Deutschland und der Ukraine-Konflikt – ein kurzes Update im November 2024
Gastbeitrag von Helmut Roewer
In diesem Aufsatz behandele ich im Anschluss an mein Buch Nicht mein Krieg. Deutschland und der Ukraine-Konflikt diejenigen Ereignisse seit dem Sommer 2024, die man aus meiner Sicht zur weiteren realistischen Lageeinschätzung wissen sollte. Vorab kann gesagt werden, dass sich an den bereits im Buch geschilderten Grundzügen über Herkunft und Verlauf des Konflikts wenig geändert hat.
Erster Teil: Politische Entwicklung
Im Folgenden werden die verschiedenen Kriegsbeteiligten jeweils gesondert behandelt, also im Wesentlichen die USA, Deutschland, die Ukraine und Russland.
(1) Die USA im Ukraine-Krieg
In der Zeit vom Sommer bis zum 5. November 2024 (Wahltag in den USA) dümpelte die US-amerikanische Unterstützungspolitik für die Ukraine vor sich hin. Die Nato gab auf ihrem Gipfeltreffen in Washington im Juli 2024 ein ellenlanges Papier heraus. In ihm ist viel von Solidarität die Rede, aber nichts vom Eingreifen in den Konflikt mit eigenen Truppen. Der nicht ohne Komik auftretende US-Präsident – er sprach Selenskyj als „Mr. Putin“ an – ließ erkennen, dass es zukünftig die Rolle der Europäer sei, die Finanzierung des Ukraine-Kriegs zu übernehmen. Auf einen konkreten Fahrplan zur Aufnahme der Ukraine in das Bündnis einigten sich die Teilnehmer nicht, nachdem einige Mitglieder unter der Meinungsführerschaft von Ungarn angedeutet hatten, sie würden einer Aufnahme der Ukraine ohnehin ihr Veto entgegensetzen.
Das selbe Halbherzige der US-Regierung zeigte sich bei der von ihr anberaumten Ukraine-Stützungskonferenz in Ramstein Anfang Oktober 2024. Der dort angekündigte US-Präsident erschien nicht. Ihn vertrat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Die US-Unterstützungszusagen blieben vage. Stattdessen übernahmen absprachegemäß gegenüber dem angereisten ukrainischen Präsidenten die Deutschen unter Verteidigungsminister Pistorius die Zusagen für Waffen und Munition.
Keine Änderung des prinzipiellen Rückzugs aus der Ukraine brachte schließlich auch der Besuch von US-Präsident Biden in Berlin, der – für das Publikum überraschend – zu einem Vierergipfel ausgebaut wurde, an dem neben dem Bundeskanzler auch der französische Staatspräsident Macron und der britische Premier Starmer teilnahmen. Ob tatsächlich konkrete Absprachen bezüglich der Ukraine getroffen wurden, blieb hinter dem üblichen Schwall diplomatischer Floskeln verborgen. Es ist indessen anzunehmen, dass das Quartett sich darauf verständigte, keine der nationalen Fernwaffen für den Beschuss tief nach Russland hinein freizugeben. Eine Koordinierung erschien schon deswegen angezeigt, weil Großbritannien solche Angriffe offen befürwortete und Frankreich sogar vom Einsatz eigener Truppen nicht abgeneigt schien.
Die Abneigung der US-Regierung gegen den Fernbeschuss in die russische Tiefe hinein wurde durch einen Umweg über die New York Times am Vortag der Konferenz zum Ausdruck gebracht, wonach US-Geheimdienste die Warnung ausgesprochen hätten, Russland werde auf solche Angriffe seinerseits mit asymmetrischen Schlägen auf die für den Beschuss verantwortlichen Staaten reagieren. Die Berichterstattung wies auf die Kapazitäten und den Willen des russischen Militärgeheimdienstes GRU hin, der bereit und in der Lage sei, Anschläge auf US-Einrichtungen in Europa und auch solche in den USA selbst durchzuführen.
Ob den US-Diensten derartige Erkenntnisse tatsächlich vorliegen, mag dahinstehen. Zumindest ist unbestreitbar, dass sowohl Präsident Putin als auch Außenminister Lawrow im Sommer und Herbst 2024 unmissverständlich klarstellten, bei entsprechenden Angriffen nach Russland hinein, die mit der Unterstützung von Nato-Staaten stattfinden und nach Auffassung der Russen nur mit dieser Unterstützung stattfinden können, diese Staaten mit geeigneten Mittel ebenfalls angegriffen werden würden. Diese Warnung scheint bei der US-Regierung und auch bei der Bundesregierung angekommen zu sein und ernst genommen zu werden.
Schließlich kam nach den ewigen und ermüdenden, für sicher erklärten Wahlprognosen dann tatsächlich der Tag der US-Wahlen (4. November 2024). Deren Details und das groteske Falschliegen von Mainstreammedien und der deutschen politischen Klasse muss hier, weil nicht zum Thema gehörig, nicht erörtert werden.
Zum Thema gehören indessen Trumps Wahlversprechen, den Ukraine-Krieg binnen Tagen zu einem Ende zu bringen. Etwas nebulös hatte er ab und an hinzugefügt, das könne er bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt erledigen. Buchen wir das unter Wahlkampfgetöse, so bleibt unterm Strich die Ankündigung eines möglichen Kriegsendes. Diese Botschaft beinhaltet zunächst einmal die Kernaussage, dass es diesen jetzt andauernden Krieg ohne das aktive Mittun der USA gar nicht geben würde. Das ist Realismus pur.
Sollte Trump nach seinem Amtsantritt tatsächlich Schritte zur Beendigung des Ukraine-Konflikts unternehmen, dürfte sein Tun inneramerikanisch auf erheblichen Widerstand stoßen. Es dürften beispielsweise die Kriegsgewinnler von Black Rock und J.P. Morgen, die zum Monatswechsel Oktober auf November 2024 in Luxemburg ein milliardenschweres Ukraine-Konsortium gründeten, sich nicht freiwillig die Butter vom Brot nehmen lassen. Zwar feierte die Börse in New York den Trump-Sieg mit Rekord-Gewinnen, aber wenn irgendwo Substanzverlust droht, werden die Hyänen bissig. Wie sagte doch der einflussreiche Senator der Reps Lindsey Graham vor kurzem erst in seltsamer Ehrlichkeit? Die Ukraine ist die Goldader der USA. Diese Leute werden darauf bestehen, dass Trump ihnen ihre Gewinne sichert.
(2) Deutschland im Ukraine-Krieg
Der politische Rückzug der USA aus dem Ukraine-Krieg ist zulasten Deutschlands erfolgt. Die Lastenverschiebung wurde von US-Präsident Biden seit dem Nato-Gipfel in Washington mehrfach öffentlich bekanntgegeben. Die deutsche Regierung hat sich dem nicht widersetzt, sondern kontinuierlich zu erkennen gegeben, dass sie diese Rolle übernehmen will, zuletzt anlässlich des Antrittsbesuchs des neuen Nato-Generalsekretärs in Berlin. Der neue Mann ist der Niederländer Mark Rutte (sprich: Rütte), ein bei ihm zu Hause abgewählter ehemaliger Ministerpräsident. Er ist seit Jahr und Tag ein strikter Befürworter der aktiven Einmischung in den Ukraine-Konflikt. In Berlin hat er klargestellt, dass es sein als erreichbar bezeichnetes Fernziel sei, den Staat der Ukraine als Mitglied in die Nato zu holen. Das ist nicht ohne Ironie, da seine Amtsnachfolger in Holland dies vermutlich anders sehen.
In Deutschland lässt sich der Wille der Bundesregierung, die Führung im Ukraine-Unterstützerlager zu übernehmen, an zwei politischen Aktivitäten ablesen. a) Zum einen geht es um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die 2011 entgegen der Verfassung abgeschafft wurde, weswegen man diesen Akt beschönigend als Aussetzung bezeichnet hat. b) Zum andern ist die drastische Anhebung der Ukraine-Hilfe Gegenstand der Haushaltsbemühungen.
Zu a) Der Gesetzentwurf zur Wiederinstallierung der Wehrpflicht wurde bereits in den Bundestag eingebracht. Er beinhaltet einen eigenartigen Zwitter, denn in Wirklichkeit will man die Wehrpflicht gar nicht wieder einführen, sondern setzt weiterhin auf Freiwillige. Die einzige bemerkbare Änderung soll die Wiedereinführung der Erfassung von wehrpflichtigen jungen Männern sein, über deren Vorhandensein man in der deutschen politischen Führung nach der sog. Aussetzung der Wehrpflicht und der damit einhergehenden Abschaffung der Wehrersatzämter jegliche Übersicht verloren hat. Das Schicksal dieser Novelle ist seit dem Zerplatzen der Ampelkoalition am 6. November 2024 höchst ungewiss.
Zu b) In der Öffentlichkeit wurde zunächst kaum bemerkt, dass die international verkündete deutsche Ukraine-Hilfe das finanzielle Loch – das ohnedies wg. des wirtschaftlichen Niedergangs Deutschlands, auch wg. des das Klima-Märchens und des fortgesetztes Sponsorings von illegalen Zuwanderern unübersehbar geworden ist – nunmehr vollends unbeherrschbar machen würde. Am Streit über diesen Aspekt ist – zumindest wird dies durch die Kontrahenten verkündet – die Ampel-Koalition gescheitert, weil, nachdem der Finanzminister Lindner öffentlich auf die Schieflage hingewiesen hatte, der Bundeskanzler ihn entließ.
Der Bruch der Ampelkoalition hat auch ganz andere mögliche Auswirkungen auf die deutsche Rolle im Ukraine-Konflikt. Zunächst wird der CDU die Rolle zufallen, ob sie den von der Bundesregierung selbst erzeugten unabsehbaren Finanzbedarf in Sachen Ukraine im Bundestag anstelle der jetzt oppositionellen FDP einfach durchwinkt. Möglich wäre es, denn die Union gehört zu den bedenkenlosen Exekutoren US-amerikanischer Weltmachtpolitik – ein Verhalten, das sie hinter dem Schlagwort der Bündnistreue verbirgt. An dieser Stelle muss ich dem Leser einen scheinbaren gedanklichen Umweg durch die deutsch-russischen Beziehungen zumuten. Ich werde dies in Form von Exkursen zu den drei politischen Parteien tun, die im Augenblick eine zu beachtende Rolle spielen, nämlich, wie schon angedeutet, die CDU, aber auch die AfD und schließlich das BSW.
aa) Exkurs zur CDU. Die CDU ist ein Kind des Kalten Krieges. Die Bündnistreue zu den USA musste in Westdeutschland angesichts der Verheerungen, die durch die sowjetischen Herrscher im Osten Deutschlands angerichtet wurden, nicht gesondert erzwungen werden. Sie ergaben sich mehr oder weniger automatisch kraft des täglichen Anschauungsmaterials. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks waren es die USA, welche die scheinbare Chance sahen, zur Einzigen Weltmacht aufzusteigen und dies als Änderung ihrer Weltpolitik durchzusetzen versuchten. Die CDU machte diesen Schwenk gehorsam mit. Auch dieser Gehorsam musste nicht groß erzwungen werden, da sich die CDU mit der Teillegende beruhigte, die USA hätten die deutsche Einheit erst ermöglicht. Dass die Wirklichkeit zumindest auch eine andere war, wurde alsbald verdrängt.
Der allgemein sichtbare, aber nur wenig beachtete Kulminationspunkt in der Selbstunterwerfung der CDU unter das US-amerikanische Weltherrschaftssystem war die Reise der frischgebackenen CDU-Vorsitzenden Merkel zu Beginn des Irak-Kriegs, gleich nachdem der damalige Bundeskanzler Schröder der Kriegsmacht die Gefolgschaftstreue versagt hatte. Beides führte in Deutschland auf geradem Weg zum Machtwechsel. Merkel erschien den US-amerikanischen Weltenlenkern tragbar, da sie ihre Unterwerfung öffentlich zur Schau gestellt hatte. Ihre Herrschaft, die eine Orgie der deutschen Selbstzerstörung war, wurde bei der letzten Bundestagswahl selbst den propagandistisch breitgequatschten Deutschen zuviel, die der dann antretenden schrägen Ampel-Koalition mit der sich selbst auflösenden SPD an der Spitze zur Herrschaft verhalfen. Diese ist jetzt zu Ende, nachdem der nächste US-Trabant zur Machtübernahme bereit steht.
So sieht die politische Situation in Deutschland bezüglich des Ukraine-Konflikts aus. Es steht zu erwarten, dass sich gleich nach der zu erwartenden Bundestagswahl eine rechnerisch irgendwie zusammengeschusterte Koalition unter der Führung der CDU bildet, die den amerikanischen Vorgaben, die spätestens dann erkennbar sein werden, bedenkenlos folgen wird.
bb) Exkurs zur AfD: Die AfD ist auf der politischen Bundesbühne derzeit die einzige ernstzunehmende politische Kraft, die konsequent dem Ukraine-Kriegsbeteiligungskurs Deutschlands widerspricht. Die Chance, das sie ihre Auffassung in praktische Politik umsetzen kann, tendiert gegen Null. Auch bei den kommenden Wahlen wird sich hieran kaum etwas ändern. Das Allparteien-Kartell, gestützt von der Exekutivmacht und dem privat-öffentlichen Propaganda-Apparat werden es zu verhindern suchen. Hierbei zeigen die 30-Prozent-Wahlerfolge der AfD in Sachsen und in Thüringen, dass diese für das Establishment ohne weiteres verkraftbar sind. Die Parteien des Kartells können sich hierbei auf eine Rechtsprechung stützen, die einen der angeblich unantastbaren Grundpfeiler der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bereits abgebrochen hat, nämlich den der Ausübung der gesetzlich garantierten Opposition.
Zu den Besonderheiten des propagandistischen Kampfes gegen die AfD gehört die gezielte Falschbehauptung, die CDU sei eine konservativ-bürgerliche Kraft, so dass nach wie vor zahlreiche Wähler, die hoffen, dem linken Weltrettungswahn gegensteuern zu können, CDU wählen. Auch die Behauptungen in den sog. alternativen Medien, in Sachsen und Thüringen hätten die Wähler mit Zweidrittelmehrheit für ein konservativ-bürgerliches Lager gestimmt, sind inhaltlich falsch. Vielmehr ist es so, dass ebendiese alternativen Medien daran beteiligt waren, die Wähler im Sinne des CDU-Machterhalts bzw. Erwerbs zu täuschen. Die Betroffenen werden das nicht gerne hören, aber bevor dieselben sich nicht vom oben schon erörterten Wahn der US-Bündnistreue lösen, wird sich nichts ändern.
cc) Das BSW. Es liegen nach den Wahlen im September 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen nunmehr erste praktische Erfahrungen mit dem BSW vor. In allen 3 Bundesländern wird das BSW nach der Marginalisierung von FDP, Grünen und Linken zur Mehrheitsbeschaffung benötigt, wenn man die AfD weiterhin politisch außenvorhalten will. Hierbei zeigt es sich, dass die zentrale Wahlaussage des BSW, nämlich kriegerische Handlungen mit Blick auf Russland zu unterlassen und nach einem friedlichen Ausgleich zu suchen, gleich nach dem Wahlausgang auf der Ebene der Länder unter die Räder gekommen ist. Es muss sich erst noch zeigen, ob es der Bundesspitze des BSW gelingt, die Landesverbände an die Kandare zu nehmen. Gelingt das nicht, kann das BSW seine Chancen auf Bundesebene begraben. Es ist daher damit zu rechnen, dass vor allem CDU und BSW durch tolldreiste Friedensfloskeln versuchen werden, die offensichtlichen Gegensätze in Richtung Russland zu verkleistern.
Eine Friedens-Demo am 3. Oktober 2024 im Tiergarten zu Berlin brachte angeblich 40.000 Männer und Frauen auf die Beine. Selbst wenn es nur die Hälfte gewesen sein sollte, war es ein seltsames Mixtum aus kommunistischen Machtpolitikern des BSW und ehemaligen Grundsatz-Pazifisten. Ohne Sahra W., das Zugpferd, wären es vielleicht 400 gewesen. Man stelle sich vor, auch die AfD hätte aufgerufen, dann wäre wenigstens der linke Gewalttäter-Mob auf der Straße gewesen. Doch es blieb friedlich und die AfD fern
(3) Die politische Lage bei der Kriegspartei Ukraine
Der Führer der Ukraine ist seit Mai 2024 nicht mehr als gewählter Präsident im Amt, denn seine Amtszeit ist abgelaufen. Wohlmeinende retten sich und ihn mit dem Scheinargument, dass auch die Abgeordneten des Parlaments, der Zentralrada in Kiew, sich wg. der Kriegszeiten nicht erneut dem Wähler stellen müssten. Nur hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, denn der Präsident der Ukraine wird vom Volk direkt und nicht von der Rada gewählt.
In der Zeit seit dem Nato-Gipfel in Washinton war Selenskyj an etlichen Treffen der Nato, der EU und anderer europäischer Gremien persönlich beteiligt. Lediglich zum Treffen von US-Präsident Biden mit Scholz, Starmer und Macron in Berlin war er nicht zugelassen. Er hielt sich zu dieser Zeit im nahegelegenen Holland auf, um für seinen Siegesplan zu werben, den er bereits wenige Tage zuvor dem Bundeskanzler unter vier Augen erläutert hatte.
Die offizielle Vorstellung des Siegesplans erfolgte dann wenige Tage später, am 16. Oktober 2024, vor der Rada in Kiew. Um nicht missverstanden zu werden: Dieses ist expressis verbis ein Sieges- und keineswegs ein Friedensplan. Er soll mit einer zweiten sog. Friedenskonferenz westlicher Partner durchgesetzt werden. Von den Russen ist nicht weiter die Rede. Halten wir das im Hinterkopf, bevor wir betrachten, was angestrebt wird: a) Der Krieg wird 2025 (siegreich) zu Ende gehen. b) Der Waffen- und Finanznachschub aus dem Westen wird gesichert. c) Im Gegenzug werden Rohstoffvorkommen und Industrieanlagen in einem geheim gehaltenen Unterplan verwertet, auf gut deutsch: verpfändet oder verhökert. d) Der für wahrscheinlich gehaltene Abzug der US-Amerikaner aus Europa wird dadurch kompensiert, dass ukrainische Truppen in deren Positionen einrücken (jaja, ganz richtig gelesen).
Es fällt nicht leicht, die Vorschläge Selenskyjs ernst zu nehmen. Sie klingen so, als würde hier ein strahlender militärischer Sieger Brosamen an die Alliierten verteilen, indem er ihnen Bodenschätze und militärische Hilfe anbietet. Die Ukrainer als Schutztruppen im westlichen Europa? Das klingt wie ein schlechter Scherz, zumal es eine ernst zu nehmende ukrainische Armee derzeit nicht mehr gibt. Wovon also redet dieser Mann? Ist er irre, oder sucht er verzweifelt nach einer Möglichkeit, die europäischen Nato-Staaten in den Krieg mit Russland auf Teufel komm raus hineinzuziehen? Ich vermute, es ist dieses, und das ist nicht gerade neu. Bei Lichte betrachtet haben die Ukrainer nichts anzubieten. Die militärische Lage, auf die ich sogleich zu sprechen kommen werde, lässt das nicht zu.
(4) Die politische Lage der Kriegspartei Russland
Die politische Führung in Russland ist – entgegen immer wieder aufkommender Gerüchte in den westlichen Medien – unangefochten und stabil. Allen westlichen Verhandlungsaufwallungen zum Trotz vertritt eine Phalanx russischer Spitzenfunktionäre, dass es angesichts der Kriegslage nichts zu verhandeln gäbe. Ihre Kriegsziele stünden fest und würden derzeit erreicht: Inkorporierung der vier ex-ukrainischen Oblaste von Donjezk, Lugansk, Cherson und Saporoshje, die Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Nato-Freiheit der Rest-Ukraine.
Im Westen scheeläugig betrachtet, treiben die BRICS-Staaten, im Herbst im russischen Kasan versammelt, ihre wirtschaftlichen und finanzpolitischen Vereinbarungen voran. Die Zahl der Staaten die diesmal als Beobachter oder Anwärter anwesend waren, ist Ausweis dafür, wie weit inzwischen die Attraktivität dieses System der Entdollarisierung fortgeschritten ist. Wichtig für den neu auflebenden Ost-West-Konflikt: Das Aufnahmegesuch der Türkei wurde nicht angenommen, das finanzpolitisch bedeutsame Saudi-Arabien beschränkte sich auf eine Beobachterrolle. Wichtig für den Ukraine-Konflikt: Der Krieg wurde als eine russische Angelegenheit bezeichnet.
Zweiter Teil: Die Militärische Lage und die Manöver der Geheimdienste
(1) Die Lage im Frontbogen
Es haben sich, wenn man sich erst einmal an das stete langsame Vorrücken der russischen Armee in Richtung Dnjepr gewöhnt hat, keine neuen Besonderheiten ergeben. Die Taktik des Vorgehens bleibt stets dieselbe: Befestigte Plätze werden seitlich umgangen. Dies ist deswegen möglich, weil die ukrainische Armee nicht mehr genügend viele Truppen für den Aufbau einer durchgehenden Frontlinie à la Erster Weltkrieg besitzt. Die Feuerüberlegenheit der russischen Armee ist erdrückend, so dass die in den festen Plätzen konzentrierten ukrainischen Verbände und Einheiten von drei Seiten aus zusammengeschossen werden können. Entsprechend hoch sind die Verluste, die – übereinstimmend nach russischen und ukrainischen Angaben – nicht mehr durch Ersatz ausgeglichen werden können.
Die russischen Angriffsbewegungen konzentrieren sich auf das vollständige Besetzen der vier für Russland reklamierten Oblaste. Andere großangelegte Offensivabsichten sind nach wie vor nicht zu erkennen.
(2) Die Lage im Sack von Kursk
Am Sonntag, dem 4. August 2024, brach, für die russische Seite offenbar überraschend, eine starke ukrainische Militärkolonne über die russische Grenze hinweg in Richtung Kursk durch. In den darauf folgenden Tagen wurde die Einbruchstelle auf mehrere Kilometer Breite und Tiefe ausgedehnt. Kursk, die Hauptstadt des betreffenden, gleichnamigen Oblasts wurde nicht annähernd erreicht – auch nicht auf Artillerieschussweite –, obwohl die verbreiteten Siegesmeldungen zunächst anders klangen. Bereits Mitte August 2024 wurden die Einbruchsstellen abgeriegelt. Die Kämpfe dort dauern bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Anfang November 2024) an.
Über den Sinn der ukrainischen Kursk-Kampagne ist alsbald mit Erbitterung gestritten worden, vor allem auf der ukrainischen Seite und bei ihren westlichen Verbündeten, nachdem die erste Euphorie eines scheinbaren großen Sieges abgeklungen war. Der ukrainische Präsident sprach von einem Faustfand, das man in Händen halte, um die Russen im Falle von Friedensverhandlungen im Wege des Tausches zum Rückzug aus den besetzten Gebieten veranlassen zu können.
Dieses Argument klang in dem Maße ab, wie es den Russen gelang, die eingedrungenen Verbände einzuschnüren und wie auf dem Manöverschießplatz Fahrzeug um Fahrzeug, Mann um Mann zu vernichten. Bilder, die aus diesem Kampfabschnitt an die Öffentlichkeit drangen, ließen keinen Zweifel aufkommen, mit welcher brutalen Konsequenz die Russen vorgingen. Kritiker aus den Reihen des höheren ukrainischen Offizierskorps monierten bald öffentlich, dass die Führung hier die letzten funktionstüchtigen Reserven verheizt habe, die nun an der Haupt-Verteidigungsfront im Donbass an allen Ecken und Enden fehlen würden.
Dieser Kritik schlossen sich auch bald die westlichen Unterstützer, vor allem aus Großbritannien und den USA, an. Es wurde hinzugefügt, man sei von der ukrainischen Offensive vollkommen überrascht worden. Diese Stellungnahmen begegnen Glaubwürdigkeits-Bedenken. Diese verstärkten sich bis zur Überzeugung vom Gegenteil, nachdem am 2. Oktober 2024 Berichte von der Vorplanung der Kursk-Kampagne in die westliche Öffentlichkeit drangen. Hiernach wäre es so gewesen, dass im Februar 2024 im Atlantic Council die Idee des Einbruchs nach Russland entwickelt worden sei, weil die beteiligten Experten, einschließlich von zwei Ex-US-Botschaftern aus Moskau und Kiew, der Überzeugung Ausdruck verliehen hätten, ein plötzlicher Überfall in Richtung Kursk unter Einschluss eines Angriffs auf das dortige Atomkraftwerk werde die Herrschaft Putins zum Einsturz bringen. Vorausgesetzt, dass diese Meldungen stimmen, lässt sich sagen, dass Prognosen dieser Art auf Wunschdenken beruhten, denn nach meiner Einschätzung bewirkte das Eindringen auf russisches Territorium beim russischen Volk das genaue Gegenteil des Gewünschten, nämlich eine engere Anlehnung an die Kriegführung des russischen Präsidenten. Ich halte zwar nicht viel von Spekulationen über die russische Seele, aber wenn sie überhaupt je sichtbar wird, dann in Fällen wo das russische Vaterland in Gefahr zu geraten droht. Ein Blick auf die Jahre 1941 ff. sollte Neugierigen zu denken geben.
(3) Der Kampf in der Tiefe des Raumes
Nach wie vor richten sich Luftangriffe beider Kriegsparteien (Raketen, Drohnen und zusätzlich auf russischer Seite Gleitbomben) gegen Einrichtungen der Energieversorgung und der Flug- und Raketenabwehr. Über die Ergebnisse lässt sich kaum etwas Verlässliches sagen. Unbestätigtem Vernehmen nach soll es in den Großstädten Charkow und Kiew zu Rationierung von Strom und Wasser gekommen sein.
Nach ukrainischen offiziellen Angaben gegenüber der EU und den Nato-Staaten sei die Versorgung der gesamten restlichen Ukraine mit Elektrizität äußerst prekär. Hinzu kommt, dass Russland angekündigt hat, die immer noch bestehenden Lieferverträge für Erdgas über das Territorium der Ukraine, die zum Jahrsende vertragsgemäß ausläuft, nicht zu verlängern.
Das seit Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 von russische Sicherheitskräften besetzte Kernkraftwerk Saporoshje, das von der russischen Rosatom betrieben wurde, ist seit geraumer Zeit heruntergefahren, weil es in unregelmäßigen Abständen beschossen wird. Beide Seiten bezichtigen einander hierfür der Täterschaft. Am 10. August 2024 haben zwei Drohnen eine der Kühlanlagen getroffen und schwer beschädigt, so dass ein Brand ausgebrochen ist. Die Lage des Kraftwerks wird zunehmend heikel. Von beiden Seiten, die wie üblich auf einander zeigen, kommt nach meiner Beurteilung nur das Regime in Kiew in Betracht.
Ähnliches lässt sich für das russische Kernkraftwerk von Kursk feststellen. Einige Kommentatoren behaupten, die Zerstörung des Kraftwerks sei das eigentliche Ziel der ukrainischen Offensive Richtung Kursk gewesen, um durch Erzeugung einer Großkatastrophe die russische Seite friedenswillig zu machen. Die im russischen Fernsehen vorgeführten ukrainischen Kriegsgefangenen, die berichten, einen entsprechenden Sabotageauftrag erhalten zu haben, erwecken Zweifel.
Zweifel wecken auch die Meldungen im Oktober 2024 über angebliche Geheimgespräche zwischen beiden Seiten, die mit dem Ziel geführt würden, die Anlagen der Energieversorgung wechselseitig zu schonen. Die russische Seite widersprach unverzüglich, etwas später auch der ukrainische Verteidigungsminister.
(4) Geheimdienstaktionen
Der Angriff auf die deutsch-russische Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee im September 2022 wurde von mir und einigen anderen unverzüglich als US-amerikanische Sabotageaktion eingeschätzt. Dem hat im Laufe das Jahres 2023 Mainstream mit einer märchenhaften Geschichte von einem aus dem Ruder gelaufenen ukrainischen Sabotagekommando, das die Tat von Bord einer Segelyacht namens Andromeda ausgeführt habe, widersprochen. Diese Annahme ist fachlich so blödsinnig, dass es nicht lohnt, darauf einzugehen.
In diesen Zusammenhang passt die Verlautbarung des CDU-Bundestagsabgeordneten Oberst a.D. Kiesewetter, der so zitiert wurde, dass – selbst wenn die Sabotagetat eine solche der Ukraine gewesen sein sollte – dies im Interesse Deutschlands geschehen sei. Der Mann ist zuvor bereits mehrfach mit der Forderung in Erscheinung getreten, die aus Deutschland zu liefernden Taurus-Marschflugkörper für den Einsatz im Inneren Russlands freizugeben. Mir liegt ein Schreiben deutscher Generalstäbler vor, die den Ex-Kameraden auffordern, auf den Boden der Realität zurückzukehren. Dem ist nicht viel hinzuzufügen.
Zurück zu Nord Stream: Mitte Oktober 2024 ist die US-amerikanische Täterschaft durch ein weiteres Detail bestätigt worden. Der bislang zum Schweigen veranlasste Hafenmeister von Christiansø – vor Bornholm gelegen –, John Anker Nielsen, sprach nunmehr öffentlich aus, was er aus eigenem Erleben weiß, dass nämlich das US-amerikanische Sabotageschiff USS Kearsarge kurz vor den Explosionen vor Ort war, wo es seine Navigationseinrichtungen abschaltete, und dass zudem US-amerikanische Seestreitkräfte den Dänen mit Gewaltandrohung vom späteren Tatort verscheuchten. Die Kearsarge ist eine schwimmende Sabotagefestung, bestückt mit Flugzeugen und unbemannten U-Booten. Sie hatte vor dem Einsatz am 17. September 2022 in Gdynia (Gdingen) in Polen festgemacht. Empfehle den US-deutschen Märchenerzählern von der ukrainischen Segelyacht, welche angeblich den Angriff fuhr, mal einen Blick auf diesen Koloss aus Stahl zu werfen, damit sie eine Ahnung von der Kriegs-Realität des US-Angriffs auf das deutsch-russische Energie-Projekt bekommen.
Schluss: Die Aussichten
Die sog. Experten streiten zur Zeit, wie sich der Wahlsieg von Trump auf den Ukraine-Krieg auswirken werde. Ich halte all diese gelehrten Prognosen für Kaffeesatzleserei. Wir werden abwarten müssen. Nur eine Sache erscheint mir realistisch: Die Atlantiker bei uns müssen sich schleunigst neu ausrichten, sonst stehen sie plötzlich ohne Hintermann mit beiden Beinen in einem Krieg gegen Russland, den Deutschland nicht gewinnen kann.
Die Vorstellung, dass dieser Krieg zu einem Weltkrieg ausartet, ist ein Punkt. Der nächste ist die Unsymmetrie der Angst: Die USA Politiker denken, der Krieg betrifft sie nie direkt, weil der Ozean dazwischen liegt, während Russland zwei Ängste haben muss: Dass der Krieg direkt nach Russland kommt und dass Russland dadurch zerfällt und zur Beute des Westens wird.
Die amerikanischen Politiker agieren immer noch sehr souverän. Gibt es keine Gefahr für sie, oder sind sie so blind?
Das mit dem Ozean stimmt nicht so ganz. Obenrum über die Tschuktschen-Halbinsel sind es nur rd 50km bis Alaska und dort könnte „der Russe“ ohne große Gegenwehr einen Brückenkopf nicht unerheblicher Grösse aufbauen. Der Klimawandel arbeitet für ihn und auch seine Atomeisbrecher. Die Japaner besetzten ja auch oben die Aleuten, seinerzeit.
Danke für die gewohnt nüchterne Analyse. Bezüglich den USA spekuliere ich, daß die gemächliche Erodierung des Dollars zusammen mit der monströsen Verschuldung das Kernproblem ist.