Der 9. November 1989 als Geheimdienstcoup

An den 9. November 1989 erinnere ich mich noch sehr gut. In einer Pressekonferenz nach 18 Uhr verkündigte ein leicht schusselig wirkender Genosse Schabowski die unverzügliche Grenzöffnung, was kurze Zeit danach in den Abendnachrichten gezeigt wurde. Ich war etwas ungläubig, denn die Partei erzählte ja immer nur abstrusen Fake, aber Tausende machten sich unverzüglich auf den Weg zu den Grenzübergangsstellen in Ostberlin.

Die Lügenmedien erzählen uns das Märchen von der friedlichen Revolution. Als Teilnehmer und als späterer Betrachter der Ereignisse hatte ich schon immer meine Zweifel daran. Auch wenn es den Millionen Demonstranten nicht schmeichelt: Wir wären ins Desaster gelaufen, wenn die ganze Richtung den Moskowitern nicht gepaßt hätte. Am 31. Oktober 2015 hatte ich zum Beispiel den Eintrag gepostet: Wie der DDR das Lebenslicht ausgeblasen wurde. Meine Vermutung war und ist, daß das der große Bruder aus rein wirtschaftlichen Erwägungen so wollte.

Eine rätselhafte Einzelheit hatte mich frühzeitig auf die Sprünge gebracht: Am 24. Oktober fand in Weimar die erste Demonstration mit etwa 10.000 Teilnehmern statt. Zwischen dem Landschaftshaus und dem Stadtschloß hatten etwa 10 russische Schützenpanzerwagen neben dem Roten Schloß in Fahrtrichtung Landschaftshaus Aufstellung genommen. Sie machten nichts. Alle anderen Deutungen haben keinen Sinn: Sie waren aufgefahren, um der SED zu zeigen, daß sie nach wie vor nichts zu melden hatte und wer der wirkliche Herr im Hause war. Vermutlich wollte die Kommandantura verhindern, daß es zur Verprügelung der Demonstranten durch die Staatsorgane kam, wie das wenige Tage vorher in Arnstadt passiert war.

Michael Wolski hat gerade die zweite Auflage seines Buchs „1989 Mauerfall Berlin“ herausgebracht und hat das Mosaik der Grenzöffnung neu zusammengesetzt. Er geht davon aus, daß der sog. Mauerfall eine von Moskau genau durchgeplante Aktion war. Es sollte so aussehen, daß sie zufällig durch eine in die Hose gegangene Pressekonferenz mit einem verwirrten Schabowski ausgelöst wurde, aber an der PK war überhaupt nichts Zufall. Sie war inclusive der entscheidenden Frage des italienischen Journalisten Ehrmann an Schabowski ein gut gespieltes Theaterstück. Der KGB hatte ein konspiratives Netz von Mitarbeitern, die die Fäden zogen, und zwar so, daß nichts darauf hindeutete, daß sie im Kreml zusammenliefen.

Die Terminierung war kein Zufall. Tag und Uhrzeit paßten. In Moskau war gerade wegen einem Feiertag eine Woche mit zahlreichen Brückentagen, wichtige Entscheidungsträger waren nicht im Dienst. In Ostberlin ging die ZK-Sitzung nach 18 Uhr noch endlos weiter und die dort versammelte Führung einschließlich der Militärs bekam von der PK stundenlang nichts mit. Es gab ja zum Glück noch keine Funktelefone. Der Sturm auf die Grenzübergänge wurde von den ostberliner Entscheidungsträgern nicht zeitnah bemerkt, gegen Mitternacht war alles zu spät.

Es bedurfte einer ausgeklügelten sowjetischen Regie, die an den Ostberliner Machthabern vorbei die Ereignisse plante und vorbereitete. Dazu liefert Wolski zahlreiche Details und pusselt sie zu einem schlüssigen Lagebild zusammen.

Beispielsweise hatte ein amerikanischer Fernsehsender zwei Tage vor der Öffnung der Grenzübergangsstellen auf der Westseite des Brandenburger Tors einen Übertragungswagen aufgebaut, einen Tag vorher wurde noch einen Kran zur besseren Einsicht aufgestellt und nach der PK um 19 Uhr führte dessen Chefreporter Tom Brokaw ein Interview mit Schabowski, bevor er an die Grenze eilte, um das Gedrängel zu filmen. Offensichtlich waren die Amerikaner von den Russen über Ort und Zeitpunkt vorher diskret informiert worden.

Der Autor beleuchtet den Nebenaspekt der Ungültigerklärung der Zusatzprotokolle zum Stalin-Hitlerpakt. Die Moskauer Führung hatte es eilig damit, um sich die Königsberger Oblast zu sichern. Jahrzehntelang hatte man die Existenz der verfänglichen Papiere geleugnet, jetzt kamen sie auf den Tisch. Allerdings mit der Nebenwirkung, daß  die Baltenrepubliken den Anlaß gefunden hatten sich abzuspalten. Gründe gab es ohnehin genug.

Der zweite Teil des Buchs beschäftigt sich mit den Moskauer Zwängen. Durch die aufwändigen Rüstungen und den Afghanistankrieg war eine Erschöpfung der Ressourcen eingetreten. Die Satelliten im Ostblock waren auf russische Importe von Rohstoffen angewiesen, weil sie selbst keine hatten und die notwendigen Devisen nicht mehr erwirtschaften konnten. Die Rohstofflieferungen wurden aber mehrfach gekürzt. Ökonomisch hatten die untertanen Randgebilde in Europa und Mittelasien keinen Sinn mehr. Insbesondere die Zone wurde zum Problem, weil man das westliche Embargo gegen Moskau gerne loswerden wollte. Ronald Reagan hatte als Gegenleistung aber das Aufschneiden des Stacheldrahts verlangt.

Schon vor dem Machtantritt von Gorbatschoff beschäftigte sich die sowjetische Führung mit Gedankenspielen über die Zukunft des Ostblocks. Ab 1985 konkretisierten sie sich und gipfelten darin, daß die Satelliten von der Leine gelassen wurden. Polen und Ungarn begannen mit Reformen, zum Beispiel mit dem Abbau des Grenzzauns nach Österreich.

Das Problem war, daß Gorbatschoff der eigenen Bevölkerung und den Hardlinern im Apparat die Auflösung des RGW und der Sowjetunion propagandistisch nicht vermitteln, nicht als Fortschritt oder Notwendigkeit verkaufen konnte. Wenn es den Russen auch schlecht ging, als Trost war man seit alters her daran gewöhnt, andere Völker zu knechten und sich daran zu delektieren. Die Beute der Eroberungen des Zarenreichs und des Zweiten Weltkriegs konnte man nicht ohne Not und ungestraft aus der Hand geben.  Da waren die Revolutionen in Polen, der Zone, in der Tschechoslowakei und Rumänien nice to have. Es sah nichts danach aus, als würde es von Moskau gewünscht oder gar aktiv betrieben. Man gab sich im Kreml fatalistisch, in Wahrheit drehte man aktiv am Rad der Geschichte. Soweit ein Blick auf Wolskis Überlegungen.

In der heißen Zeit war er im ostberliner Außenhandel beschäftigt, kannte also einige Akteure, die sich mit den Devisenbeschaffungsproblemen rumschlugen und die Mentalität im Apparat der Kommerziellen Koordinierung.

Für seine Thesen spricht auch, daß die ferngesteuerten Medien die Oppositionellen der Wendezeit ab März 1990 aus dem politischen Verkehr entfernten. Die Mohren hatten als Komparsen im Revolutionstheater ihre Schuldigkeit getan, das Märchen von der friedlichen Revolution war etabliert, man brauchte sie nicht mehr. Die Macht wurde zwischen den alten Pseudoeliten aus Ost und West geteilt. Gysi, Stolpe, Kohl und Schröder traten sich gegenseitig nicht wirklich auf die Füße. Dr. Merkel ist ein typisches Sumpfgewächs dieser unerfreulichen Einheitssymbiose.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Ihr jagt wie die Stasi ein paar Dissidenten, die wirklich interessanten Ereignisse verschläft der Auslandsdienst.

 

Michael Wolski

Mauerfall Berlin

Auftakt zum Zerfall der Sowjetunion

 

Kostenlose Kurzfassung: 1989MauerfallBerlin