Rußlandpolitik im Wandel der Zeiten

Ich hatte früher einen Kommentator, der mir Rußlandnähe vorwarf, weil ich die Ukraine seit dem Maidanputsch besorgt beobachte. Es ist aber alles nicht schwarz und weiß, sondern relativ und grau.

Natürlich ist uns Rußland zeitweise Lichtjahre näher gewesen, wie die Grünen oder die SPD, die wegen Freundschaft zur Sowjetunion die Staatsbürgerschaft der Zone anerkennen wollten und derzeit die deutsche Justiz nach russischem Vorbild umbauen. Ich frage mich angesichts zunehmender Zensur und autoritärer Tendenzen in Berlin, wann das Faß überläuft und den Leuten es egal ist, ob sie aus Berlin oder Moskau rumgeschubst werden.

Gorbatschoff war für uns eine Million mal nützlicher als der instinktlose Scholz, der bei den untersten Steigbügelhaltern Egon Krenz und Eberhard Aurich rumrutschte. Es ist nicht lange her, daß Gorbatschoff an den Rand der regierungsdelegitimierenden Demonstration am 24. Oktober 1989 in Weimar eine Reihe Schützenpanzerwagen auffahren ließ, um uns vor den rabiaten Knüppel-Freunden von Olaf Scholz zu beschützen.

Es ist halt alles relativ und die Umstände ändern sich schnell. Vielleicht ist Amerika in einem halben Jahr wieder rationaler und aufgeklärter als Berlin-Mitte? Wer weiß?

Zur Rußlandpolitik noch eine örtliche Anekdote. Zar Alexander I. (regierte 1801 bis 1825) hat in der Geschichtsschreibung einen schillernden Ruf. Einerseits war er der Befreier von den Franzosen, andererseits wurde ihm die Mitgliedschaft in der Heiligen Allianz vorgeworfen. Heute würde Annalena rumquäken, daß er „unsere Werte“ nicht teilt. Damals gab es dieselbe Kritik von den Burschenschaften. Der Schriftsteller v. Kotzebue wurde von einem Studenten erstochen, weil er als russophil galt.

Zar Alexander rettete unserem seligen Herzog Carl August von Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach nicht nur das kleine Reich, sondern er setzte auf dem Wiener Kongreß eine Standeserhöhung zum Großherzog und die Arrondierung des Gebiets durch den Neustädter Kreis durch. Vorausgegangen war 1804 die Einheirat der russischen Prinzessin Maria Pawlowna in das Herzogtum.

Unsere selige Herzogin Luise wird immer als mutig gefeiert, weil sie 1807 Napoleon im Weimarer Schloß engagiert entgegentrat. Man erwähnt nicht warum sie sich das leisten konnte. Es war das Taktieren Napoleons mit dem russischen Zaren,

Doch mit des Geschickes Mächten Ist kein ew’ger Bund zu flechten, Und das Unglück schreitet schnell., reimte Schiller. So hat sich das Verhältnis zu Rußland im Lauf der Zeit immer wieder gewandelt, besonders skurril die Installation der Bolschewiki durch die Reichsregierung 1917 und der Stalin-Hitler-Pakt 1939. Der kommunistische Dichter Johannes R. Becher lieferte die passende Lyrik, gerichtet an Stalin: „Nimm diesen Strauß mit Akelei/​ zum Zeichen für das Friedensband, das fest sich spannt zur Reichskanzlei.“ Auch das Abräumen der Honecker-Clique hatte, so konsequent und rasch durchgezogen, kaum jemand erwartet.

Wenn Annalena nun annimmt, daß Rußland bis in die Steinzeit verschissen hat, so ist das eine kindische Phantasie. Der Nächste, der die Gelegenheit hat, durch ein Bündnis mit Rußland Macht zu erlangen, wird das herbeiführen. Literaturtip: Die Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jh. von K. Marx. Er beklagte, wie England mit Rußland jedes noch so fragwürdige Bündnis einging, um Vorteile gegen Dritte zu erlangen.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Aristokratismus im eigentlichen Sinne ist das Einzige und Rechte.“ (Geh. Rath v. Goethe, 1815)