Falls der Gasmann streikt
„Was ist ein Panzer?“ – „Das ist ein Fahrzeug zur schnellen Verwirklichung von brüderlicher Hilfe“. So lautete eine sowjetische Anekdote aus der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Mittlerweile rollen wieder Kettenfahrzeuge in der Ukraine. Der Bürgerkrieg kann mit oder ohne Sanktionsspirale zu einer Störung der Handelsbeziehungen in Europa führen.
Etwa 31 % der deutschen Gaseinfuhren stammen aus Rußland. 11 % des deutschen Gasverbrauchs werden in Deutschland gefördert, 11 % in Großbritannien und Dänemark, je 24 % werden aus Norwegen und den Niederlanden eingeführt. Die von Rußland gelieferte Gasmenge beträgt etwa 30 Mrd. Kubikmeter im Jahr. Diese Menge könnte sogar Algerien mit einer Jahresförderung von 70 Mrd. Kubikmetern mühelos ersetzen. Auch Katar mit 140 Mrd. Kubikmetern wäre ein möglicher Lieferant aus dem Nahbereich. Man muß wissen, daß ein guter Teil der Gasexporte dieser Länder vertraglich gebunden ist. Darüber hinaus gibt es jedoch auch ein Gasangebot für den sogenannten Spotmarkt. Dieser Spotmarkt für Gas ist ein internationaler Markt für sofort erfüllbare Kontrakte.
Technisch ist die Lieferung kein Problem, da 30 % aller weltweiten Gastransporte als Flüssiggastransporte (LNG) abgewickelt werden, und zwar mit stark steigender Tendenz. In Europa gibt es zahlreiche Empfangsterminals für Flüssiggas und einige weitere sind im Bau. Viele LNG-Tanker sind mäßig ausgelastet und warten auf mehr Beschäftigung. Das Neubauvolumen dieser Schiffsklasse ist gestiegen. Ende Dezember 2012 waren 69 LNG-Carrier in Südkorea, 9 in Japan und 8 in China bestellt, die bis 2015 abgeliefert werden. Die Kosten des Gastransports mit Gastankern sind ab 2.000 km Transportentfernung niedriger als die der leitungsgebundenen Gastransporte.
Erdgas spielt eine große Rolle in der deutschen Wärmewirtschaft. In der Stromwirtschaft ist das anders. Die derzeit 8,4 % Erdgasstrom kann man mühelos durch Kohlestrom und importierten Strom ersetzen. Wegen des Windstroms sind zwar Gaskraftwerke erforderlich, weil sie schnell hochgefahren werden können und auf Flaute sofort reagieren. Auf Gas für die Stromerzeugung kann man in einer wirklichen Notlage jedoch komplett verzichten, wenn man den Flatterstrom aus Wind einfach abstellt. Die Photovoltaik liefert in der am Gasmarkt kritischen Winterzeit ohnehin nicht nennenswert.
Der deutsche Erdgasverbrauch für die Wärmewirtschaft beträgt etwa 70 Mrd. m3. Ein sehr geringer Teil des Gases läßt sich in der Not durch andere Energieträger ersetzen. Das wäre eine freudlose und kontraproduktive Aufgabe, wie die mehrmalige Energieträgerumstellung in den Neuen Ländern von 1980 bis heute gezeigt hat. Investitionen müßten abgeschrieben werden. Dieser Weg ist nicht oder nur eingeschränkt sinnvoll. Der russische Anteil am Wärmemarkt läßt sich kurzfristig durch LNG aus anderen Förderländern ersetzen. Daß das kein sehr großes Problem ist, beweist uns Ostasien. Japan hat im Jahr 2012 nach der zeitweiligen Stillegung der japanischen Kernkraftwerke 107 Mrd. m3 LNG importiert, mit einer Steigerung von 24 % von 2012 gegenüber 2010. Das zeigt, wie flexibel der weltweite Gasmarkt auf plötzliche Notlagen reagieren kann.
Eine kleine Achilleferse hat die deutsche Gasversorgung im Krisenfall. Deutschland hat als einziges Industrieland auf der ganzen Welt kein einziges Empfangsterminal für Flüssiggas. Man würde auf die niederländischen, französischen, belgischen und italienischen Freunde angewiesen sein um die Versorgung Deutschlands sicherzustellen. Aber wozu ist Deutschland in der EU, wenn niemand helfen würde?
Die deutsche Außenpolitik sollte versuchen, die Ukraine-Krise zu entschärfen, soweit das in ihrer geringen Macht steht. Da sich Ost- und Westukrainer ohnehin nicht ausstehen können, wäre die Teilung der Ukraine anzustreben, bevor noch mehr Blut fließt und der internationale Gasmarkt empfindlich gestört wird. Präsident Poroschenko sollte, wenn er einigermaßen bei Trost ist, Putin die marode Ostukraine vor die Füße kehren. Dann hat Rußland ein riesiges ökonomisches Problem zu lösen und ist jahrelang mit sich beschäftigt.
Die Ukraine war vor dem Ersten Weltkrieg die Kornkammer Europas. Durch Erosion ist der Boden in der Sowjetzeit weggeflogen und weggespült worden. Darüber gab es eine Anekdote aus der Kategorie rabenschwarzer Humor. Anfrage an Radio Jerewan: „Stimmt es, daß das Getreide in der Ukraine so hoch wächst wie Telegrafenmasten?“ – „Im Prinzip ja, die Abstände sind sogar noch größer!“
Vielleicht kann die jetzige Diplomatische Offensive endlich ein Stück weit Entspannung bringen um den Konflikt wirklich mal zu entschärfen, was im letzten halben Jahr nicht gelungen ist. Das eine Verschärfung der Sanktionen nicht den erhofften Effekt hat sondern negative Auswirkungen überwiegen sollte bei den EU Politikern angekommen sein.