Glanz und Elend der Kommunen
Vor hundert Jahren ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Die Ergebnisse waren furchtbar. Tote Familienväter und solche die es werden wollten, Zerstörungen und zwei Monster-Staaten, die in der Folge entstanden: Jugoslawien und die Sowjetunion. Das sind die bekannten Auswirkungen, an die man denkt. Fast vergessen ist die Finanzreform von 1919, unter der die deutschen Städte und Gemeinden noch heute leiden. Zunächst eine Beschreibung der tristen Gegenwart und dann ein Blick in den Rückspiegel.
Für die Gemeinden nur Taschengeld
Der Bund hatte 2010 Steuereinnahmen von 273 Mrd. €, die Länder von 179 Mrd. € und die Gemeinden bekamen ganze 77 Mrd. €. Die Ausgaben der Gemeinden betrugen jedoch im selben Jahr 182 Mrd. €. Die Gemeinden bekommen Grundsteuern, Gewerbesteuern und Hundesteuern, dazu ein paar Bagatellsteuern wie die Zweitwohnungssteuer, 15 % Anteil an der Einkommenssteuer, 2 % von der Umsatzsteuer und 12 % von der Kapitalertragsteuer. Zwischen den Steuereinnahmen der Gemeinden und den Ausgaben klaffte 2010 ein Loch von 105 Mrd. €. Pro Einwohner sind das immerhin 1.300 € jährlich.
Dieses Loch können die Gemeinden nicht mit Gebühren, Blitzern und der Vermietung von Gemeindewohnungen auffüllen. Es wird im wesentlichen durch Zuweisungen der Länder und des Bundes zugeschmissen. Diese Formulierung ist bewußt gewählt. Denn der Ausgleich des Defizits erfolgt nicht systematisch und aufgabengerecht, sondern willkürlich und nicht selten durch Vermittlung der Landtags- und Bundestagsabgeordneten unter parteitaktischen Erwägungen.
Der finanzielle Bedarf einer Gemeinde wird nicht durch die Entscheidungen dieser Gemeinde bestimmt, sondern durch Gesetze, die in Brüssel, Berlin und den Landeshauptstädten beschlossen werden. Brüssel hat beispielsweise die Wasserrahmenrichtlinie beschlossen und die Gemeinden müssen Kläranlagen bauen und betreiben. In den Landeshauptstädten wurden Kitagesetze mit Personalschlüsseln ausgedacht, die Gemeinden müssen das Geld dafür aufbringen. Das sind für die Gemeinden die sogenannten Pflichtaufgaben. Früher beschlossen die Stadt- und Gemeinderäte noch freiwillige Aufgaben, zum Beispiel den Betrieb eines Schwimmbads, einer Stadtbibliothek, eine Rentnerweihnachtsfeier oder es blieb etwas Geld für die Jugendarbeit übrig. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Gemeinden können nicht einmal ihre Pflichtaufgaben erfüllen.
Die kommunale Infrastruktur verfällt
Die Zuweisungen sind in der Regel für den Verwaltungshaushalt bestimmt, sogenannte Fördergelder für den Vermögenshaushalt. Über den Vermögenshaushalt laufen die Investitionen, zum Beispiel für Straßen, die Straßenbeleuchtung, Kindergärten und Schulen.
Früher gab es zum Durchführen von Investitionen Fördergelder der Bundesländer für die Gemeinden. Diese Fördergelder werden immer rarer. Viele Gemeinden können sie wenn sie noch fließen nicht mehr in Anspruch nehmen, weil der zugehörige Eigenanteil nicht erbracht werden kann. In Thüringen beispielsweise ist der Investitionsanteil an den Ausgaben der Städte und Gemeinden 2013 auf 12 % der Gesamtausgaben gesunken. Um die Jahrtausendwende waren es noch 25 %. Mit 12 % ist nicht einmal der Erhalt vorhandener Substanz möglich.
Die Landeszuweisungen für den Verwaltungshaushalt decken nicht einmal ansatzweise die Personalkosten der Gemeinden, insbesondere die ausufernden Kosten für Kindergärten. Mehrere hundert Gemeinden in Deutschland können seit Jahren keine genehmigungsfähigen Haushalte mehr aufstellen, obwohl sie nur Pflichtaufgaben erfüllen und sparsam wirtschaften.
Die goldene Zeit der Kommunen
Vor 1919 war die Gemeindefinanzierung im wesentlichen gesichert. Brüssel hatte noch keine Bedeutung als Kostenfaktor, mit Berlin hatten die Gemeinden finanziell wenig zu tun. Die Gemeinden konnten ihren Finanzbedarf durch direkte und indirekte Steuern decken, die sie selbst nach Bedarf im Rahmen von Kommunalabgabengesetzen erheben konnten. Fördergelder gab es nur wenn ein Ort abgebrannt war. Die Investitionen der Gemeinden liefen nicht durch das Umverteilungskarussel der damaligen deutschen Bundesstaaten. Wenn man heute Schulen, Straßen, Abwasseranlagen, Krankenhäuser und Rathäuser aus der Kaiserzeit anschaut, ist man über den Weitblick der damaligen kommunalen Bauherren verwundert. Viele Gebäude können noch heute problemlos genutzt werden, obwohl die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer schon dreimal abgelaufen ist. Und man staunt darüber, daß der kommunale Investitionsbedarf damals offenbar gedeckt werden konnte.
Die Steuern kamen vor dem Ersten Weltkrieg überwiegend den Städten und Gemeinden zugute. Das Reich mußte mit Zöllen, einigen Verbrauchssteuern und dem Ertrag der Reichsbahn auskommen. Das Reich hatte 1903 Steuereinnahmen von 1,044 Mrd. Reichsmark, die Bundesstaaten erzielten zusammen 0,611 Mrd. RM. Die Gemeinden in Deutschland hatten etwa 1,1 Mrd. € Steuereinnahmen. Das bedeutet, daß auf die Städte und Gemeinden rund 40 % der Steuereinnahmen entfielen, auf die Länder 22 % und auf das Reich etwa 38 %.
Natürlich war die Aufgabenverteilung damals nicht ganz identisch mit der heutigen. Auf den Kommunen lastete die Armenpflege, was heute nur noch teilweise der Fall ist. Allerdings muß man bedenken, daß die Arbeitslosenrate im Kaiserreich um nur 3 % schwankte. Bestimmte Polizeiaufgaben waren von den Städten zu erfüllen. Aber sonst hatten die Kommunen im wesentlichen die gleichen Aufgaben wie heute.
Das Subsidiaritätsprinzip steht nur auf dem Papier
Die gleichen Aufgaben. Nur daß heute der Bund 51,5 % der Steuern einnimmt, die Länder 34 % und die Gemeinden äußerst lächerliche 14,5 %.
Im Grundgesetz steht, daß die jeweils unterste Ebene die Aufgaben erfüllen soll, soweit sie dazu in der Lage ist. Wenn man den Gemeinden dafür nicht die Mittel zugesteht, ist das nicht machbar. Gegen den Verfassungsgrundsatz der Subsidiarität wird deshalb systematisch verstoßen.
Die Städte und Gemeinden brauchen wieder 40 % der Steuern wie vor dem Weltkrieg. Dann können sie auf Fördermittel und Zuweisungen verzichten und über einen vernünftigen Zeitraum planen. Jawohl, der Erhalt der kommunalen Infrastruktur ist Planwirtschaft! Eine Stadt oder eine Gemeinde ist nicht Coca-Cola oder Daimler mit Marktpreisen und weltweiten Verknüpfungen. Infrastruktur muß erhalten und ersetzt werden und das kann eine Kommune mittelfristig exakt planen. Aber nur, wenn nicht ständig eine fatale Abhängigkeit von der chaotischen Landes- und Bundesebene besteht und nur von Astrologen vorhergesagt werden kann, ob der Haushalt im kommenden Jahr aufgeht.
Korrektur von Fehlentscheidungen erforderlich
Kaiser Wilhelm brauchen wir nicht wieder. Aber die alte Reichsordnung der Finanzen. Und die alte Aufgabenteilung zwischen den staatlichen Ebenen. Sie war dem jetzigen Durcheinander stark überlegen. Früher war jede politische Ebene für ein Aufgabengebiet verantwortlich. Es gab keine Mischverantwortung. Der Bürger konnte erkennen, ob ein Politiker fähig war, seine Aufgaben zu erfüllen und seine Wahlentscheidung danach ausrichten. Die neue Ordnung der Mischverantwortung ist für den Bürger intransparent und hat nie funktioniert.
Zum Beispiel Schulen: Das Land macht die Bildungspläne, konzipiert Dildospiele für Grundschüler und setzt Schulleiter und Lehrer ein. Die Gemeinden bezahlen Hausmeister und Sekretärinnen, organisieren die Horte und passen auf, daß das Dach nicht einstürzt. Zur Kaiserzeit konnte die Gemeinde auch die Lehrer anstellen und hatte damit Einfluß auf die Qualität der Schule. Es war eine bürgernahe ganzheitliche Verantwortung.
Das Scheitern der 100jährigen Unordnung der Nachkriegszeit beweisen die Hyperinflation von 1923, der Übergang zum Nationalsozialismus und Stalinismus sowie die aktuell wütende Finanzkrise. Der Rückblick auf den Ersten Weltkrieg und seine Folgen ist auch Gelegenheit zur Besinnung und zur Überprüfung und Korrektur damals getroffener Fehlentscheidungen.
Quelle Steuern 1903: Erich Trescher: Die Entwicklung des Steuerwesens im Herzogtum Sachsen-Gotha, Tabellenanhang