Der Tag der deutschen Einheit ist am 9. November

Die Leute haben nicht 28 Jahre darauf gewartet, daß ein paar Politiker einen Vertrag ausgehandelt haben und vor dem Reichstag die Nationalhymne singen. Der emotionale Moment war, als die Grenze aufging. Zwei Tage danach bin ich im Baumgarten in Rudolstadt in einen 42 km langen Stau geraten, der bis zur Grenze bei Probstzella ging. Alle wollten sofort raus und nicht auf den 3. Oktober 1990 warten.

Viele haben das Ende des Albtraums nicht mehr erlebt, andere konnten altersbedingt die Vorteile der neuen Zeit nicht mehr richtig nutzen. Viele waren beruflich in eine Sackgasse gelaufen und hatten Mühe mit einem Neuanfang. Ich berichtet kürzlich über den ML-Professor, der eine Heilpraxis mit Rotlicht betrieb. Ein anderer Genosse wurde vom Thüringer Polizeichef zum Wasserbettenhändler. Ich komme gerade von einem Klassentreffen das Jahrgangs 1953. Für fast alle war der 9. November eine berufliche Zäsur, aber ich war erstaunt, wie viele schon in den 70er und 80er Jahren richtigen Ärger mit der Partei und deren Nebenorganisationen hatten.  Tricks, um am Armeedienst vorbeizukommen, berufliche Degradierungen wegen Ausreiseanträgen, und immer wieder karrieremäßige Einschränkungen wegen Verweigerung des Parteibeitritts und wegen nicht gezahlten DSF-Beiträgen. Ich erinnere mich, wie ich bedrängt wurde in die GST einzutreten, was ich aus eigenem Antrieb nicht mal im Traum gemacht hätte. Ich mußte dann jedes Jahr die Hochschulmeisterschaften im LG-Schießen organisieren, die ich dann fast immer gewonnen hatte. Ich müßte eigentlich eine Schützenschnur aus Buntpapier tragen.

Die Grenzöffnung haben der Russe und das Volk betrieben. Diejenigen, die am 3. Oktober auf der Tribüne standen und geträllert haben, waren einschließlich Helmut Kohl vom 9. November völlig überrascht worden. Das war superpeinlich. Ich denke, daß sie das mit der Wahl des 3. Oktober als Feiertag vertuschen wollten.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Man feiere nur, was glücklich vollendet ist; alle Zeremonien zum Anfange erschöpfen Lust und Kräfte, die das Streben hervorbringen.“ (Geh. Rath v. Goethe über die Feier am 3. Oktober 1990)

 

Beitragsbild: Titel der Broschüre zur Grenzöffnung von Michael Wolski