Desillusionierter Blick vom Gebirge in die Tiefebene

Cyril Northcote Parkinson, Professor an der Raffles University of Malaya, veröffentlichte 1957 sein Buch über das Parkinsonsche Gesetz. In Kapitel VI „Das vorgeplante Mausoleum“ erläuterte er seine Beobachtung, daß lebendige und produktive Institutionen in schäbigen Unterkünften untergebracht sind. So ein Bau war zum Beispiel der Deutsche Bundestag, solange er in Bonn weilte. Oder die legendäre SPD-Baracke in Godesberg.  Northcote schreibt, daß eine Perfektion der Planung nur von jenen Institutionen erreicht wird, die sich am Beginn des Ruins befinden.

Er führte damals Beispiele für mondäne Parlamentsgebäude an, die kurz fertiggestellt wurden, bevor der Verfall der Demokratie einsetzte. Den Berliner Reichstag kannte er natürlich noch nicht, der Bund hatte seinen Regierungssitz noch in Bonn. Als ich 1994 einmal in Bonn weilte, besuchte ich die Gaststätte, in der sich die CSU oft getroffen hatte, sozusagen das Stammlokal. Sie wirkte wirklich bescheiden, fast ein bißchen abgeledert. Straußens Alpenveilchen hatten noch Respekt vor dem Bürger und Angst davor als luxusbessen und abgehoben zu gelten. Man gab sich bescheidener, als man wirklich war.

Prof. Parkinson beschrieb den Niedergang in perfekt geplanten Neubauten und bemerkte mit britischem Humor, daß zum Schluß im Keller eine hungrige Katze schreien würde. Die Wissenden würden nach jeder Übergabe eines perfekten Gebäudes traurig die Köpfe schütteln, pietätvoll ein Tuch über die Leiche ziehen und auf Zehenspitzen hinausschleichen – in die frische Luft.

An Helmut Kohl waren die wissenschaftlichen Ausarbeitungen von Parkinson offensichtlich vorbeigeschabt. Nach einem 1992 ausgelobten internatonalen Architektenwettbewerb wurde Sir Norman Foster mit den Umbauplanungen des Reichstages beauftragt. 1995 war alles fertig und von Christo ein Tuch über die Leiche gehüllt.

Mit dem Berlinumzug – wie nicht anders zu erwarten – begann der sich ständig beschleunigende Niedergang der BRD. Die Stadt hatte spätestens seit 1900 einen Hauch von Größenwahn. Sowohl Wilhelm II., Hitler, in einem wegen der Abhängigkeit vom Kreml eingeschränkten Maße Honecker als auch Annalena litten oder leiden daran. Mir selbst fiel bei Besuchen der Stadt auf, daß man zu allem eine lautstarke Meinung hatte, von Zugereisten zweifelsfreie Zustimmung oder Ablehnung einforderte, alles Verfahrensweisen, welche in Thüringen regelrecht als unhöflich, aufdringlich und asozial gelten. Das stellte man systemübergreifend fest, Regierungswechsel, Währungsreformen, Revolutionen und Kapitulationen änderten daran nichts. Bereits Geh. Rath v. Goethe mokierte sich über die Ungehobeltheit in Spreeathen.

Ich denke, dieser Eintrag erklärt die Entgleisungen der Merkel- und Ampelzeit hinlänglich, ohne in kleinliche Details abzuschweifen. Man muß das Desaster auch mal von der Metaebene betrachten, hilfsweise mit Blick vom Gebirge in die Niederungen.