Hundeerziehung als Spiegel der Gesellschaft

Der Mexikaner Cesar Millan polarisiert in der Welt der Hundeerziehung. Einer riesigen weltweiten Fangemeinde stehen entschlossene Kritiker entgegen. Im Prinzip sagt Millan den Herrchen und Frauchen nur Selbstverständlichkeiten: daß sie ruhige Energie ausstrahlen sollen und die Befolgung von Kommandos konsequent und zeitnah durchsetzen. Herrchen muß eine bestimmte und sichere Haltung haben, denn  der Hund sieht alles. Entweder Herrchen oder Frauchen ist Rudelführer oder der Hund.

Das ganze Universum der antiautoritären Erzieher und Hundelehrer läuft natürlich Sturm gegen Autorität und Haltung. Autorität sei eigentlich nicht nötig. Es ist aber doch so: Ein zerstreuter und unkonzentrierter Mensch, der keine Ziele vor Augen hat und alles fatalistisch über sich ergehen läßt, ist kein gutes Herrchen. Er wird vieles dem Hund überlassen, wird von seinem Köter folglich nach unten durchgereicht und hat keine Gewalt über das Tier. Der Hund fühlt sich in der Regel nicht wohl, wenn niemand ihm sagt was er tun soll und welche Aufgabe er konkret im Rudel hat.  Hunde sind nichts für Zausel, die in der Welt der Deeskalation, der Diskussion und des Gewährenlassens leben. Für diese Klientel hat sich eine spezielle Hundeerziehungskulisse gebildet, die dem antiautoritären mainstream hinterherhechelt.

Die Berufsverbände der Hundeschulen verteufeln Millan. Ihr größter Triumph war, daß Millan die deutsche Hundelehrerprüfung nicht bestanden hat. Cesar Millan wäre ein Tierquäler mit aversiven Methoden, hört man aus dieser Ecke. In Wirklichkeit ist er für viele Dilettanten aus der Branche eine Konkurrenz. Viele Hundeschulen leben davon, daß sie Hunde nicht nachhaltig erziehen. Die unsicheren Halter bleiben deshalb manchmal lebenslang Kunden von Hundelehrern, auch wenn sie die Schulen immer wieder enttäuscht wechseln wie die Hemden. So wünscht sich die Branche das. Sicher hat auch Cesar Millan die Hundeweisheit nicht mit Löffeln gefressen. Seine Schule ist jedoch ein Korrektiv zu verkopften und ideologischen Erziehungsansätzen.

Eine dauerhaft wirksame Erziehung ist immer die Umstellung des Verhaltens von Hund und Herrchen zugleich. Hund und Mensch sind ein System, das nur umgekrempelt werden kann, wenn der Mensch sein Verhalten ändert, denn er ist ja der denkende Teil. Der Hund macht dann mit etwas Geduld und Geschick mit. Das heißt Frauchen oder Herrchen müssen dem Hund zeigen, daß sie ausgeglichen und mental überlegen sind, daß sie wissen was sie wollen, konsequent sind und vor allem daß sie eine für ein Tier lesbare Körpersprache haben. Sie müssen für ausreichend Bewegung für das Tier sorgen, Disziplin verlangen und Zuneigung geben.

Ein Kommando durchsetzen hat mit der Hundepeitsche überhaupt nichts zu tun. Eine Hundemutter setzt sich auch durch, ohne daß Welpen gequält werden. Die Hundemutter beansprucht Raum und unterbindet unerwünschtes Verhalten durch Püffe, Wegdrängeln und andere Verhaltensweisen, die zu beobachten sehr interessant ist. Von der Hundemutter lernen heißt also Raum beanspruchen, voran gehen und unerwünschtes Verhalten nicht belohnen.

Der Dissenz zwischen den Verfechtern der Autorität und den Anhängern der Belohnung ist uralt. Kürzlich habe ich das Thema in einem Bildungsroman des späten 18. Jahrhunderts gefunden, dem „Spitzbart“ von Johann Gottlieb Schummel. Die Romanfigur Spitzbart führt in der von ihm übernommenen Schule statt des Lobs die Belohnung ein und scheitert als Pädagoge jämmerlich. Nun, in der Hundeerziehung hat auch die Belohnung ihren legitimen Platz, aber sie ist keine Wunderwaffe mit Wahrheitsmonopol.

Oft wird von den Gegnern Millans geleugnet, daß Hunde überhaupt Rudeltiere sind. Das Standardargument: Hunde sind keine Wölfe und haben deshalb kein Rudelverhalten. Klar sind Hunde keine Wölfe, Hunde sind Hunde. Wer bezweifelt, daß Hunde Rudel bilden, kann in irgendein Mittelmeerland gehen und beobachten wie sich herrenlose Hunde aller Rassen zusammenschließen. Oder er hätte mal sehen müssen wie sich der Hund meiner Freundin geschämt hat als er mich vom Fahrrad gerissen hat. Und wie konzentriert er danach am Rad weitergelaufen ist. Oder er muß einmal miterleben wie der Hund jemanden vermißt, der nur mal zum Einkaufen gegangen ist. Und wie unbändig er sich freut wenn das Rudel wieder zusammen ist. Wenn der Hund kein Rudeltier wäre, würde er sich vielleicht wie eine Katze verhalten und hätte weniger Bindung. Er würde nicht so gezielt Aufgaben lösen wie zum Beispiel Schafe hüten.

Der Hund ist ein Spiegel seines Herrchens oder seines Frauchens. Die Hundeerziehung ist ein Spiegel der Gesellschaft überhaupt. Was sich an Reformpädagogik in unseren Kindergärten und Schulen Bahn bricht wird auch auf der Hundewiese exerziert. Und wie wir bewährte Erziehungstraditionen im menschlichen Bildungssystem bewahren, sollten wir auch beim Umgang mit den geliebten  Vierbeinern erprobtes Praxiswissen nicht bedenkenlos in Frage stellen.