Strenge Sitten bei der Bundespressekonferenz (BPK)
Der Alt- und Großmeister des deutschen Journalismus Roland Tichy hat den Stab gebrochen: „Die Bundespressekonferenz war nie besonders kritisch. Aber ihr Verfall spiegelt den Niedergang des deutschen Journalismus wider. Sie hat sich überlebt.
In ihren guten Tagen damals war die Bundespressekonferenz e.V. als Verein der Journalisten ein Übungsfeld. Mit unseren Fragen haben wir die Sprecher der Ministerien umkreist. Angebellt, angekläfft, gelegentlich angesprungen. Damals war das Sprecher-Gewerbe eines der großen Könner. Peter Boenisch beherrschte souverän den Saal der Bundespressekonferenz. Wenn er mit schneidendem Spott antwortete, dann jaulte so ein junger, getroffener Hund wie ich schon auf. Die Kollegen lachten und setzten das Frage-Jagd-Spiel fort. Es ging um Fakten, nicht um Glaubenssätze.(…)
In Berlin ist die Bundespressekonferenz notorisch langweilig. Aus zahm wurde lammfromm. Die Sprecher sind meist unerfahren, das reicht ja auch, um ihre Sprechzettel abzulesen. Regierungssprecher Seibert ist wie sein ZDF: langweilig. Man hat geradezu Mitleid mit ihm. Die Kanzlerin nimmt ihn nicht ernst, und als Journalist kann man ihn auch nicht ernst nehmen. Die Kollegen sitzen vor Bildschirmen im Büro statt im Saal. So kann Treibjagd nicht funktionieren. Denn dazu gehört der Korps-Geist eines Rudels, das nicht einsam eine Geschichte schreibt, sondern gemeinsam auf Jagd geht. Gegen die Regierung. Sie ist das Beutestück, aus dem sich jeder einen Fetzen Wahrheit herausreißen will. Freiwillig geben ihn die Regierenden nicht her.“
Aktuell versuchen ein paar Hanswürstchen von der Alpenprawda den unangepaßten Boris Reitschuster, der mit wohlüberlegten Fragen hin und wieder versucht, der Institution etwas Leben einzuhauchen, aus der BPK rauszumobben. Er gibt ihnen Feuer:
„Eine der wichtigsten Lehren aus dem Nationalsozialismus war es in Sachen Meinungsfreiheit, dass niemand mehr bestimmen sollte, wer Journalist ist und wer nicht. Denn genau das haben sich Hitler und seine Komplizen angemaßt. Wer nicht die passende Meinung hatte, war einfach kein Journalist mehr. Dies war der Grund, warum nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft der Beruf „Journalist“ keinerlei Regulierung unterworfen wurde. Jeder darf sich in Deutschland Journalist nennen, egal, ob er eine journalistische Ausbildung hat oder nicht.“
Der Streit um Boris Reitschuster war für die PB-Redaktion Anlaß mal in die Satzung der BPK zu sehen:
(1) Der Verein ist ein Zusammenschluss deutscher Parlamentskorrespondenten, die aus Berlin und/oder Bonn ständig und weit überwiegend über die Bundespolitik berichten. Die Korrespondententätigkeit muss hauptberuflich als angestellte(r) Redakteur(in) oder freie(r) Journalist(in) für Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Wochen-und Monatszeitschriften, Nachrichtenagenturen, Presse-und Informationsdienste oder elektronische Medien ausgeübt werden, die ausschließlich gegen Entgelt verbreitet werden. Den in Satz 2 aufgeführten Medien sind Hörfunk-und Fernsehanstaltensowie Online-Medien gleichgestellt. Gleichgestellt sind auch Korrespondentenbüros, die ihre journalistische Arbeit den in Satz 2 aufgeführten Medien gegen Entgelt zur Verfügung stellen. (Anmerkung PB: Werbefreie und damit unabhängige Medien wie BP werden schon mal nicht zugelassen)
(2) Für Korrespondenten, die für deutsche Medien tätig sind, kann in besonderen Fällen auf das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit verzichtet werden. (Anmerkung PB: Ist nicht mehr unbedingt erforderlich, daß man Arier ist)
(3) Tritt ein Mitglied, welches mindestens seit zehn Jahren Mitglied ist oder war, in den Ruhe- oder Vorruhestand oder befindet es sich in einem solchen und übt es aber weiter eine journalistische Tätigkeit in diesem Sinne aus, so entfällt die hauptberufliche Tätigkeit als Voraussetzung für dessen Mitgliedschaft. Gleiches gilt sinngemäß für die freien Journalisten. (Die BPK bewahrt ältere Herren, die noch nicht 10 Jahre Mitglied waren, davor ihre restliche Lebenszeit in Berlin zu verplempern. Wenn ich den Hund von meiner Freundin ausführe, habe ich wahrscheinlich mehr mit News zu tun, als bei einem Besuch in der BPK)
Mitglied in der Bundespressekonferenz kann nur werden, wer den Aufnahme-Kriterien der Satzung entspricht (siehe oben). Über die Aufnahmeanträge entscheidet ein gewählter Mitgliedsausschuß in monatlichen Sitzungen. Zu einem vollständigen Antrag auf Aufnahme gehören aktuelle Arbeitsproben mit Angaben zur Veröffentlichung (Datum und Medium.
Wenn ich Werbeiennahmen hätte und ein Jahr jünger wäre, könnte ich mich also mit Arbeitsproben bewerben: Veröffentlichung verschiedener Texte bei PI-News, Geolitico, Goldseiten, Achgut. Der Mitgliedsausschuß wäre begeistert.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Für die Beobachtung ist die BPK zu langweilig.
Beispielbild: Eingeschlafener Redakteur
Dazu passt ein Text von Paul C. Martin
Erheiterndes zu Krieg, Embedding und die 1. Pressekonferenz
Nicht erst seit dem embedded-Phänomen im letzten Irak-Krieg macht man sich so seine Gedanken über das Phänomen „Krieg (und oder Gewalt) und Medien“.
Die ersten Zeitungen widmeten
sich mit Hingabe dem Gewaltphänomenen, z.B. der Eroberung der Neuen Welt, den Bauernkriegen, dem „sacco di Roma“ (1527; mit dem ältesten derzeit bekannten Zeitungs-Ms.:
„Neue Zeitung, dass sich der Papst mitsamt 8 Kardinälen in der Engelsburg verschanzt hat…“), der Enthauptung des Thomas Morus, der Eroberung des aufständischen Münsters (1535), der von Kopenhagen (1536), usw. usw.
„Die Ausbreitung moderner Massenmedien ist durch Kriege vorangetrieben worden.“
Umgekehrt haben Medien sogar Kriege entschieden. Beispiel 1870/71: Moltke erfuhr aus Zeitungen vom Schwenk der französischen Armee, die er dann bei Sedan vernichtend schlagen konnte.
Nun geht es nicht nur um Berichte aller Art und deren schlaue Rezeptionen, sondern vor allem um die mediale Instrumentalisierung im Kriege. Da „Krieg“ in allen Varianten inzwischen als
Dauerzustand etabliert ist (Krieg gegen den Terror, usw.) ist eine Rückschau auf die Geschichte dieser Instrumentalisierung interessant, die sich mit der Geschichte der Presse mehr und mehr zu decken scheint, so dass wir heute fast schon von einer Synomisierung sprechen können.
Beginnend mit Entwicklung in der Neuzeit (die legendären Acta Diurna des Julius Caesar und
folgende Herrscher-Propaganda bis zur Ausbreitung der Druckkunst seien weggelassen) haben wir u.a. diese hübschen Vorfälle:
1. Maximilian I. war der erste, der die Öffentlichkeit entsprechend zu beeinflussen suchte. Er ließ diverse Einblattdrucke nach Venedig (Venedigerkrieg 1509-11) schmuggeln, um die Stadt gegen die Signoria aufzuwiegeln (was misslang, der Stadt-Republik die Niederlage dennoch nicht ersparte).
2. Im 30jährigen Krieg mit Massen von „Neuen Zeitungen“, die über das Kriegsgeschehen unterrichteten, wurde u.a. der Ausgang der Schlacht von Nördlingen 1634 (Sieg der Katholiken) von der unterlegenen Seite gänzlich anders dargestellt als er tatsächlich war, garniert noch von den üblichen Mitteilungen über Gräuel, Verheerungen, Verlustmeldungen etc.(gute Monographie von Göran Rystad dazu).
3. Friedrich II. darf dann in den Schlesischen Kriegen als Initiator der Nachrichtenfälschungen gelten. Enttarnt hat diese Fälschungen bereits der bedeutende Historiker Johann Gustav Droysen in den 1870er Jahren. Wilke: „Bemerkenswert (sind) Intensität (und Systematik der amtlich gesteuerten Berichterstattung.“. Fiktive Offiziere erfanden Feldzugs-Lagen, der
Außenminister redigierte Berichte, der König selbst (!) verfasste diverse und schreibt
geradeaus:
4. „Solche Relation (Bericht) ist umso zuverlässiger (!), als selbige von meiner (!) Facon ist…“
5. Napoleon stand dem nicht nach und schrieb und redigierte die Bulletins de la Grande Armee in höchsteigener Person.
6. Dem wollte Metternich nicht nachstehen und er offerierte seine „Idee zur Gründung einer
Zeitung unter dem Schutz und der Redaction (!) der alliierten Mächte“, was dann in der
Feld-Zeitung ab 1813 geschah.
7. Lug und Trug erreichten im Krieg 1870/71 einen weiteren, durch Zuhilfenahme der
Telegraphie und der Fotografie (letztere zum ersten Mal im Krim-Krieg 1854/56
„eingesetzt“, 1870 entsteht das erste fliegende photographische Atelier des preußischen
Generalstabes) gesteigerten Höhepunkt.
8. Der Franzose Albert Robida entwarf 1883 übrigens schon just, was heutige embedded-
Reporter als Handwerkszeug haben: Eine Direktübertragung vom Schlachtfeld per Mikrofon (damals noch mit Standleitung) und sogar ein „Telephonoscope“, also das Fernsehen, wie wir es heute direkt vom Kampfgeschehen gewohnt sind. Ein wahres Genie in der Vorwegnahme künftiger Dinge (sein „Krieg im 20. Jahrhundert“ setzte als Datum der Einführung dieser Errungenschaften die Mitte des 20. Jh. an – ein Volltreffer!).
Nun noch etwas überaus Lehrreiches. Heute gelten „Pressekonferenzen“ (PKs) als Alltäglichkeit in Politik und Wirtschaft (von den Show-Fuzzis ganz zu schweigen). Aber wer hat dieses Instrument, dieses brainwash eigentlich erfunden?
Wieder sehen wir ein Kriegskind. Die erste PK der Welt stieg am 3. August 1914. Wo? In einem sich bis heute bewährenden Tempel der Unwahrhaftigkeit (pardon: der reinen Lauterkeit, man denke an die sog. „Vertrauensfrage“), nämlich in einem Zimmer im Deutschen Reichstag. Dort bat ein Major (Name: Georg Schweitzer) Vertreter der Presse zu sich, um (so in einem Nachruf auf ihn)
„eine regelmäßige Verbindung (!) zwischen den Militär- und Zivilbehörden und der Presse
herzustellen…
Schon nach 10 Tagen stellte sich die Notwendigkeit einer Erweiterung heraus, so dass die Einrichtung einer regelrechten Pressekonferenz, zunächst dreimal wöchentlich im Reichstag, beschlossen wurde. Ein besonderer Presseausschuss erhielt die Genehmigungserteilung der Zulassung, für die dann der Generalstab (!) besondere Karten ausstellte… Die Verhandlungen der
Pressekonferenz wurden für vertraulich (!) erklärt und die Verwendung der Mitteilungen nur nach bestimmten Grundsätzen (!) gestattet.“
Wilke: „Die Pressekonferenz … war ein Geschöpf des Ersten Weltkriegs.“
Das embedding, das die Briten ebenfalls im Ersten Weltkrieg betrieben und 6 Korrespondenten der Army an die Westfront schickten, hatten die Nazis dann zu einem riesigen militärischen System ausgebaut. Ab 1939 existierten 7 Propagandakompanien des Heeres, 4 der Luftwaffe und 2 der
Marine. Auf dem Höhepunkt sollen 15.000 Köpfe an der „Wahrheitsfindung“ beteiligt gewesen sein.
Inwieweit Peter Scholl-Latour zu folgen ist, der die Praxis unter einer Diktatur der demokratischer Staaten gleichsetzt, bleibt
einstweilen umstritten.
Jedenfalls hat sich das journalistische Rollenverständnis gewandelt, vom „Augenzeugen“ zum „Aufklärer“ – was auch immer unter Letzterem zu verstehen ist.
Paul C. Martin
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