Der Sinn der Griechenlandkrise

Jede Kette ist so stark wie das schwächste Glied. Das schwächste Glied in der Euro-Kette ist zweifellos Griechenland. Aber auch ohne diesen zur Kriminalität und Unsolidität neigenden hellenischen Skandalstaat wäre die Währungsunion kein Kindergeburtstag. Auch Frankreich und Italien waren es jahrzehntelang gewohnt, alle Probleme einzig und allein mit der Gelddruckmaschine zu lösen. Eine Umgewöhnung auf Geldstabilität würde den Umbau des gesamten Gefüges der Wirtschaft und Gesellschaft in Südeuropa voraussetzen. Eingriffe in die Alters- und Krankenversicherung, die Lohnfindung, den Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenversicherung, den öffentlichen Dienst. Kein Stein hätte auf dem andern bleiben können. Ist so ein Umbau nicht etwas zu viel verlangt? War die Erwartung nicht unrealistisch, daß nur die Anderen sich ändern?

Beim Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik gab es schon einmal so eine Situation, wo eine Wirtschaft komplett transformiert wurde. Trotz immenser Ausgaben und der Vereinheitlichung des Rechts ist das Niveau der Wertschöpfung in den alten und neuen Ländern immer noch unterschiedlich. Nach 25 Jahren sitzen alle DAX-Konzerne im Westen. Einschließlich M-DAX und S-DAX. Im TecDAX gibt es ganze zwei  thüringische Firmen. Das zeigt wie mühevoll der Wandel ist. Es wird 100 bis 200 Jahre dauern, bis die wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Besatzung überwunden werden.

Traditionen sind einfach hartnäckig. Das haben die Medien und die Politiker bei der Euro-Implementierung gewaltig unterschätzt. Aus der Auflösung der Sowjetunion hätte man lernen können. 1990 fielen alle russischen Satelliten in ihre spezifische Tradition zurück, als hätte es 45 bis 50 Jahre Besatzung nicht gegeben. Auch nach 20 Jahre EU haben die osteuropäischen Staaten ihre eingeübten Denkweisen nicht aufgegeben. Sie wurden im russischen Gefrierschrank konserviert und sind 1990 aufgetaut. Polen hat immer eine andere Politik gemacht als Tschechien, Rumänien eine andere als Bulgarien und die baltischen Staaten haben traditionell andere Interessen als Deutschland. Zwischen Bulgarien und Estland, zwischen Siebenbürgen und der Walachei gibt es große Unterschiede in der Mentalität.

Ähnlich hartnäckig sind die Traditionen des Westens. Aus Frankreich baut man mit dem Euro kein little Germany. Die Italiener halten an Zünften und Mittagspause fest, die Griechen an Wortbruch und Korruption.

Die deutschen Verhandler des Maastricht-Vertrags hatten die Idee, daß man andere Völker mit Fördergeld kaufen und ihr Leben mit kalten Paragraphen ändern kann. Ein Euro so hart wie die D-Mark wurde uns versprochen. Der Süden hat jegliche Reformen verweigert und seinen Lebensstil nicht geändert. Das Vertragswerk zum Euro mußte deshalb schrittweise außer Kraft gesetzt werden. Das Leben ist stärker, als das Recht.  Nicht der Süden, sondern Deutschland muß sein Gesellschaftsmodell mittlerweile umbauen. Die ersten Opfer des Euro sind die tradierten staatsanleihenbasierten Versicherungsprodukte, die Altersversorgung und die privaten Krankenkassen. Auch das Halten von Geldvermögen stellt sich bei Negativzinsen in Frage. Ganz Deutschland, der Staat wie der einzelne Bürger, muß lernen mit einer Weichwährung umzugehen. Das dauert, fällt schwer und führt wegen mangelnder Übung zu Wohlstandsverlusten.

Anfang der 20er Jahre gab es in Deutschland eine vergleichbare Situation. Der jahrzehntelang geübte Umgang mit einer goldgedeckten Hartwährung und das Unvermögen mit einer Weichwährung umzugehen, führte für geldaffine Bevölkerungsschichten zum Vermögensverlust. Der Handwerker, der Industrielle und der Landwirt hatten wenigstens noch Grundstücke und Produktionsmittel über die Papiergeldkrise gerettet. Der Bildungsbürger, der Beamte und der Angestellte hatten in der Regel alles außer ihrem Schmuck verloren. Das waren die Bevölkerungsschichten, die sich in der Folge radikalisierten. Der Sieg des Nationalsozialismus hängt nicht mit der Weltwirtschaftskrise der 30er zusammen, sondern mit der Geldkrise der 20er Jahre.

Angesichts der Geldkrise des Euro muß man kein Prophet sein, um schwere Auseinandersetzungen sowohl im nationalen, wie im internationalen Rahmen heraufziehen zu sehen. Einige der fundamentalsten Störungen des europäischen Friedens resultierten aus Finanzkrisen. Die französische Revolution und die folgenden napoleonischen Kriege sowie der Zweite Weltkrieg sind die besten Exempel.

Griechenland ist derzeit das schwächste Glied der Eurokette. Vielleicht hat die Griechenlandkrise und das sture Festhalten der europäischen Eliten am griechischen Verbleiben in der Währungsunion einen Sinn. Nämlich daß die Deutschen doch noch geschwind das Vertrauen in den Euro verlieren und ihre Vermögen umschichten, bevor es zu spät ist …