Brandbeschleuniger aus Italien

Heute hat der Italiener Mario Draghi wieder einmal die Dicke Berta der EZB abgefeuert und die Zinssätze manipuliert. Viele Finanzexperten vermuten, daß durch Niedrigzinsen neue Vermögensblasen entstehen und daß Draghi den Brand des Finanzsystems beschleunigt. Drücken wir die Daumen, daß alles nicht so schlimm kommt.

Im allgemeinen sind unsere italienischen Freunde ganz auf ihre bella figura bedachte Zeitgenossen, die ihre Maximen nicht so ernst nehmen und dadurch eher angenehm in Erscheinung treten. Aber auch in Italien gibt es Ausnahmen. So ein Ausnahmeitaliener als Brandbeschleuniger des Krieges war Tommaso Marinetti, der mit seinem ausgeprägten Bellizismus seinen Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte und zusammen mit dem sozialistischen Politiker Mussolini erfolgreich für den italienischen Kriegseintritt warb. Vor dem hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruchs ist es Zeit an ihn zu erinnern.

Am 20. Februar 1909 wurden die Begründung und das Manifest des Futurismus im Pariser „Figaro“ veröffentlicht. Tommaso Marinetti war wortgewaltig und seine Fundamentierung des Futurismus eine Aneinanderreihung starker Bilder. Wenn er im folgenden „wir“ schreibt, meint er übrigens sich selbst, denn er war alleiniger Autor:

„Wir blieben all die Nächte auf, meine Freunde und ich, unter hängenden Moscheenlampen mit Kuppeln aus filigranem Messing, sternbesät, wie unsere Ideen, scheinend wie die gefangenen Strahlen von elektrischen Herzen. Für Stunden kehrten wir unsere atavistische Trägheit unter reiche orientalische Teppiche, diskutierend über die letzten Überzeugungen der Logik und schwärzend viele Bögen mit unserer Wahnsinnsschrift.“

1. Wir wünschen die Liebe zur Gefahr zu besingen, die Gewohnheit der Energie und Verwegenheit.

2. Kühnheit, Frechheit und Revolte werden grundlegende Elemente unserer Poetik.

3. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die Literatur eine schwermütige Unbeweglichkeit, Verzückung und Schlaf gepriesen. Wir wünschen die aggressive Aktion, ein schlafloses Fieber, des Rennpferds Schritt, die Todesspirale, die Ohrfeige und die Faust zu preisen.

4 Wir behaupten, dass der Welt Herrlichkeit durch eine neue Schönheit erreicht worden ist: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein rasendes Automobil, dessen Karosse mit großen Auspuffrohren verziert ist, wie Schlangen mit explosivem Atem –  ein röhrendes Auto, das auf Weinbeeren zu fahren scheint, ist schöner, als die Siegesgöttin von Samothrace.

5. Wir wünschen den Mann am Steuerrad zu besingen, der die Lanze seines Geistes gegen die Erde schleudert, entlang dem Zirkel ihres Orbits.

6. Der Dichter muß sich mit Inbrunst, Freigiebigkeit und Edelmut selbst aufopfern, um das enthusiastische Fieber der primären Elemente anzufachen.

7. Ausgenommen im Kampf, gibt es keine Schönheit mehr. Kein Werk ohne einen aggressiven Charakter kann ein Meisterwerk sein. Die Dichterei muß gefasst werden als eine gewaltsame Attacke auf unbekannte Kräfte, um sie zu verkleinern und niederzuschlagen in Gegenwart von Männern.

8. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! … Warum sollten wir zurückschauen, wenn das was wir wollen, das Niederbrechen der geheimnisvollen Tore des Unmöglichen ist? Zeit und Raum starben gestern. Wir leben immer im Absoluten, weil wir die innere, allumfassende Geschwindigkeit erfunden haben.

9. Wir wollen den Krieg glorifizieren – die einzige Hygiene der Welt – Militarismus, Patriotismus, die zerstörerische Geste der Freiheitsbringer, herrliche Ideen, die es Wert sind dafür zu sterben, und Verachtung für die Frauen.

10. Wir werden die Museen zerstören, die Bibliotheken, die Akademien aller Art, werden Moralismus, Weiblichkeit, jede bequeme oder nützliche Feigheit bekämpfen.

11. Wir werden über große Massen, die durch ihr Werk erregt sind singen, im Vergnügen und in der Ausschweifung; wir werden über die bunten polyphonen Wellen der Revolution in den modernen Hauptstädten singen; wir werden über das schwingende nächtliche Fieber der Arsenale und Werften singen, die hell erleuchtet sind von gewaltigen elektrischen Monden; von gefräßigen Bahnhöfen, die dampfende Schlangen verschlingen; von Fabriken die voll Wolken der gekrümmten Linien ihres Rauchs hängen; von Brücken, die die Flüsse wie gewaltige Gymnasten überspannen und in der Sonne aufflammen, mit dem Glanz von Messern; von abenteuernden Dampfern, die den Horizont wittern; von langbrüstigen Lokomotiven deren Räder auf den Schienen stampfen, wie die Hufen von riesigen Stahlpferden, deren Röhrenwerk im Zaum gehalten wird; und vom weichen Flug der Flugzeuge, deren Propeller mit dem Wind schwatzen wie Fahnen und anzufeuern scheinen wie eine enthusiastische Menge.

Aus Italien lancieren wir dieses unser gewalttätiges, umstürzlerisches brandstiftendes Manifest in die Welt. Mit ihm etablieren wir heute den Futurismus, weil wir dieses Land zu befreien wünschen von seinen stinkenden Kraken von Professoren, Archäologen, Fremdenführern und Antiquitätenhändlern. Zu lange ist Italien ein Verkäufer von Gebrauchtwaren gewesen….“

Das Manifest endet kämpferisch:

„Du hast Einwände? – Genug, Genug! Wir kennen diese… Wir haben verstanden!…Eure feine trügerische Intelligenz sagt uns, dass wir die Wiedergänger und Seelen unserer Vorfahren sind – Vielleicht!… Wenn es nur so wäre! – Aber wer sorgt sich? Wir wollen nicht verstehen!… Jammer über jeden, der uns diese infamen Parolen wieder sagt! Hebt eure Hände! Aufrecht zum Gipfel der Welt, immer wieder schleudern wir Trotz gegen die Sterne!“

Marinetti besuchte 1911 Berlin. In einer ohnehin durch Expressionismus, Militarismus, Aktivismus und den Glauben an die bevorstehende Reinigungskatastrophe aufgewühlten deutschen Hauptstadt verstärkte er die emotionalen Momente, die in den Weltkrieg mündeten. In Deutschland gab es einige Resonanz. Der Frauenmörder Johannes R. Becher schuf beispielsweise zwei futuristische Gedichte „Lokomotiven“ und „Die neue Syntax“.

Nach hundert Jahren ist der Futurismus übrigens in Lokalitäten gelandet, die für Marinetti Horrororte waren: totgelaufen wie viele andere Moden beendet er seine revolutionäre Bahn erklärt von ältlichen zerknitterten Ciceronen im Museum der Moderne. Wenn es bös kommt, sind die Museumsführer Wehrdienstverweigerer oder gar Frauen…