Mögliche ukrainische Präsidentschaftskandidaten
Verworrene Verhältnisse in Kiew, welche an das letzte Regierungsjahr von Zar Nikolaus bzw. von Michail Gorbatschoff erinnern. Der Kiewer Bürgermeister Klitschko und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte widersprachen dem Präsidenten Selenski in Ziel- und Strategiefragen jüngst, sein Amtsvorgänger Poroschenko wurde an der polnischen Grenze festgehalten, der Fernsehbesitzer Ihor Kolomojskyj, der Selenskis Aufstieg begleitet und ermöglicht hatte, wurde am 2. September 2023 für zwei Monate in Gewahrsam genommen, um Vorwürfe der Geldwäsche und des Betrugs zu untersuchen. Weiß er zuviel? Selenski nahm den Fall des prominenten Oligarchen als Anlass für eine demonstrative Botschaft gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität: Wer das Land ausraube und sich selbst über das Gesetz stelle, werde damit nicht mehr weitermachen können wie bislang, versprach der Staatschef in seiner in Kiew verbreiteten täglichen Videobotschaft. Seit 3. September sitzt Kolomojskyj nun also in einer kleinen Zelle im provisorischen Haftzentrum des ukrainischen Geheimdienstes. Auch eine landestypische Toilette gehört dazu: ein Loch im Fußboden. Wie die anderen Gefangenen wurde er desinfiziert – er saß allein da, ohne Fernseher, Internet oder Telefon. Seine gesamte persönliche Korrespondenz wurde von den Mitarbeitern der Haftanstalt überwacht. Aber kommen wir zum eigentlichen Thema, der Präsidentenwahl.
Ob es 2024 in der Ukraine eine solche geben wird, ist unklar. Viele Menschen im In- und Ausland plädieren dafür und Wolodymyr Selenskyj spielt ein seltsames Spiel. Einerseits verabschiedete er am 30. November 2023 in der Werchowna Rada ein Gesetz, das besagt, daß man in Kriegszeiten keine Wahlen abhalten darf. Einige Tage später ließ er jedoch durchsickern, daß er theoretisch bereit sei, Wahlen abzuhalten, aber Garantien wollte, daß Waleri Zaluzhny, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, nicht am Wahlkampf teilnehmen würde. Ein Blick auf das Kandidatenfeld:
Oleksiy Aresztovich
Auf jeden Fall ist bekannt, daß Selenskis ehemaliger Berater Oleksiy Aresztovich bereit wäre, sich gegen ihn zu messen. Aresztovics ist eine eher umstrittene Figur. In den 1990er und 2000er Jahren spielte er in Studiotheatern und übernahm auch (Werbe-)Filmrollen. Gleichzeitig gehörte er nach eigener Aussage ab 1994 zum Stab des Verteidigungsministeriums, diente zwischen 1999 und 2005 in der Generaldirektion Nachrichtendienste und war Hauptmann; In anderen Interviews behauptete er, für die Strategic Research Unit des Verteidigungsministeriums gearbeitet zu haben. Er verließ die Armee im Rang eines Majors im Jahr 2005. Als die von einem Oligarchen unterstützte „Orange Revolution“ siegte, kritisierte er das lautstark. Danach kehrte er einerseits zur Filmproduktion zurück, andererseits engagierte er sich in der Politik, wurde Mitglied einer panslawischen Bewegung und dann deren Vizepräsident und besuchte regelmäßig Russland, wo er an Konferenzen der Eurasischen Bewegung von Aleksandr Dugin mitwirkte. Nach dem Euromajdan 2014 trat er als Militärexperte in der Presse auf und beteiligte sich an der Ausbildung von Kampfeinheiten im Rahmen des „Volksreserve“-Programms. Berichten zufolge war er von September 2018 bis September 2019 als Scout tätig. Am 28. Oktober 2020 wurde er von Leonid Kravchuk als informationspolitischer Berater und offizieller Sprecher der ukrainischen Delegation der dreigliedrigen Kontaktgruppe bei den Minsker Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts in der Ostukraine und am 1. Dezember 2020 wurde er von Andriy Jermak, dem Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, gebeten, die nationale Sicherheit zu übernehmen. Er wurde freiberuflichen Berater, der sich mit strategischer Kommunikation im Verteidigungsbereich befasst. Aresztovics wollte Anfang 2022 in den Ruhestand gehen und sagte, er sei von der Bürokratie enttäuscht. Aufgrund der russischen Invasion trat er jedoch nicht zurück. Darüber hinaus wurde er Chefberater des Chefs des Präsidialamtes und Sprecher der Regierung, „das Gesicht der ukrainischen Kriegspropaganda“. Allerdings wurde er im Januar dieses Jahres entlassen, weil er nach einem Raketenangriff, bei dem mehrere Menschen getötet wurden, die Verantwortung für die ukrainische Armee eingeräumt hatte. Wenn man seine Biografie liest, denkt man unweigerlich, daß Oleksiy Aresztovich ein „Agent“ ist. Für wen er arbeitet und welche Interessen er bedient, ist ein Rätsel. Dies wurde übrigens ernsthaft nur auf russischer Seite zur Sprache gebracht, Moskau hat ihn auf die schwarze Liste gesetzt, obwohl das zentrale Element seines Präsidentschaftsprogramms die diplomatische Beendigung des Krieges ist, auch um den Preis territorialer Zugeständnisse. Eine ernsthafte Chance hat er ohnehin nicht,
Petro Poroschenko
Ähnlich verhält es sich etwa mit Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko, der bereits nach seinem Sturz 2019 ankündigte: Beim nächsten Mal würde er wieder von vorne anfangen. Poroschenko, der kürzlich in den Schlagzeilen war, weil er die Ukraine nicht verlassen durfte, um mit Viktor Orbán zu verhandeln, ist nicht nur unbeliebt, sondern auch ein Fall von Verrat schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm. Das noch nicht abgeschlossene Verfahren wurde 2021 gegen ihn eingeleitet. Er wurde verdächtigt, weil er angeblich durch Vermittlung des pro-russischen ukrainischen Oligarchen Wiktor Medwetschuk Kohle aus den Separatistengebieten gekauft hatte, als die Industrie sie brauchte. Der ehemalige Präsident gehört zum rechten Flügel des ukrainischen politischen Spektrums. Im Wesentlichen lieferten die Handlungen des Chauvinisten den Grund oder Vorwand für die russische Intervention, sodaß der Krieg als sein Vermächtnis betrachtet werden kann. Während seiner Amtszeit wurden Gesetze erlassen, die zur Entrechtung von Nationalitäten führten, und er unterhielt enge Verbindungen zu gewalttätigen Neonazi-Organisationen wie Asow und dem Rechten Sektor. Darüber hinaus aktivierte er den Bandera-Kult.
Zu den potenziellen Kandidaten zählten in den Vorjahren auch der Sänger Swjatoslaw Wakartschuk und die erste stellvertretende Präsidentin der Werchowna Rada, Irina Geraschtschenko. Letztere gewann ein Mandat in der Partei von Prosenkos Europäischer Solidarität, war zuvor aber auch Vertreter von Vitali Klitschkos UDAR-Partei.
Vitali Klitschko könnte der Profiteur sein
Der mehrfache Weltmeister im Schwergewichtsboxen hat sich noch nicht einmal informell für das Rennen um die Präsidentschaft angemeldet. Unabhängig davon gibt es gute Gründe zu der Annahme, daß er solche Ambitionen haben könnte. Einmal hätte er fast zugelangt. Im Jahr 2013 wurde er gemeinsam von den radikal-nationalistischen Parteien UDAR, Szvoboda und Batykivscsina unterstützt. Im letzten Moment zog er sich jedoch zugunsten von Petro Poroschenko zurück und trat bei den Kommunalwahlen in Kiew an. Seiner Entscheidung ging ein Skandal voraus: Es wurde bekannt, daß er sowohl die amerikanische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, was in der Ukraine einen disqualifizierenden Faktor darstellt. Klitschko weigerte sich, die Frage zu beantworten, und das Gericht zwang ihn schließlich zur Aussage. Am 24. Oktober 2013 gab er zu, einen deutschen Paß zu besitzen, beharrte jedoch auf seiner Kandidatur, was verständlich ist, da viele Mitglieder der ukrainischen Elite in ähnlichen Verhältnissen wandeln. Sein Rückzug im Jahr 2014 könnte Teil einer politischen Vereinbarung gewesen sein, die er mit Poroschenko geschlossen hatte. Auf jeden Fall ist es gut gelaufen, denn seitdem führt er die ukrainische Hauptstadt.
Wenn er gegen Selenskyj in den Ring steigen würde, wäre es chancenreich. Darüber hinaus haben sie bekanntermaßen ein schlechtes Verhältnis zueinander. Laut Klitschkos Geständnis konnte er seit der Eskalation des Krieges am 24. Februar 2022 keine sinnvolle Beratung mit dem Präsidenten mehr führen, obwohl ihre Büros nur wenige Blocks voneinander entfernt liegen. Erwähnenswert ist, daß Wolodymyr Selenskyj bereits im Sommer einen Rufmordversuch gegen den Bürgermeister verübte. Eine Inspektion ergab, dass ein bestimmter Prozentsatz der Unterkünfte in Kiew unbrauchbar oder nicht konform war, was die Aussicht auf einen Ersatz Klitschkos eröffnete. Vielleicht hatten der Präsident und sein Gefolge bereits das Gefühl, daß es besser sei, den Bürgermeister zu diskreditieren, damit ihm nichts zu Kopf steige. Hier ist noch etwas zu beachten: Vitali Klitschko und Valery Zaluzhny sind gute Freunde. Im vergangenen Monat erklärte der Oberbefehlshaber zunächst, daß Kiew die Armee durch den erzwungenen Angriff in die Katastrophe treibe, und dann sprach Klitschko darüber. Darüber hinaus fügte er hinzu, daß Selenskyj ein zunehmend autokratisches System aufbaue, seine politischen Gegner jage und seine Macht mißbrauche. Den neuesten ukrainischen Umfragen zufolge ist Valery Zaluzhny die beliebteste Persönlichkeit des öffentlichen Lebens im Land. Allerdings hat er immer wieder erklärt, dass er als Soldat keine politischen Ambitionen hege. In der Presse wird er jedoch regelmäßig als wahrscheinlichster Herausforderer des amtierenden Präsidenten bezeichnet. Allerdings ist es möglicherweise nicht er, sondern Vitali Klitschko, hinter dem Zaluzhny schulterbreit stehen würde. Dies könnte auch eine gute Erklärung dafür sein, warum das Präsidialamt ihn um jeden Preis vom Wahlkampf fernhalten will.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst; „Vor die Wahl gestellt zwischen Unordnung und Unrecht, entscheidet sich der Deutsche für das Unrecht.“ (Geh. Rath v. Goethe, Der Ukrainer entscheidet sich für Unrecht und Unordnung)
Beitragsbild von B. Zeller aus ZZ.
Lasst es doch als MMA-Schaukampf zur Entscheidung kommen: Stefantschuk als Wrestler, Klitschko als Boxer und Saluschny als Kampfsportler.
Ein Tschetschene als Unparteiischer.