Wachstumszahlen werden manipuliert
Wirtschaftswachstum ist eine Frage der Definition. Wenn mehr Waren hergestellt oder mehr Dienstleistungen erbracht werden, kommt es entsprechend zu Wachstum. Denkt man. Aber es ist nicht immer so.
Ganz einfach kann man sich das an einer Ernte verdeutlichen, die plötzlich höher ausfällt, als in den Vorjahren. Man hat dieselbe Arbeit investiert, um den Boden zu bearbeiten und zu säen wie jedes Jahr. Man hat Kosten wie sonst auch, aber man erntet doppelt soviel Korn. Bei Ermittlung des Gewichts hätte man 100 % Wirtschaftswachstum. In der verblichenen Sowjetunion hat man bei Festpreisen so rechnen können. War nicht ganz plausibel, weil auf dem Weg zum Verbraucher die Hälfte vergammelt ist.
Der Preis des Korns wird in einer Marktwirtschaft in einem abgegrenzten Markt bei der gleichbleibender Zahl an Abnehmern, Verbrauch im Erntejahr und der doppelten Erntemenge halbiert werden. Denn die Abnehmer haben ja nicht mehr Geld zur Verfügung, um das Korn zu kaufen. Der Wert des Korns im Rekorderntejahr wird also gleich sein, wie im Vorjahr. Der Preis pro Mengeneinheit wird sich halbieren. Ergebnis würde sein: kein Wirtschaftswachstum.
Unsere Statistiker ermitteln das Wirtschaftswachstum jedoch nach preisbereinigten Nominalwerten. Wenn sich der Preis für das Korn halbiert hat und die Ernte sich verdoppelt hat, bleibt der Nominalwert des gesamten Korns gegenüber der Vorperiode gleich. Allerdings stellen die Statistiker nun den Preisverfall auf 50 % fest. Wenn man den Preis des Korns auf den Preis der Vorjahre bereinigt, hat man ein Wirtschaftswachstum von 100 % wie in der Sowjetunion. Nur daß nicht soviel Getreide umkommt wie bei den Russen.
In der Praxis kann man Korn in Gegenden verkaufen, wo die Ernte schlechter war und der Preis solange höher ist, wie das Korndefizit in diesen Mangelgebieten nicht ausgeglichen ist. In den Gebieten mit überdurchschnittlicher Ernte würde der Preis in einer marktwirtschaftlichen Idealwelt nicht erheblich verfallen und umgekehrt würde er in Gebieten mit unterdurchschnittlicher Ernte nicht stark steigen. Der Preis würde weltweit in der Summe gleich bleiben. Im wirklichen Leben gibt es Subventionen, Transportkosten, Korruption, Streiks, Handelsbeschränkungen, Währungsschwankungen, Diebstahl, Embargos, Ausfuhrverbote und Zölle. Dadurch können die produzierte Menge der Waren und das festgestellte Wachstum erheblich auseinanderfallen.
Korn ist eine Ware, die über Jahrhunderte gleiche Qualität hat. Ebenso wie ein Kilogramm Butter, ein Ei mit einem bestimmten Gewicht oder ein Kilo Möhren. Da läßt sich die Preisentwicklung leicht bestimmen. Auch eine Tonne Rohstahl ist immer eine Tonne Rohstahl. Bei vielen Endprodukten haben die Inflationsforscher ein Problem: Der Vectra A von 1992 ist in den technischen Parametern mit dem Astra von 2014 nicht vergleichbar. Da müssen die Statistiker phantasieren, wenn sie die Preise vergleichen. Es wurden Methoden entwickelt, mit denen Preisänderungen, die nur auf qualitativen Veränderungen bestimmter Eigenschaften beruhen, von den reinen Preisänderungen rechnerisch getrennt und eliminiert werden. Das ist ein Einfallstor für Willkür, weil die Messung von Qualitäten immer wieder Elemente der Subjektivität beinhaltet.
Eine zweite Quelle von Willkür ist der Warenkorb, der der Ermittlung der Inflationsrate zugrundeliegt. Vermögensgüter und viele andere Waren und Leistungen sind nicht erfaßt: Wer zum Beispiel nach Baumarktprodukten sucht, der wird enttäuscht. Sie sind im Warenkorb schlicht nicht enthalten.
Was die Statistiker mit dem Warenkorb bottom up ermitteln ist auch keine Inflation, sondern Teuerung. Inflation wird top down berechnet: Es ist das Verhältnis des vorhandenen Geldes zur realen Wertschöpfung. Inflation ist der Zuwachs der Geldmenge M3 minus des BIP-Zuwachses.
Statistiker neigen dazu die Inflationsrate so klein wie möglich zu ermitteln, weil das eine politische Vorgabe ist. Und das kommt so: Je geringer die Inflationsrate, desto höher das ausgewiesene Wachstum. Denn wir hatten ja oben festgestellt: Unsere Statistiker ermitteln das Wirtschaftswachstum nach preisbereinigten Nominalwerten.
Wenn das Nominalprodukt um 4 % gestiegen ist und diese Steigerung wird um eine Preissteigerung von 4 % bereinigt, so ist das Wirtschaftswachstum Null. Wenn man bei einem Nominalwachstum von 4 % aber nur eine komprimierte Preissteigerung von 2 % ermittelt, so ergibt sich ein Wirtschaftswachstum von knapp 2 %. So bekommt der Franzosenpräsident Hollande es hin, daß das offizielle Wirtschaftswachstum in Frankreich immer noch + 0,1 % beträgt.
Die Schuldentragfähigkeit von Staaten und Volkswirtschaften wird unter anderem durch das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt gemessen. Durch Manipulation der Wachstumszahlen läßt sich nur flüchtig der Eindruck erwecken, die Verschuldung wäre beherrschbar, obwohl das eigentlich nicht der Fall ist. Denn wenn man die Nominalverschuldung dem Nominalprodukt gegenüberstellt, erweist sich alle Manipulation der Wachstumsraten als Hokuspokus. Die Schuldenrate wird nämlich durch Division der Schulden durch das nominale BIP bestimmt.
Die Inflationsrate und das Nominalprodukt kann man nicht sehr genau ermitteln. Wenn die Statistiker das Wirtschaftswachstum mit einer Genauigkeit von einer Stelle hinter dem Komma angeben, so ist das reine Irreführung und Prahlerei. Die Statistiker erfassen nur das Produkt genau, welches bei der Umsatzsteuer, bei der Einfuhrumsatzsteuer und beim Zoll vorbeikommt. Oder wo die Betriebe direkte Meldungen abgeben müssen. Der Rest ist eine Schätzung. Und was nicht auf den Markt kommt, weil es Eigenverbrauch ist, das liegt ganz in der Grauzone. Wenn das Wirtschaftswachstum in ganzen Prozentzahlen plus minus ein halbes Prozent angegeben werden würde, wäre das ehrlicher!
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