Vor 30 Jahren: Reformen a la Hager sind uns zu mager

Kurt Hager war Chefideologe der Partei. Während der Glasnost- und Perestroikaperiode erlangte er durch ein Interview mit einem westdeutschen Magazin, das damals der SPD gehörte, eine gewisse Berühmtheit als Altstalinist. Am 10. April 1987 wurde sein verstocktes Geseiere im Zentralorgan „Neues Deutschland“ nachgedruckt:

„Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“

Mit dem Nachbarn war die mächtige Sowjetunion gemeint. Der traute sich was.  Zwei Jahre später rächte sich Gorbatschoff und ließ Honecker am langen Arm verrecken.

Am 11.10.1989 tagte das Ostberliner Politbüro und beriet darüber, wie man sich angesichts der schwindenden Macht der Partei verhalten könne. Das Politbüro veröffentlichte eine Erklärung, in der Bedauern über die Fluchtwelle anklang. Eine Woche zuvor hatte das Neue Deutschland noch geschrieben: „Man sollte ihnen keine Träne nachweinen.“ Sehr schwammig wurde eine Politik des Dialogs angekündigt: „Wir stellen uns der Diskussion.“

Am nächsten Morgen kam die Reaktion aus Kreisen der Ostberliner Opposition: „Reformen a la Hager sind uns zu mager“.

Sowohl im ZK der SED wie auch in der linkssozialistischen Ostberliner Opposition, die zunehmend von den Westmedien gepampert wurde, brach sich die Befürchtung Bahn, daß die Revolte aus dem sozialistischen Ruder laufen könnte, was drei Wochen später mt dem Ruf „Wir sind ein Volk“ auch geschah.

1988/89 blühten in den größeren Städten der Zone politische Zirkel und Salons, wo von einem schöneren Sozialismus mit menschlichem Antlitz geträumt wurde. In Weimar zum Beispiel um den Parteisekretär Paul, bei Olaf, bei der Frau eines protestantischen Pfarrers, bei der Igelin, bei Inga und in vielen anderen Wohnzimmern und Gerüchteküchen. Das war insofern konsequent, weil der Kreml diesen Freiraum selbst geschaffen hatte, den man nun nutzte. Nur im offiziellen Ostberlin herrschte weiterhin sibirische Eiszeit, obwohl auch auf dem Prenzlauer Berg oppositionelle Clubs und Freundeskreise wie Pilze aus dem Boden schossen. Sie mußten im Herbst 1989 nur noch umbenannt werden: SDP, Neues Forum, DA, DJ, VL usw.

Das Überraschende: Als es auf die Straße ging, liefen viele Salonrevolutionäre der Ersten Stunde nicht mit. „Da könnte ja Gewalt angewendet werden, da sind wir nicht dabei“, war ein öfter gehörtes Argument. Einmal mußte ich bei einer bekannten Küchenrevoluzzerin mein Fahrrad abstellen, mit dem ich zu einer Veranstaltung des Neuen Forums gefahren war. Auch das ging nur mit Hängen und Würgen. Die Revolution fraß ihre ältesten Kinder sofort. Sie konnten sich nicht vorgestellen, ihre am runden Biedermeiertisch ausgereiften Konzepte mit so vielen Leuten teilen zu können.

Recht früh deutete sich der Riß zwischen den Intellektuellen und dem niederen Volk an, der bis heute nicht gekittet, sondern beständig vertieft wurde. Als das Politbüro am 10./11. Oktober tagte, war dieser Dissenz zwischen Volk und Träumern noch völlig nachrangig, weil die Partei völlig inakzeptabele Signale sendete. Die Reaktion auf das erste sehr dürftige Friedensangebot der SED war einhellig negativ.

 

Update: Ein Leser beschwert sich, daß ich seine Kommentare gelöscht habe und erheischt eine Begründung. Das Löschen habe ich bei Dr. Merkel und der Lügenpresse gelernt. Bin bei einer sog „Qualitätszeitung“ lebenslang gesperrt. Es geht den Menschen wie den Leuten.