Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Heute vor 35 Jahren begann mit dem Grenzdurchbruch von hunderten Landeskindern in Sopronköhida die neue Zeit.
Davor herrschte der geteilte Himmel. Man bekam nur sehr gesteuert – meist über das Westfernsehen oder Erzählungen von Rentnern – einen Eindruck vom Leben hinter dem Stacheldraht. Natürlich herrschte auch die eine oder andere Illusion. Einmal gelang mir der Blick über die Grenze nach Rattersdorf und ich wunderte mich, daß da nichts los war und die Bäume grün. Ich war mir sicher, ich hätte in den 28 Jahren Lagerkoller etwas versäumt: Reisen, Literatur, Kultur, Demokratie und Wohlstand.
Da ich daheim gerade keine Arbeit hatte, ging ich bald nachdem es möglich war, in den Westen. Ich landete in Darmstadt im Büro eines Prüfingenieurs. Einmal gab es eine Vorlesung an der Technischen Universität, wo ich ein Mädchen aus meinem Studienjahr sah. Sie hatte im Frühjahr ihre Ausreise genehmigt bekommen und war sauer, daß ich nun ohne den ganzen Stress mit der Partei auch da war. Sie tat. als wenn sie mich nicht sah. In der Pause bin ich zu ihr hingegangen und habe sie gefragt, ob wir uns in einem früheren Leben nicht schon mal gesehen hätten. Da mußte sie lachen.
Ich ging oft nach Feierabend auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Bücherläden und Zeitungskioske müßten doch den einen oder anderen Blick in die Vergangenheit gestatten? Fehlanzeige: 1984, Die Farm der Tiere, Der Meister und Margerita, Schöne neue Welt, Das Verhör, Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, Die Entstehung des Neuen. Nix und wiedernix gab es. Nachdem es das Internet gab, habe ich mir einiges besorgt. Aber das war 15 Jahre später.
Genauso die Zeitungen. Die waren damals schon linksgrün. Ich dachte, daß zumindest im Handelsblatt oder in Capital ein frischer Wind wehen würde. Irrtum.
Ich hatte auch die Illusion, daß irgendwo die aktuelle Politik – damals ging es um den Einigungsvertrag, die Stasiauflösung und die Kosten der Einheit – in den Parteien oder von den Steuerpflichtigen diskutiert werden würde. Aber so lebendig war die Demokratie nicht, wie man sich das vorgestellt hatte. Das Rententhema hätte die Leute schon interessiert. Die aus dem Grenzgebiet Ausgeschafften wurden nicht entschädigt, Enteigungen zwischen 1945 und 1949 wurden nicht angefaßt. Unsere Gemeinde hat deswegen betriebsnotwendige Grundstücke verloren. Alles das wurde im Einigungsvertrag geregelt, der wurde einem vor die Füße geklatscht. Sicher, ein demokratisches Verfahren hätte ein riesiges Gekakel verursacht und in der engen Zeitschiene hätte es keine Einigung gegeben. Aber dann sollte man ehrlich sagen, daß alles ein autoritäres Parfum hat.
Als richtiger Esel hatte ich mir vorgestellt, daß nach der Vokskammerwahl im März 1990 ein frischer Wind im Osten wehen würde. Aber wo sollte er herkommen, es gab ihn ja auch im Westen nicht. Bereits am Wahlabend wurde mir klar, wie Demokratie läuft. Die PDS hatte gerade 10 Prozent der Stimmen bekommen und die öffentlich-rechtlichen Journalisten hingen wie Ertrinkende an Gysis Lippen. Durch den Zerrspiegel der Medien wird alles häßlich und krank, wie bei der Schneekönigin.
Um es kurz zu machen: Ich fand den Einstieg in die Geschichte der Bonner Republik und deren Kultur nur sehr bruchstückhaft, obwohl ich interessiert war und mir Mühe gab, Das Dumme war, daß die Wessis so taten, als hätten sie eine Hochkultur und tolle Politik gehabt, nach deren Resultaten man sich nun zu richten hätte, Vielleicht war diese rotzige Arroganz manchmal der tiefere Grund, daß die Einheit gescheitert ist.
Ist das Demokratie, wenn die eine Seite der anderen was aufzwingen will und alles kriminalisiert und nazifiziert was ihr nicht paßt? Nee.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Man ist niemandem in der Welt etwas schuldig, als sich selber.“ (Lessing)
Ich bin in einer Kleinstadt 15 km von der DDR groß geworden. In die DDR durften wir nicht. Mit Visa und Aufwand war ich dann nachdem ich 16 war vier Mal zu kurzen Besuchen drüben. Einmal sogar in Zwickau. Mir war klar: Die Städte gehen kaputt, die Menschen taten mir leid weil sie erstens nicht zu uns durften und ich dieses unverdiente Privileg hatte, und zweitens weil sich keiner traute, offen mit dem anderen zu sprechen.
Als dann wenige Jahre überraschend die Grenze fiel war mir nur klar, dass es zur Vereinigung keine Alternative geben würde, und dass nach der Freude der Vereinigung die Arbeit beginnen würde.
Meine Verwandten aus der Nähe Nürnbergs hatten Null Osterfahrung. Sie waren nie drüben, wussten nichts von den Menschen dort, vom Kommunismus in der Praxis, von Stasi und Sperrzone, fünf Jahresplan, den Blockparteien, dem Zustand von Zwickau, oder Gotha oder einer anderen Stadt im Osten.
Und genau deswegen können wir im Westen jetzt die Planwirtschaft wieder anfangen, und können einen Spitzelstaat aufbauen, können leere Politikerphrasen dreschen, und der naive westler lässt sich die Schuhe im Laufen klauen und bedankt sich noch dafür.
Früher war es der Kommunismus der aufgebaut werden musste, heute ist es die Demokratie die verteidigt werden muss.
Und in diesem doofen Spiel macht der Michel mit, denn er kapiert das Spiel nicht, kapiert nicht dass er ein ferngesteuerter Roboter ist, und sein freier Wille nur eine Illusion.
Aus dieser Zeit hat wohl jeder einen Sack von Erinnerungen. Ich fand es beispielsweise lustig, wie plötzlich ein guter Kollege (per CDU) Minister wurde und mich natürlich sofort vergaß. Auch die Inflation der Widerstandskämpfer war beeindruckend oder die Überlegenskunst der alte SED – Garde.
„Heute vor 35 Jahren begann mit dem Grenzdurchbruch … die neue Zeit. “
Ich meine die neue Zeit begann 1978 mit der Wahl von Karol Wojtyla zum Papst.
Und vorher mit der Nixon-Deregulierung, etwas später dann mit der Reagan- und Thatcher-Administration.
Das war der Anfang vom Ende der westlichen Industrie (mit noch richtigen Arbeitern) und der Beginn von Chinas und der „Tigerstaaten“ Aufstieg.
Nun ja – wer die lange Linie USA GB – Polen kennt, sieht das mehr als Strategie an als Wahl.
Pfaffen sind besonders empfänglich für kleine Aufmerksamkeiten, da kann man schon mal für einen kurzen Moment der wahl den Glauben verlieren.
Welchen Einfluss soll denn Wojtyla ausgeübt haben? Der katholische Papst hat lediglich Wirkung in Polen. Weder tschechische, slowakische oder ungarische Kirchenvertreter hat er beeinflusst, weil die generell mit dem Papsttum nichts am Hut hatten. Die orthodoxen Bulgaren oder Rumänen gleich gar nicht.
Auf Deutschland hatte Polen schon Einfluß. Jede Untergrundversammlung der 80er begann mit dem Absingen von „Noch ist Polen nicht verloren.“ Und zwear auf Polnisch. Der Streik von 1980 faszinierte die Deutschen schon. Und wie die Werftarbeiter auf das Auto von der Parteiführung gekloppt haben. Eine damalige Freundin von mir reiste 1980 dem Streik hinterher. Von Danzig bis nach Oberschlesien. Ich erinnere mich auch an den Abend, als der Pabst gewählt worden war. Ich war in einem Studentenclb und ein Kumpel sagte: „Jetzt können sich die Genossen einen anbrennen.“ Ich verrate den Namen nicht, sonst schickt Nancy vielleicht ihre Truppen und holt ihn ab. Oder klaut zumindest seinen Schreibtisch.
Also ich habe die Hälfte meines Lebens in Mitteldeutschland, aka DDR, verbracht und nichts von einem Einfluss Wojtylas gespürt. Ich habe viele dienstliche Beziehungen zu Polen in diesen Zeiten gehabt und auch im Verhalten der polnischen Partner war keine Extravaganz wegen Wojtyla zu spüren.
Mir war es immer zu oberflächlich, den Beginn der Massenflucht als den Anfang vom Ende zu bewerten. Die Erosion der SED-Macht begann deutlich früher. Wichtig ist zum Beispiel die Menge der Parteimitglieder nach Anzahl und Bildung. Zum ersten mal sank sie im ersten Quartal 89 stärker als im Bereich der üblichen statistischen Schwankungen, was für sich genommen wegen der absurd hohen Mitgliederzahl nicht schlimm war. Aber es beunruhigte, weil Austritte in höher gebildeten Berufsgruppen auffielen.
Dazu kommt, dass es ab Frühjahr 89 auch Rausschmisse infolge einer Säuberung wegen zunehmender Kritik an der Politik des Weitersowiebisher gab.
Es ist immer eine Frage der Macht bzw. Autorität.
Wenn sich die Partei als mächtig darstellt, dann wird der kleine Bürger alles machen was sie sagt. Wenn aber, wie in Polen mit solidarnocs, die Partei sich nicht durchsetzen konnte, dann fängt der Ungehorsam an, ganz langsam aber stetig. Stalin, aber auch Franco in Spanien haben das gewusst, und somit ihre Allmacht gezeigt, damit der Gehorsam bleibt. Nur ein eingeschüchtertes Volk ist ein braves Volk.
Die SED hat mit dem Festhalten am alternden Honecker den gleichen Fehler begangen. Die Bevölkerung hatte nur noch Angst vor der Sowjetarmee. Aber da war Gorbatschow als verständnisvoller Humanist. Und dann waren die Massen auf der Straße.
In der heutigen BRD ist das natürlich ganz anders. Hier darf jeder sagen, was er denkt. Und wenn nicht, dann gibt es gute Gründe, ihn auch unterhalb der Strafbarkeit schon Mal zu notieren. Schließlich darf man den Feinden der Demokratie keinen Raum geben. Denn wer gegen die Demokratie ist, der ist gefährlich. Also, hier ist es nicht wie in der deutschen demokratischen Republik, wo man keine Freiheit hatte und bespitzelt wurde. Und wo das Lied der Partei klar sagte, dass doch dumm ist, wer gegen die Demokratie kämpft. Den Text muss man ganz genau lesen……
Gorbatschow war zu seinen Lebzeiten nie ein verständnisvoller Humanist. Gorbatschow war ein inkompetenter Selbstdarsteller und Dummschwätzer. Zusammen mit Shewardnadse hat er schon 1986 die Liquidierung der DDR vorbereitet. Honecker hat gewusst, was diese sogenannte Glasnost für die Existenz der DDR bedeutet. Das Ende der DDR, völlig neutral betrachtet, hat Gorbatschow mit den Yankees ausgehandelt in der Hoffnung, damit die UdSSR zu retten. Dass die Yankees gerne darauf eingegangen sind, weil sich dadurch für sie die Möglichkeit ergab, diese UdSSR gleich mit zu beseitigen, hat der Selbstdarsteller Gorbi nicht erkannt.
Sehe ich anders: Gorbatschoff hatte nach Breschjews verkorkstem Afghanistan-Abenteuer keine andere Wahl technologisch wieder an den Westen anzuschließen. Das er dafür die untertanen Randvölker rausrücken mußte, war klar. Als Dummschwätzer würde ich ihn nicht bezeichnen, er mußte die Fehler des Ukrainers ausbaden und war vielen internen Zwängen ausgeliefert.
Ja, gerne dem Blogbetreiber das letzte Wort. Ich habe leider mehr Insiderwissen und kann meine Meinung historisch begründen.
Jedenfalls lohnt sich die synoptische Lektüre von Krenzens, Greenspans und Kissingers Memoiren betreffend die damaligen und vorgelagerten Aktionen der USA und der UdSSR.
Ölpreiserpressung, Umwelt-Tralala und natürlich die wichtigste Waffe: Kredite, Kredite, Kredite.
Die DDR war definitiv Schmidtchen im Geplänkel der Supermächte, so wie heute Restdeutschländ das Schölzchen gibt.
Ich habe in der ersten Hälfte des Jahres 1989 in dem Stahlwerk an der schönen Havel gemerkt, dass immer mehr Genossen mentale Probleme hatten, Sie wussten ja, dass ich nicht mehr im Lehrerberuf arbeiten durfte, weil ich als ehemaliger Genosse die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED vor einem Publikum während einer Parteiversammlung in meiner damaligen Ingeniuerschule missbilligt habe. Und wurde deshalb beschlossen, mich zur Bewährung in die Produktion zu schicken. Zuerst wichen die Genossen mir aus, dann kamen sehr wenige vereinzelt heimlich zu mir, um von mir persönlich zu erfahren, ob ich glaube, dass in einem Jahr das alles noch so ist wie jetzt.
Dann kam der Tag der ungarischen Grenzöffung. Man stellte fest, das viele junge Arbeiter nach ihrem Urlaub nicht mehr im Werk erschienen. Die Gesprächskontakte wurden da erst offener.
Ich selber hoffte auf mehr Rechtsstaatlichkeit beim Umgang des Staates mit abweichenden Meinungsäußerungen. Das Westfernsehen sagte uns fast täglich, was sich alles ändert, wenn wir wieder Bürger in einem einheitlichen Deutschland sein würden.
Heute, nach so langer Zeit, las ich (mmnews.de), was der Bundesgeschäftsführer des deutschen Richterbundes sagte, als er vor Möglichkeit mahnte, die AfD könne in Wahlen die Sperrminorität erreichen, die Benennung von Richtern blockieren und so das Rechtssystem politisch behindern. Dann sprach er im Klartext, der entlarvend für den sogenannten freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat BRD ist.
Zitat: „… Außerdem muss sich die Politik endlich dazu durchringen, die aus der Zeit gefallene politische Weisungsbefugnis für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu streichen oder zumindest auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu beschränken.“
Dass das bestehende Rechtssystem verlogene, undemokratische, wirtschaftszerstörende, kriminelle, korrupte und deutschfeindliche Politiker vor Strafverfolgung schützen kann und schützen darf, das hätte ich vor 35 Jahren nicht geglaubt.
Ich habe es schon oben geschrieben: Die BRD ist auf dem Weg zur DDR 2 weil die Wessis die DDR nicht kannten und ignoriert haben.
Schon als Jugendlicher habe ich behauptet, dass man im Westen nur deswegen seine Meinung frei äußern darf, weil sie keinen interessiert. Man sorgte dafür, dass die Leute konsumieren konnten, so dass vielen alles andere egal war.
Dieses „Staats-Modell“ bröckelt, schon allein wegen dem immensen Geldbedarf des Staates.