Sieger und Verlierer von Minsk
Viel Kraft hat Bundeskanzlerin Merkel in die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Rußland und der Ukraine investiert. Selbst den Franzosenpräsidenten hatte sie in Moskau im Schlepptau.
Zum Folgetreffen in Minsk sagte sie „Es ist den Versuch wert. Ich würde mir große Vorwürfe machen, wenn man es nicht versucht hätte. Dennoch ist der Erfolg alles andere als sicher.“ Diese skeptische Einschätzung hat sich bewahrheitet.
Nun hat Angela Merkel nie eine eigene Idee von Politik gehabt. Immer hat sie fremde Gedanken in die Tat umgesetzt, und das oft sehr energisch. Die Energiewende und die Abschaltung der Kernkraftwerke ist dafür nur ein Beispiel. Der Mindestlohn war auch nicht auf dem Mist der CDU gewachsen. In der Griechenlandkrise setzte sie einfach die Politik des Vorgängerkanzlers alternativlos fort. Und wenn sie sich selbst mal zu etwas durchgerungen hatte, wurde es nicht durchgezogen. Den Steuerreformer Kirchhoff ließ sei wie eine heiße Kartoffel fallen, als Schröder ihn als Professörchen aus Heidelberg titulierte. Es wäre einfach gewesen ihn gegen Schröders Anwurf zu verteidigen, weil er als Verfassungsrichter die Erhöhung des Kindergelds bewirkt hatte und als sozialer Wohltäter hätte verkauft werden können. Aber eigene Positionen verteidigen, das war und ist nicht Merkels Handschrift.
Auch in der Ukraine-Politik setzte sie offensichtlich fremde Ideen um. Alexander Gauland hatte immer wieder gefordert, das Verhältnis zu Rußland zu pflegen, die Verankerung Deutschlands in der Nato jedoch nicht aufzugeben. Auf jeder PEGIDA-Demo standen in der Ecke ein paar Anhänger von Jürgen Elsässer und hielten Plakate, auf denen „Putin hilf“ stand. Die Debattenzeitschrift „Eigentümlich frei“ hatte auf einer deutschen Ostseeinsel ein Rußlandforum veranstaltet, bei dem viel Verständnis für Putin, den vorerst siegreichen Triumphator über die Tschetschenen und Krimtartaren, geäußert wurde. Für die Kanzlerin wurde es Zeit, auf diesen rollenden Zug der Rußlandversteher aufzuspringen und deren Argumente zu testen. Vielleicht auch um sich dieses Themas für immer zu entledigen.
Angela Merkel hat gekämpft, und wie man bereits nach wenigen Tagen sieht: Sie hat verloren. Denn Wladimir Putin hätte vier Wochen Waffenstillstand verordnen können, um Europa irrezuführen und von Amerika abzuspalten. Das hielt er offensichtlich nicht für opportun. Er war früher Türzuhalter in Dresden und kennt die deutsche Psychologie. Er hält es offensichtlich für angeraten der deutschen Semi-Elite ihr politisches Pygmäentum deutlich vor Augen zu führen. Um ihren Mut im Keim zu ersticken. Ihnen anhand der Eroberung eines Eisenbahnknotens zu zeigen, daß sie gegen seine militärische Überlegenheit nichts ausrichten können. Daß sie passive Zuschauer sind und seinen Plänen ausgeliefert. Selbst wenn er die weiteren Eroberungen in den nächsten Tagen erst mal bremst. Politisches „Shades of Grey“.
Insbesondere Frankreich ist Verlierer des Ukraine-Konflikts, in welchem es ja um die Trennung von Ethnien geht. Als Vielvölkerstaat vertritt Frankreich das Dogma der territorialen Integrität besonders aggressiv. Korsen, Bretonen, Basken, neukaledonische Kanaken, Elsässer, Kreolen, Araber und Katalanen könnten vermehrt an den Ketten zerren, wenn Putins Pläne aufgehen.
In Washington wird man ob der Entwicklung in der Ukraine sehr zufrieden sein. Den Europäern hat Putin gezeigt, daß sie keine eigenständige Außenpolitik gegenüber Rußland verfolgen können. Das betrifft Paris genauso wie Berlin. Europa bleibt mangels eigener Rüstungsanstrengungen auf die NATO angewiesen, und die NATO lebt von den Rüstungsausgaben der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs.
Deutschland gibt 1,4 % des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus, die Vereinigten Staaten 3,8 % und Rußland 4,1 %. Selbst das Vereinigte Königreich gibt mit 2,3 % fast das doppelte für das Militär aus, wie Deutschland. Deutschland ist entsprechend ein politisches Leichtgewicht. Eine jahrzehntelang verfolgte kurzsichtige militärische Strategie der deutschen Führung rächt sich jetzt.
Ein Teil der deutschen Presse nährte während der Waffenstillstandsverhandlungen die abwegige Illusion, daß Frau Merkel die mächtigste Frau in Europa wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kanzlerin ist bemüht, ihr fehlt im internationalen Machtpoker jedoch die militärische Kulisse.
Gewinner der fruchtlosen Unterhandlungen ist auch Wladimir Putin. Er verließ Minsk im vollen Genuß seiner militärischen Macht und nutzt diese nun. „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Mit dieser Frage brachte Josef Stalin seine Geringschätzung der Diplomatie und seine Liebe zur nackten Gewalt zum Ausdruck. Putin kann spöttisch fragen: „Wie viele Divisionen haben Deutschland und Frankreich?“
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