Die dunkle Seite von Strelitz – drei Hochzeiten und drei Todesfälle
Der ehemalige Staat Mecklenburg-Strelitz stand bis zu seinem Untergang 1918 nie so recht im Mittelpunkt des Geschehens. Das ist angesichts seiner Größe und Randlage kaum verwunderlich. Bereist man heutzutage das Land der Endmoränen mit seinen ungezählten Seen und ausgedehnten Wäldern, ahnt man zunächst kaum, welche historischen Kuriositäten auf den Herumbummler warten. Es geht im Folgenden um den Tod von drei Personen in ihren dreißiger Lebensjahren. Aber sehen Sie selbst.
Fall 1: Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz. Die nachmalige preußische Königin hat ihre Zeitgenossen und auch die künstlerische Nachwelt beflügelt. Ihre Persönlichkeit wird als zauberhaft beschrieben. Mag so sein. Ihr früher Tod muss das Ereignis im ersten Jahrzehnt 19. Jahrhunderts in Deutschland gewesen sein. Sie starb am 19. Juli 1810 in Schloss Hohenzieritz, der Strelitzer Sommerresidenz ihrer Eltern.
Begeben wir uns von dort über die Strelitzer Grenze südwärts nach Gransee in der Mark. Dort randalierten rund 300 französische Husaren, umzingelten das Rathaus und erpressten eine größere Geldsumme. Es war Oktober und man schrieb das Jahr 1806. Vier Jahre später wurde der Sarg der soeben gestorbenen preußischen Königin Luise auf dem Weg von Hohenzieritz nach Berlin über Nacht in Gransee abgestellt. Für die Bürger offenbar ein Großereignis. Sie nutzten es aus, um in durchaus franzosenfeindlicher Absicht beim angehenden Star-Architekten Karl Friedrich Schinkel ein Denkmal zu bestellen und als einen Akt nationaler Demonstration 1811 – es war, dies zur Erinnerung, mitten in der Franzosenzeit – auf dem Marktplatz aufzustellen. Dort steht der gusseiserne Luise-Sarg heute noch.
Den damaligen Luise-Kult in klare Worte zu fassen, fällt schwer: Eine schöne Frau, gewiss, von ihrem königlichen Ehemann aufrichtig geliebt, dem sie ein Kind nach dem anderen gebar, und die mit 34 Jahren starb. Der Zauber, der von ihr ausgegangen sein muss, ist heute noch durch die Skulptur zu erahnen, die Schadow von ihr und ihrer Schwester Friederike schuf. Indes: Die Zeitgenossen rümpften die Nase: Igitt, die Mädchen erschienen ihnen wie nackt – präsentiert auf dem Heiratsmarkt gekrönter Häupter. Wie so häufig sind es diese Hoffräuleins beiderlei Geschlechts, denen der blanke Neid den Blick auf das Bleibende verstellt. Und das sieht so aus: Schließt man die Augen und denkt sich den Namen dieser preußischen Königin, hat man die Luise des Johann Gottfried Schadow vor Augen. Bleibender geht’s kaum.
Der Luise-Kult lebt heimlich fort. Niemand kann ihn ganz genau in Worte fassen, denn es ist uns Heutigen der historische Rahmen verloren gegangen. Es lehnt sich eine Frau in Haltung und Worten gegen den Usurpator Napoleon auf, als die Welt der männlichen Herrscher zu Kreuze kriecht, Luises Ehemann, der schüchterne, stotternde, militärisch deklassierte Preußenherrscher eingeschlossen. Eine tolle Frau, gewiss, doch erst ihr Tod wird für Preußens Bürger zum Fanal. Er regt sie zum Phantasieren und zu einem Nationalstolz an, ohne den die Befreiungskriege nicht möglich gewesen wären.
Fall 2: Baronin Pleß-Ivenack auf Schloss Ivenack in Strelitz. Ich erzähle erst mal die Geschichte, wie Theodor Fontane sie in einem Brief aufgezeichnet hat. Baron und Baronin, beide in ihren Dreißigern, leben ein glückliches Eheleben auf Schloss Ivenack, bis der Baron als Kammerherr zum Hofdienst nach Neustrelitz kommandiert wird, wo er dem wenig schönen, dafür aber extravaganten Hoffräulein von Dewitz verfällt. Der Baron trennt sich von Frau und Familie. Aber als er bei der Angebeteten um deren Hand anhält, weist diese ihn schnippisch zurück – er sei ihr zu alt und überhaupt, sie könne noch ganz andere haben. Nach Jahr und Tag wird das Zerwürfnis der Ehegatten notdürftig repariert und der scheinbare Neustart mit einer zweiten Hochzeit prunkvoll besiegelt. Kurz drauf findet man die Ehefrau tot an einem Teich liegend vor. Auf einem angefangenen Abschiedsbrief hatte sie das Wort „unwiederbringlich“ notiert.
Dies ist in nuce die Geschichte, die Fontane zu seiner Novelle Unwiederbringlich anregte. Er verlegte aus ihm naheliegenden Gründen die Handlung an die Ostsee, ins etwas entfernter liegende Schleswigsche und nach Kopenhagen, was zudem den Vorteil bot, die SchleswigDänischen Animositäten mit einbauen zu können, denn Fontane ließ seine Romanfiguren in der Zeit kurz vor dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 agieren. Ansonsten ist alles eingebaut, was zum psychologischen Meisterwerk eines Ehe- und Beziehungsdramas gehört. Mit anderen Worten: keiner ist der Alleinschuldige an der Katastrophe, die sich Schritt um Schritt auf 270 Seiten vor den Augen des Lesers anbahnt.
Zum Glück – oder soll man sagen zu allem Überfluss? – gibt es neben Fontanes Angaben zum Quell seiner Novelle auch eine über hundertjährige gründliche Fontaneforschung. Hier ist man der Überzeugung, dass Fontanes Angaben unzutreffend sind. Es sei ein ganz anderes Ehepaar gewesen, welches das Vorbild des Dramas im wirklichen Leben war. Aha.
Fall 3: Großherzog Adolf Friedrich VI. von Mecklenburg-Strelitz. Als er unverheiratet und kinderlos am 27. Februar 1918 starb, war er 35 Jahre alt. Sein Grab befindet sich auf der Liebesinsel in Mirow. Dort im Schein der mittäglichen Aprilsonne, beäugt von einer Überwachungskamera, machte ich mir ein paar Gedanken:
Der Tod des Großherzogs kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs ist für mich vor allem dieses: Er ist ein Kriminalfall, den das Establishment des auf seinen letzten Metern befindlichen Kaiserreichs in den Selbstmord eines Verwirrten umzudeuten sucht. Doch alle raren Daten, die über den Tod bekannt werden, deuten in die Richtung, die der Kriminalist Fremdverschulden nennt.
Der Leichnam von Adolf Friedrich wird nach intensiver Suche am Tag nach seinem Verschwinden in einem Kanal auf dem Bauch schwimmend nahe der Neustrelitzschen Residenz entdeckt. Der mit der Obduktion beauftragte Arzt stellt Tod durch Ertrinken fest. Zu diesem Ergebnis kontrastiert, milde gesagt, die Schusswunde, die der Mann in der Brust hat. Also konstruiert man den folgenden Hergang: Der Großherzog schießt sich in die Brust und fällt kopfüber in den Kanal, wo er ertrinkt.
Die Geschichte hat – abgesehen vom wenig wahrscheinlichen mechanischen Ablauf – einen entscheidenden Haken: Man findet die Schusswaffe trotz intensiver Nachsuche nicht. Ein Selbstmörder, der sich in die Brust schließt, anschließend die Waffe sorgfältig versteckt, um sich sodann in den Kanal zu stürzen, das klingt nicht gerade überzeugend. Da kann man noch so viele Details sammeln, dass der regierende Fürst lebensmüde war und ein halbes Jahr vor seinem Ende testamentarisch verfügte, wie und wo er beerdigt zu werden wünsche – nämlich auf der winzigen, der Schlossinsel von Mirow vorgelagerten Liebesinsel, wie es dann auch geschah. Einschließlich der vom Verstorbenen gewünschten und von ihm skizzierten abgebrochenen Säule, die von einer Schlange umwunden ist. Geheimnisvoller geht’s kaum. Wenn man indessen auf dem Sterbewunsch des Strelzlitzers als Auslöser des gewaltsamen Todes besteht, kommt kriminalistisch bestenfalls eine Tötung auf Verlangen in Frage. Doch wer tut so etwas? Durch Schuss in die Brust? Eine Frau? Augen zu und abgedrückt? Kann sein, kann auch nicht sein. Auf jeden Fall hätte ich gern mal das Geschoss gesehen, um auf die Waffe zu schließen. Doch Fehlanzeige.
So verwundert es kaum, dass der Todesfall Anlass zu den wildesten Gerüchten gewesen ist. Danach soll der Tod der Abwehr einer nahen, in Aussicht genommenen Hochzeit gedient haben. Also: Tat und Tod als Ergebnis einer nicht standesgemäßen Liebesbeziehung des Unverheirateten? Variante: Die Sache habe sich im Schwulenmilieu zugetragen. Und schließlich: Der Fürst sei einer Rache- oder Vertuschungsaktion des britischen Geheimdienstes oder gar der Gegenaktion einer deutschen geheimdienstlichen Abwehrbehörde mitten im Krieg zum Opfer gefallen.
Der Leser mag sich vorstellen, dass ich mich vor Jahren bereits mit der behaupteten Verstrickung von Adolf Friedrich in eine Geheimdienst-Intrige befasst habe. Vor meinem Auge waren ganze Kohorten von Landes- und Hochverrätern aufmarschiert. Wer es genauer wissen will, lese das Buch Kill the Huns, dort wird er fündig und vermutlich staunen. Doch da war in Sachen Adolf Friedrich, abgesehen von zahlreichen Vorkriegsaufenthalten in England und seinen ganz offenen Bemühungen während des Krieges, das Schicksal vermisster englischer Offiziere aufzuklären, nichts Konkretes, was als das Packende hätte dienen können. Gewiss: Meine Phantasie reicht aus, um mir eine Erpressungsgeschichte mit einem geheimdienstlichen Kompromat vorzustellen. Doch die einschlägigen Akten des späteren britischen MI5 schweigen sich aus. Die deutschen Abwehrakten auch. Und die des britischen Marinegeheimdienstes und die des späteren und heutigen Auslandsdienstes MI6 sucht man im Britischen Nationalarchiv in Kew insgesamt ganz vergebens.
©Helmut Roewer, April 2022
Interessant, daß der „Hunne“ auf dem Einband von „Kill the Huns“ eine Kulturkeule in der rechten Hand führt. Die Berliner Hunnen haben derweilen zur Nazikeule gewechselt.
Der englische Feind nahm wahrscheinlich Bezug auf das Manifest der 93. „Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde es jeder Deutsche beklagen. Aber so wenig wie wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen. (…) Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist. (…) Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. (…) Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet … Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.“
Gerhart Hauptmann, Engelbert Humperdinck, Max Liebermann, Max Reinhardt, Friedrich Naumann, Max Planck, Paul Ehrlich und weitere Nobelpreisträger unterzeichneten das Manifest, das vom Redaktionsnetzwerk Deutschland in allen großen deutschen Zeitungen in reißerischer Aufmachung veröffentlicht wurde.
Ivenack liegt bei Stavenhagen, ist bekannt durch seine „Tausendjährigen Eichen“ und gehörte nie zu Mecklenburg-Strelitz, sondern erst zu Pommern und zu Fontanes Zeiten zu Mecklenburg-Schwerin.
Wenn man den Thüringer Wald für den Mittelpunkt der Welt hält, stimmt das mit der „Randlage“ des GHzmMS vielleicht.
Ich empfehle trotzdem mal einen Blick auf Karten des 19. Jahrhunderts, bevor man Lagebeschreibungen verfasst.
Danke für den Hinweis, werde ihn bei Gelegenheit an Fontane weitergeben.