Kommunismus = Sowjetmacht plus Elektrifizierung
Ursprung und Ergebnis einer Idee – oder auf Neudeutsch: Eine Welt, das ist Windkraft plus die Verblödung des ganzen Landes. Ein Ausflug ins wirkliche Leben. Von Helmut Roewer
Als sich der Bolschewiki-Führer Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, mit deutscher Gold-Mark im Spätherbst 1917 in Russland an die Macht geputscht hatte, zeigte er Qualitäten, mit denen eigentlich niemand gerechnet hatte. Was ihn auszeichnete, war
- Gedanken unters Volk zu bringen, die dort auf fruchtbaren Boden fielen,
- sich mit dem Glorienschein der Unfehlbarkeit zu versehen,
- Widerspruch und Abweichler mit brutalen Methoden zu unterdrücken.
So kam, was seinen Geldgebern im Traum nicht in den Sinn gekommen wäre: Lenin zerstörte zwar wunschgemäß die politische Kaste seines Landes, die gewillt war, den Krieg auch nach der Absetzung des Zaren fortzusetzen. Das war im Plan. Aber dass er in der Lage sein würde, aus dem Putsch ein Imperium zu machen, das war unerwartet und eigentlich niemandem recht.
Lenins Erfolg beruhte, ich sagte es bereits, auf seinem Vermögen, scheinbar einleuchtende Dinge zu formulieren und durchzusetzen. Nachdem die Beendigung des Krieges zumindest formal gelungen war und die Landverteilung begonnen hatte, setzte er auf ein weiteres propagandistisches Pferd, was sich als wahrer Renner erwies: Die Elektrifizierung des ganzen Landes.
Sowas propagiert sich leichter, als es dann praktisch getan wird, zumal wenn erst kurz zuvor alle, die noch zu Zeiten des Zaren an der Elektrifizierung gearbeitet hatten, liquidiert oder außer Landes getrieben worden waren. Doch die Partei wusste Rat: Spezialisten – so nannte man die neue Kaste neben dem Parteiapparat – wurden von den Haft- und Erschießungslisten genommen und vor die Wahl gestellt, ob sie verhungern oder dem neuen Regime dienlich sein wollten. Den meisten fiel die Entscheidung nicht schwer. Doch den einheimischen Spezialisten mangelte es ersichtlich am Knowhow. Das wurde aus dem Ausland benötigt und besorgt. Da die Beziehungen nach Westen hin jedoch aus leicht nachzuvollziehenden Gründen empfindlich gestört waren – so waren beispielsweise vom neuen Regime alle auswärtigen Eigentümer von Bodenschätzen und Produktionsstätten in Russland enteignet worden –, war man darauf angewiesen, das benötigte Wissen heimlich zu beschaffen. Ich werde im Folgenden eine zu diesem Thema gehörige Geschichte kurz erzählen. In ihr kommen zwei Personen vor, die das Gewünschte auf dem Gebiet der Elektrifizierung in bemerkenswerter Weise erledigten, ein Russe und ein Deutscher.
Der Name des Russen ist Grigorij Iwanowitsch Semjonow, er kam 1891 zur Welt. Ich werde dessen an Verrücktheiten reiches Revolutionärs-Leben auf ein übersichtliches Maß eindampfen. Dabei kommt heraus, dass Grigorij bereits als Kind des hohen Steuerbeamten und Angehörigen des Dienstadels Iwan Semjonow ein besonderer Querkopf gewesen sein muss. Er beteiligte sich im heimatlichen Jurjew/Dorpat (heute: Tartu in Estland) an Gewalttätigkeiten gegen die zaristische Obrigkeit. Sein weiterer Lebensweg war mit Erziehungslagern, Strafanstalten und sibirischen Verbannungsorten gepflastert. Schließlich entkam Semjonow nach Paris, zur Jahrhundertwende das Eldorado russischer revolutionärer Pläneschmiede jeglicher Couleur. Während des Ersten Weltkriegs gelang es ihm, von dort – auf welchem Umweg auch immer – nach Russland zurückzukehren. Umgehend in die Armee eingezogen, nahm er sogleich seine revolutionäre Aufwieglungsarbeit unter den Soldaten auf, was ihm erneute Haft, aber bald schon nach der Februar-Revolution 1917 eine steile Karriere in den Arbeiter- und Soldatenräten einbrachte.
Ich überspringe die Odyssee von Revolution und Bürgerkrieg bis zum Jahre 1922. Semjonow war nunmehr nach einem Umweg über die Geheimpolizei Tscheka, deren Opfer und Mittäter er in raschem Wechsel war, bei der sich soeben bildenden Auslandsspionage der Roten Armee (später und bis heute: GRU) gelandet. Dort besann man sich, dass Semjonow im Pariser Exil seinen Lebensunterhalt in einer Glühlampenfirma verdient hatte. Nun wurde er nach Berlin entsandt zur Technik- und Wissenschaftsspionage – das war ein Parteiauftrag. Semjonow wurde fündig. Sein Beschaffungsagent wurde ein Deutscher, dessen Namen etwas unsicher ist, da ich ihn nur aus russischen Quellen kenne, wo er Гейсльер oder Гейзлер geschrieben wird. Ich übersetze das mal mit Geißler, er könnte auch Heisler geheißen haben.
Franz Geißler stammte aus Berlin, wo er 1897 geboren worden war. Er war ein Elektro-Ingenieur, und muss als sehr junger Mann in der Glühlampenfabrik Osram eine Anstellung gefunden haben. Was genau er dort tat, ist unbekannt. Jedenfalls muss er an die Produktions-Unterlagen seiner Firma herangekommen sein, denn genau das ist es, was er seinem Führungsagenten verschaffte. Vor allem muss es die Verwendung von Wolfram gewesen sein, was die Russen zum Staunen brachte. Über Geißlers Motive wissen wir nichts. Bestenfalls kann man aus seinem weiteren Lebenslauf erahnen, dass er von ideologischen Motiven gesteuert wurde. Er trat 1923 in die KPD ein und wechselte 1925 seinen Arbeitsplatz. Fortan war er als ein gesuchter ausländischer Spezialist in Moskau. Auf Dauer keine gute Entscheidung, denn die ironisch-brutale Regie der Stalinistischen Säuberungen der 1930er Jahre will es, dass er 1938 wegen Spionage in Moskau festgenommen und erschossen wird. Von ihm ist eine NKWD-Akte übrig geblieben, aus dem uns der Festgenommene anschaut. Nebenbei bemerkt, es ist eines der raren Festnahmebilder, auf denen der Abgebildete ein vages Lächeln zeigt. Warum das so ist, werden wir nie erfahren.
Und Geißlers Entdecker Semjonow? Den hatte sein weiterer Lebensweg auf den seltsamsten Pfaden quer durch die halbe Welt wandeln lassen. Die Details würden für eine ganze Netflix-Serie über die Wunder der Sowjetunion reichen. Seine letzte Auslandsstation war Spanien während des Bürgerkriegs, wo er im Parteiauftrag Gegner – wer immer das sein mochte – eigenhändig zu liquidieren hatte. 1937 wurde er nach Moskau zurückbeordert und dort dann selber als Parteifeind erschossen.
Was hat diese Geschichte mit uns zu tun? Nun, Ideologien berufen sich gerne auf wissenschaftliche Grundlagen, die die Menschheit in eine lichte Zukunft tragen werden. Geht man diesen Dingen auf den Grund, gerät man ins Trübe. Die Gewissheiten – man beachte den stets verwendeten Plural – stützen sich auf die Tätigkeiten und Erkenntnisse von Spezialisten, die willig beschaffen, was der Zeitgeist verlangt. So landet heutzutage der Strom in den Netzen und wartet dort, bis er gebraucht wird.
Ein letzter Blick mag dem russischen Propaganda-Plakat gelten: Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung. Bereits der weise Wladimir Lenin wusste – man muss nur genau genug hinsehen – um die Bedeutung der Windräder.
©Helmut Roewer, November 2020
Danke für die Geschichte aus dem Leben! Kann man sich nicht ausdenken. Auch die Geschichte der sowjetischen Kernwaffen und Trägerraketen bietet Stoff zum Staunen und Gruseln. Den grausamen Kraftakt „Elektrifizierung“ kann man vielleicht unter Schwerindustrie / Rüstung einordnen?
Warum in die Ferne denken , denn das Aktuelle liegt so nah!
Dabei denke ich an den durch Gier und Geltungsdrang stattfindenden Wissens- und Technologietransfer vom heutigen Deutschland an die aufstrebende Militär-Großmacht China. Die zukünftigen Opfermassen dieses Geschäftes können sich ruhig jetzt schon bei den Deutschen schon heute bedanken.
Dieser rote Faden zieht sich unaufhaltsam durch die Geschichte.
Das ist kein Windrad, sondern ein Zeigertelegraf, der die aktuelle Richtung der Parteilinie anzeigt.
Beim Betrachten des Polizeifotos: Haar- und Barttracht entsprechen der linksgrünen Mode von heute. Er war seiner Zeit zu weit voraus.