen verbunden.
  9. Bodenschutz: Die EU-Kommission will noch in diesem Jahr eine Richtlinie zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Böden vorschlagen. Darin wird die Aufnahme eines so genannten Bodenaushub-Passes mit entsprechenden Informationsanforderungen erwartet.
  10. Ökodesign / Produktpassregister: Die EU-Kommission hat im Frühjahr 2022 einen Vorschlag einer neuen Ökodesign-Verordnung vorgelegt, welcher noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Darin vorgesehen ist ein digitaler Produktpass zur Aufnahme nachhaltigkeitsbezogener Informationspflichten für diverse, sukzessiv erfasste Produkte. Die Informationen umfassen u.a. Umweltauswirkungen einschließlich des CO2-Fußabdrucks. Diese Informationen sollen ebenfalls in einem Produktpassregister aufgenommen werden.
  11. Verpackungen und Verpackungsabfälle: Die EU-Kommission hat Ende 2022 eine neue Verpackungsverordnung vorgeschlagen. Unternehmen müssen demnach unnötige Verpackungen vermeiden und nachweisen, dass sie entsprechende Verpackungen reduziert haben.
  12. Textilien: Die EU-Kommission hat im Jahr 2022 eine neue Strategie für nachhaltige Textilien präsentiert. Darin vorgesehen ist neben Sorgfaltspflichten u.a., dass die EU-Kommission betroffene Unternehmen gesetzlich zur weitergehenden Kennzeichnung von Textilien verpflichtet, was etwa bestimmte Informationen zu Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaftsparameter anbelangt.

Nationale Ebene

  1. Gesetz zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes: Laut Regierungsentwurf entsteht der Wirtschaft insgesamt ein Erfüllungsaufwand in Milliardenhöhe. Bürokratiekosten für die Wirtschaft aus Informationspflichten summieren sich laut Entwurf auf ca. 453.000 Euro jährlich. Hinzu kommen spezifische Nachweispflichten mit einem Zeitaufwand von ca. 18.127 Euro pro Jahr, Kosten für die monatliche Mitteilung der fernabgelesenen Ergebnisse der Erfassung für Wärmepumpen nach der Heizkostenverordnung in Höhe von 355.200 Euro pro Jahr und für die Erstellung der verbrauchsabhängigen Abrechnung nach der Heizkostenverordnung in Höhe von jährlich ca. 79.704 Euro. Es gilt als sicher, dass diese Kostenschätzung die Untergrenze dessen darstellt, was tatsächlich an Belastungen auf die deutsche Wirtschaft zukommt.
  2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Laut Regierungsentwurf ziehen die geplanten kartellrechtlichen Verschärfungen jährliche Bürokratiekosten allein aus Informationspflichten i. H. v. 233.600 Euro nach sich.
  3. Tierhaltungskennzeichnungsgesetz: Die Implementierung des Gesetzes führt zu einem jährlichen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft in Höhe von rund 13,15 Mio. Euro, der vollständig auf Bürokratiekosten aus Informationspflichten entfällt. Hinzu kommt ein einmaliger Aufwand i.H.v. 243 000 Euro in der Kategorie „Einmalige Informationspflicht.
  4. Unternehmenssanktionsrecht: Im Koalitionsvertrag verankert. Das Vorhaben soll nach Angaben aus der Regierungskoalition noch im Jahr 2023 kommen. Das Unternehmenssanktionsrecht soll sicherstellen, dass nicht nur Einzelne bei Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden, sondern – verschuldensunabhängig – das gesamte Unternehmen. Damit gehen immensen Kosten durch einen erheblichen Informations- und Dokumentationsaufwand einher. Unternehmen werden zudem dem immensen Risiko verhängter umsatzbezogener Sanktionen ausgesetzt.
  5. Deutsches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Das Gesetz ist seit 1. Januar 2023 in Kraft. Anders als angekündigt, sind von Nachweispflichten neben großen Unternehmen auch KMU betroffen, weil sich deren Abnehmer absichern müssen. Für die großen Familienunternehmen erweist sich das Gesetz als administrativ kaum handhabbar. Große Unternehmen müssen Zehntausende von Lieferanten „scannen“ und kleinteilig darüber berichten – sogar über die Lieferanten aus demselben Ort oder aus der EU.
  6. Hinweisgeberschutzgesetz: Unternehmen müssen Strukturen für einen unternehmensinternen Hinweisgeberschutz schaffen. Dies geht mit einem erheblichen Dokumentationsaufwand einher, um der zu Lasten der Unternehmen vorgesehenen Beweislastumkehr gerecht werden zu können. Zwar hat die Union die Umsetzung der EU-Vorgabe zunächst im Bundesrat gestoppt. Das Gesetz wird somit über den Umweg des Vermittlungsausschusses verabschiedet werden.
  7. BEHG: Nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz greifen in Deutschland in den Jahren 2023 und 2024 neue Berichtspflichten für die CO2-Emissionen von verschiedenen Brennstoffen, die in Verkehr gebracht werden. Betroffene Unternehmen stellen ihren Emissionsbericht digital der Behördenseite zur Verfügung.
  8. Arbeitszeitgesetz: Mit dem Gesetz werden Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung geregelt, die sich an Entscheidungen des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ausrichten. Laut Entwurf ergibt sich für die (elektronische) Arbeitszeitaufzeichnung ein einmaliger Erfüllungsaufwand von ca. 74 Millionen Euro, was bei ca. drei Millionen Unternehmen in Deutschland erkennbar zu niedrig angesetzt ist. Hinsichtlich der Höhe der Bürokratiekosten aus Informationspflichten, die sich durch das Recht der Arbeitnehmer auf Information über die aufgezeichnete Arbeitszeit ergeben, räumt die Bundesregierung ein, diese nicht beziffern zu können.

Mein Rat: Wenn es geht, die Betriebsgrößen verringern, um die Schwellenwerte für das Berichtswesen zu unterschreiten. Wenn das nicht geht; Ab ins Ausland. Selbst in der EU gibt es Länder, die das alles laxer handhaben als Deutschland. „EU-Richtlinien sind in Italien Klopapier, in Frankreich werden sie gelesen und in Deutschland umgesetzt“, hieß es früher pointierend zugespitzt.

Meine Sorge: Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung wird es noch schlimmer. Man wird den Unternehmen noch mehr Infos abverlangen. Geht ja alles fixer!

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „O weh! Es ist um uns getan. – Entfliehe, wer entfliehen kann!“ (Geh. Rath v. Goethe)