Der Aufstand gegen das woke Versailles

Noch vor 20 Jahren war der intellektuelle Frohsinn, wie ihn das Kabarett verkörpert, auf Seiten von Grünen und Roten. Seitdem der nur mäßig gebildete Adel der Nationalen Front sich total verspießert hinter dem Paragrafen 188 verbarrikadiert hat, geht das nicht mehr, Denn das Kabarett nahm ja immer den Spießer aufs Korn und moralisierte. Die Moral hat aber das Bürgertum gepachtet, und nicht der Adel.

Spießer sind der landläufigen Auffassung gemäß engstirnige Zeitgenossen, die sich durch ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen auszeichenen. Dazu gehörten früher Pietisten, Nationalsozialisten und Kommunisten, heutzutage zum Beispiel die Kórona-Nazis und die Gläubigen der Klimasekte, Schon 2004 wurde seitens einer Landesbausparkasse die engstirnige Perspektive vom Kopf auf die Füße gestellt. Ein Mädchen sagte zu seinem im Wohnwagen lebenden Vater, der Leute mit Immobilien als „Spießer“ bezeichnete: „Du Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.“

Ein Spaßmacher nach dem anderen geht in die Opposition gegen das woke Versailles: Tom Gerhard, Monika Gruber, Thomas Gottschalk, Dieter Nuhr, Uli Masuth, Lisa, Eckhart und Uwe Steimle, Das Potsdamer Versailles wird ständig mit seinen Entartungen konfrontiert, sei es das Vielfliegen, verückter Luxus, Verstoß gegen die selbstverfügten Eßvorschriften oder die Mißachtung des woken Bildungskanons.

Wir beobachten eine Verbürgerlichung der Gesellschaft. wie sie vor 250 Jahren schon einmal in Angriff genommen wurde. Ab etwa 1750 versuchte der Bürger seinen eigenen Stand zu erhöhen und den des Adels zu entwerten. Dabei mußte auch damals schon sehr subtil vorgegangen werden, um sich Racheakte zu versparen. Die Waffen, mit denen sich das damalige Selbstbewußtsein verteidigte, waren Subjektivität und Selbstverabsolutierung des bürgerlichen Ichs. Dagegen war kein etatistisches Kraut gewachsen.

Der Blick der Seele in sich selbst solle geschärft werden, schrieb Karl Philipp Moritz 1785 in der Vorrede zu seinem Roman „Anton Reiser“. „Freilich wird das Bestreben nie ganz unnütz sein, die Aufmerksamkeit der Menschen mehr auf den Menschen selbst zu heften und ihm sein individuelles Dasein wichtiger zu machen.“

„Nichts ging dem Bürger über seine Bespiegelungen, über seine Empfindungen, seine Auffassungen, seine Gedanken.“ So faßte Leo Balet die antifeudale Stimmung zusammen. Diese Selbstbezogenheit finden wir bei einer ganzen Rotte aktueller Sängerinnen wieder – am konsequentesten scheint Nina Chuba die rappende Rolle des opponierenden Immobilienverwalters Don Alphonso anzunehmen. Schon wieder wühlt sie in fast Bob-Dylanhafter Bildhaftigkkeit und phantastischer Unbestimmtheit in den Tiefen ihrer Seele und ist im Beschrieb ihrer nie billigen Wünsche angelangt, ohne auf die Spielregeln des Adels Rücksicht nehmen zu wollen. In Farbenblind verstößt es sich per esempio gegen Flugscham ohne Rücksicht auf die obligate Kohlendioxidbilanz. Ohne ein Haus in Catania und einen Trip in die Tropen geht sich halt nix aus.

Komm, Paradies, komm, glätte meine Wogen
Trän’n tropfen laut auf den Strandbartresen
Passe hier nicht hin, es gab hier lang kein’n Regen
Es holt mich wieder ein im Handumdrehen
Komm, Paradies, benimm dich nicht daneben.

Seis drum, schon öfter hatte die Herrschaft das Kommando über die Bildungsbürgerei verloren. Nun stehn wir vielleicht am Beginn des Sturm und Drang, Danach käme die Klassik, maybe.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverey? Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz? (Goethe vor seiner Geheimrathsexistenz)

Beitragsbild von B. Zeller: Zorro pömpelt Claudia R. weg.