Vor 30 Jahren: Die erste Umfrage
Zwischen dem 17. und 19. November 1989 hatte der STERN eine erste Umfrage zu freien Wahlen in der Zone anfertigen lassen. Helmut Kohl hatte noch nicht seinen großen Auftritt in Dresden gehabt (der war erst am 19. Dezember) und von der Wiedervereinigung war noch nicht die Rede. Der Ruf „Wir sind ein Volk“ erschallte in Leipzig erstmalig am 13. November, er war aber erst eine Woche später in aller Munde. Die Befragung wurde also zu einer Zeit gemacht, als die DDR innen- und außenpolitsch völlig in der Luft hing.
Wenn man damals an die CDU dachte, dann an die Blockflöten und nicht an Helmut Kohl. Der Blick der Ossis war im November noch bang nach Osten gerichtet, nicht so sehr hoffnungsvoll nach Westen. Gorbatschoff wurde als mächtiger erachtet, als Kohl. Denn Kohl hatte keine Panzer in der Zone.
Die liberalbolschewistische LDPD hatte im Herbst 89 im Gegensatz zur CDU einen zartrevolutionären Ruf, weil sie in ihrer Presse mehrmals Reformen verlangt hatte. Die Oppositionsgruppen hatte der STERN offensichtlich zu dem Label „Neues Forum“ zusammengefaßt. Hier die Umfrage im Vergleich zum Wahlergebnis der Volkskammerwahl 1990. Um Umfrage und Ergebnis kompatibel zu machen, wurde beim Volkskammerwahlergebnis die Wahlbeteiligung (erstaunliche 93,4 %) mit eingebaut:
Umfrage Nov. 89 | Mrz 90 | |
CDU | 12 | 38,1 |
Sozialdemokraten | 10 | 20,4 |
Kommunisten | 14 | 15,3 |
Liberale | 15 | 4,9 |
DSU | 22 Neues Forum | 5,9 |
Bündnis 90 | 2,7 | |
Grüne | 1,8 | |
DA | 0,9 | |
Bauern | 3 | 2,0 |
Nichtwähler und Sonst. | 24 | 8,0 |
Die Umfrage zeigt die labile Situation, die auf eine schwierige Regierungsbildung hinausgelaufen wäre, hätten im November 89 schon Wahlen stattgefunden. CDU und SPD waren damals etwa so beliebt, wie sie es nach 14 Jahren Merkel wieder sind.
Das thüringische Wahlergebnis von 2019 hat mit der damaligen Stimmung durchaus Parallelen. Der völlige Bankrott der etablierten Macht in Berlin, die Schwäche des bundesrepublikanischen Zweiparteiensystems im Süden und die Suche der Bürger nach dem rettenden Ausweg.