Wie man einen Staat zerstört, Teil 5: Der Schriftsteller als Waffe… und Maxim Gorki
Gastbeitrag von Helmut Roewer über Proletkultur
Mit diesem fünften und letzten Teil der Betrachtungen zum Krisenjahr 1923, wende ich mich der Kampfform der Beeinflussung zu. Nach all den geschilderten Misserfolgen, welche die sowjetrussischen Umstürzler im Laufe das Jahre hinzunehmen hatten, mussten nun die Schriftsteller an die Front. Sie hatten beträchtlichen Erfolg. Der Schriftsteller, um den es im Folgenden als den erfolgreichsten unter den Beeinflussern gehen soll, ist der Literaten-Star Maxim Gorki. Er war, um in einem sowjettypischen Bild zu schwelgen, ohne es zu wollen, Hammer und Amboss zugleich.
Eins
Auf dem Wege zur Sonne: der Wanderer Maxim Gorki
Bevor aus dem Mann der weltbekannte Maxim Gorki wurde, hieß er Alexej Maximowitsch Peschkow. Der kam 1868 in Nishnij Nowgorod – das liegt rund 450 km östlich von Moskau – als armer Leute Kind zur Welt. Frühzeitig verwaist und ohne nennenswerte Schulbildung vagabundierte er in Russland umher. Kurz vor der Jahrhundertwende gelang es ihm, eine erste Erzählung zu veröffentlichen. Zu der Zeit hatte er einen Posten als Journalist bei einer Lokalzeitung in Samara inne. Das befand sich nicht gerade im Zentrum Russlands, sondern rund 700 km Wolga-abwärts von seinem Geburtsort entfernt. Nun ja, die Wolga ist lang, und, wie der Russe so sagt, der Zar ist weit.
Wir würden heute nichts von Gorki wissen, wenn er nicht 1903 mit seinem Bühnenstück Nachtasyl einen überraschenden Welterfolg gelandet hätte. Plötzlich war er wer. Ein Foto, das ihn mit einer gleichaltrigen berühmten Theaterdiva, Maria Andrejewa (1868-1953), zeigt, die seine Geliebte wurde, belegt den Wandel. Die aparte Russin war nicht nur eine bekannte Schauspielerin, sondern sie diente um die Jahrhundertwende prominenten Malern und Fotographen als Modell.
Von den Bildern, auf denen sie zusehen ist, hat es mir genau dieses eine aus dem Jahre 1905 besonders angetan, auf dem sie von zwei jungen Männern flankiert wird. Der eine ist ihr Sohn, der andere der soeben zu erstem zarten Ruhm gelangte Schriftsteller Maxim Gorki. Er war es, der die Schauspielerin mit seinen sozial-revolutionären Gedanken beeinflusste, als er ihr Liebhaber und später auch ihr Ehemann wurde.
Dass Gorki mit sozialrevolutionären Gedanken liebäugelte, ja, von ihnen durchdrungen war, muss man nicht mühsam zu erklären suchen. Die Welt, aus der er stammte, lud zu solchen Ideen ein. Folgerichtig engagierte er sich 1905 bei der in Russland ausgebrochenen Revolution, wurde verhaftet und reiste 1906 bei erstbester Gelegenheit aus Russland aus. Sein erstes Auslandsziel wurde Amerika. Danach zog er weiter nach Italien, wo er in Sorrent eine Villa erstand, vis a vis der Insel Capri. Der nun folgende lange Zwischenstopp in der Sonne Italiens ist deswegen erwähnenswert, weil Gorkis sehenswertes Domizil der Anlaufpunkt für vielerlei russische Exilanten wurde, die bei ihm urlaubten, denn merke: Revoluzzen und vor allem die zugehörigen Fraktionskämpfe sind anstrengend, man bedarf der Erholung. Wir sind
deswegen über dieses staunenswerte Detail des Sozialismus informiert, weil in einigen, viel später veröffentlichten Leninbüchern ein Foto auftaucht, auf welchem der Meister Bolschewik und spätere Diktator Russlands beim Schachspiel auf Gorkis Terrasse im Kreise von Genossen zu sehen ist.
Zur Geschichte dieses Bildes gehört, dass die sowjetischen Zensurkünstler von Auflage zu Auflage neue Retuschen vornehmen mussten, um missliebig Gewordene zu entfernen, respektive nach deren Rehabilitierung wieder zum Leben zu erwecken. Auch die Unbekannte vorn rechts, von der wir nur die linke Hand und ein Bein im gestreiften Rock sehen, musste manchmal weichen und ein andermal wieder platznehmen. Sie ist für mich das einzige Rätsel in diesem Suchbild. Oder doch nicht? Täusche ich mich, wenn ich auf Lenins Miene ein selbstgefälliges Sieger-Lächeln entdecke? Ein Teilnehmer berichtete später, dass Lenin die Partie verloren habe und außer sich gewesen sei.
1913, knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, kehrte Gorki nach Russland zurück. Er blieb bis 1921, um erneut nach Italien auszuweichen. Aber innerhalb dieses Zeitraums hatten die Jahre ab der Oktoberrevolution es in sich. Da war er so etwas wie ein revolutionärer Nationalheld, der Vorzeige-Proletarier schlechthin.
Bei den diversen Kongressen, die von den Bolschewiki zelebriert wurden, war er sichtbarer Mittelpunkt. Zum Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1920 veranstaltete er ein Massenspektakel im Freien, zu dem er die Dramaturgie entworfen hatte. Auf dem zugehörigen vielfach verbreiteten Teilnehmerfoto sehen wir ihn (mit kahlrasiertem Schädel) hinter Lenin stehen. Der kahle Schädel: eine Hommage an den Meister? Hinter Gorki eine Säule, und links hinter der Säule sein Sohn Maxim, auch er kahlrasiert und zudem Mitarbeiter bei der Geheimpolizei Tscheka.
Zwei
Bei Gorkis zu Hause
In diesen wenigen russischen Jahren vor und nach der Oktoberrevolution lebte Gorki mit seiner Frau Maria Andrejewa in einer hochherrschaftlichen riesengroßen Wohnung in Petrograd. In dieser gründeten die beiden 1918 mitten in den Wirren des Herrschaftswechsels einen Verlag, Всемирная литература, den Verlag für Weltliteratur. Nein, bescheiden war man bezüglich des eigenen Werkes nicht.
Nun ist das Gründen eines Verlages und sein Betrieb zweierlei. Maria wusste Rat. Den Verlag würde ein Jurist führen, und sie wusste auch schon welcher. Es war Peter Petrowitsch Krjutschkow (1889-1938). Zwei Jahre zuvor, 1916, als Maria und Pjotr sich erstmals paarten, saß der Zar noch, wenn auch schon wacklig, auf seinem Thron. Was also hatte so ein Sprössling aus dem russischen Dienstadel, ein junger hoffungsvoller Jurist im Staatsdienst, der es bei etwas anderem Verlauf der Geschichte unter der Herrschaft des Zaren sicher einmal weit gebracht hätte, kurz drauf bei den Bolschewiki verloren?
Zunächst war es ein Fall von Liebe und sonst gar nichts. Dabei ließ es sich offenbar nicht vermeiden, dass die Andrejewa ihren wesentlich jüngeren Geliebten mit revolutionärem Gedankengut infizierte, das sie selbst seit ihrer Liaison mit Gorki in sich trug. Für den jungen Mann mag das zunächst überraschend gewesen sein, kurze Zeit später war es lebensrettend, denn mehr als nur einer in seiner Position bezahlte nach der Oktoberrevolution die falsche Klassenzugehörigkeit mit dem Leben.
Nach der Weichenstellung durch Maria zog Krjutschkow zu dem Gorki-Paar in dessen Wohnung. Was mag der Hausherr dazu gesagt haben? fragt etwas entgeistert die Leserin. Wir wissen es nicht, allerdings das, was er kurz drauf tat, denn in der Wohnung tauchte – es muss ein wahrer Taubenschlag mit ungezählten Personen gewesen sein – noch im Verlauf des Jahres 1918 eine Frau auf, bei der ich mich streng disziplinieren muss, um nicht deren Lebensroman zu erzählen, der in drei fette Oktav-Bände nicht hineinpassen würde. Wir begnügen uns also mit Stichworten, die nur mit Gorki zu tun haben. Das sind schon ziemlich viele.
Drei
Auf die stürmische Art
Es geht um Maria Ignatjewa Budberg, genannt Mura (1892-1974), geborene Sakrewskaja, zum Zeitpunkt ihres Auftauchens noch verheiratete von Benckendorff. Die Grundbesitzers-Tochter aus Poltawa hatte als Zwanzigjährige standesgemäß geheiratet, der Ehemann, Johann von Benckendorff (1882-1919), entstammte dem deutschbaltischen Adel mit einem Gut in Jendel (Jäneda), Gouvernement Reval, also im heutigen Estland. Die Hochzeit fand 1912 nicht dort, sondern in London statt, wo ein Verwandter aus der gräflichen Linie der Benckendorffs der zaristisch-russische Botschafter war. Sodann zog das Paar nach Berlin um, wo der frischgebackene Ehemann an der russischen Botschaft als Dritter Sekretär diente. Damit war’s im August 1914 nach dem Kriegsausbruch vorbei. Man kehrte nach Russland zurück, genauer gesagt auf das Gut im Estnischen. Eine Frau im Bett und die drei Männer: Maria von Benckendorff, der Brite Robert Bruce Lockart, der Lette Jēkaps Peterss und die Zielperson der Tscheka, Maxim Gorki.
Irgendwann während des Krieges trennten sich die Eheleute, wenigstens räumlich, denn Mura Benckendoff befindet sich im Sommer 1918 in Moskau, wo sie eine heftige Affäre mit dem britischen Agenten und Diplomaten Robert Bruce Lockart (1887-1970) beginnt, die im September 1918 im Tscheka-Gefängnis endet, denn Lockart wird mit gutem Grund verdächtigt, den gewaltsamen Sturz der bolschewistischen Regierung vorbereitet zu haben. Er entkommt dem sicheren Tod aus diplomatischem Kalkül, dem des Agentenaustauschs zwischen Moskau und London, und wird, man kann’s nachvollziehen, für immer des Landes verwiesen.
Für die Russin Mura von Benckendoff-Sakreskaja schien die letzte Stunde zu schlagen: falsche Klasse und konterrevolutionär zudem. Nur ein Wunder konnte sie retten. In ihrem Falle war es der Lette Jēkabs Peterss (1886-1938), Mitglied im Kollegium der Tscheka und ein berüchtigter Folterer. Der ließ sie aus der Haft raus. Ob sie hierbei einen Umweg durch sein Bett machte, ist umstritten. Wir sagen: Selbst wenn. Nunmehr reiste Mura – nicht aus eigenem Antrieb – von Moskau nach Petrograd, wo sie bei der Ankunft erneut festgesetzt, aber nach einem Rückruf in Moskau gleich wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Stehenden Fußes begab sie sich in Gorkis Wohnung, die sie so bald nicht wieder verlassen sollte. Was hatte sie zu bieten? Zunächst die Eintrittskarte, die galt dem Verlag. Sie sprach vier Sprachen fließend, Deutsch, Französisch, Englisch und Russisch, das Russische davon am wenigsten perfekt, ganz so wie in ihren Kreisen üblich. Und für Gorki? Sie war ungewöhnlich intelligent und gebildet. Zudem war sie, wie man das heute nennen würde, sexy, und sie war 24 Jahre jünger als Gorki und seine gleichaltrige Frau. Gorki war überwältigt, denn so eine Frau wie Mura hatte noch nie zu seinem Repertoire gehört. Seine Noch-Frau hatte keine Einwände, denn sie hatte schließlich ihren Pjotr.
Mit Mura Budberg hatte sich die Tscheka in Gorkis Leben eingenistet. Sie, die Tscheka bzw. ihre Nachfolger, würden dort bis zu Gorkis Tod fest verankert bleiben, wie wir noch sehen werden. Doch zunächst gilt es von einem Ereignis zu berichten, das 1921, kurz vor Gorkis Wiederausreise aus Russland stattfand. Er erhielt Besuch von einem anderen Star der Weltliteratur, von H.G. Wells (1866-1946). Der linkslastige Brite war nach Russland gereist, um sich vom Wunder des Sowjetstaats ein eigenes Bild zu machen. Da lag es nahe, beim gleichgesinnten und zudem gastfreien Gorki Station zu machen. Mura erhielt Order aus Moskau, den Gast zu begleiten, offiziell hieß es: als Dolmetscherin.
Ein Foto, das die drei beieinander zeigt, hat die Zeitläufte überdauert. Es zeigt den verschmitzten, besitzergreifenden Gorki, die etwas tiefer kauernde, erstaunlich jung aussehende Mura und den leicht abwesend wirkenden Wells. Was das Bild beim besten Willen der Interpretation nicht offenbart, ist der Umstand, dass der Engländer und die Russin soeben eine heftige Liaison begonnen hatten, die Gorki bei aller Gastfreundschaft keineswegs gefiel.
Vielleicht tröstete er sich damit, dass die Beziehung ohnedies nur einige Tage andauern könnte, bis der Gast wieder weg war, doch da irrte er sich. Es wird Gorki bei allem Im-Mittelpunkt-stehen in Russland der Revolution nicht gefallen haben. Zwar tanzte alles, was rot und mächtig war, durch seine Wohnung, aber es kann ihm nicht entgangen sein, dass die Bürger, die nicht zum roten Adel gehörten, hungerten, ihre
Wertsachen für ein Stück Brot verkaufen, und die Frauen, deren Männer man erschossen hatte, auch sich selbst. Vielleicht sah er auch nichts davon und sehnte sich nur nach dem ungebundenen Leben in Sorrent zurück, an die Wärme, an die Sonne, an den italienischen Wein.
Bleibt noch eine Dritte Variante, nämlich dass Mura ihn anstachelte, das Land der Väter zu verlassen. Doch zunächst trennte sich das Paar: Gorki reiste nach Westen, Mura von Petrograd nach Nordost. Ihr Zielland war das frisch aus der Taufe gehobene Estland, dort lag das Gut der Benckendorffs, wo ihre Kinder bei den Großeltern lebten. Den Vater hatten estnische Landarbeiter kurz zuvor erschlagen. Die estnische Regierung sah den Ankömmling ungern und nahm ihn unter Spionageverdacht vorübergehend fest. Doch Mura, noch hieß sie offiziell Benckendorff, gelang ein Handstreich der bizarren Art. Sie heiratete Knall auf Fall einen anderen baltendeutschen Adligen und bis vorgestern noch zaristisch-russischen Offizier. Ich vermute, es ist dieser hier: Baron Nikolaj Antoljewitsch Budberg (1894-1971). Die Ehe hielt ein paar Tage – verrückt, aber wahr. Sie brachte ihr einen neuen Pass mit einem neuen Namen. Den neuen Namen behielt sie ihr Leben lang, und mit dem reiste sie im Frühjahr 1922 aus Estland aus. Ich nehme an per Schiff, denn sie traf auf Gorki im Ostseebad Heringsdorf, von wo das Paar, wie deutsche Polizeiakten wissen, nach Bad Saarow weiterreiste.
Nun zurück zur Hauptperson: Nach Gorkis Wiederausreise 1921 endete seine Bedeutung für den Bolschewismus keineswegs. Ganz im Gegenteil. Vielmehr blieb er der Halbgott und ließ es sich, wie ich vermute, gerne gefallen. Von den Gründen muss jetzt die Rede sein.
Vier
Warum Gorki?
Es ist nicht ganz einfach, dem Erfolg von Maxim Gorki auf die Spur zu kommen. Es handelt sich nach meiner Einschätzung um ein ganzes Bündel von Gründen. Vorweg: Ich habe nicht vor, hier den Literaturkritiker zu spielen, die Deutsch- und Russischlehrer unter meinen ein oder zwei Lesern mögen sich also entspannt zurücklehnen. Zu Gorkis Können also kein Wort. Doch Erfolg ist nicht nur vom Können abhängig. Im Falle Gorkis muss man einen Blick auf sein Publikum und auf seine, Gorkis, Macher richten.
Die Wirkung von Gorki im Deutschland der 1920er Jahre auf alles, was links und edel war, muss eine ungeheure gewesen sein. Mein Maßstab für diese Aussage sind die Werke aus der weiblichen Memoirenliteratur, die ohne Gorki nicht auskommen. Kein gesellschaftlicher Anlass, kein politischer Kongress ohne Gorki, wenigstens ein Zitat, besser noch ein Grußwort und am allerbesten seine Anwesenheit. Was also machte den Zauber dieses Mannes aus? Er hatte etwas zu bieten, was all diese vom Proletariat und seiner Herrschaft Berauschten nur als theoretische Hoffnung kannten: einmal ein echter Proletarier sein, ein Prolet gar. Da war er der Einzige weit und breit. Das ist meiner Meinung nach das Hauptmotiv für die hiesige Vergötterung.
Warum er ausgerechnet auf Frauen so unwiderstehlichen Reiz ausübte? Ich weiß es beim besten Willen nicht zu sagen. Weiß auch über dessen Umgangsformen nichts. Dass es die eines auf Prolet getrimmten Salonbolschewiken waren, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es war vielleicht – man sehe mir den hässlichen Vergleich nach – der selbe Reiz wie ihn ein bestimmter vulgärer draller Frauentypus auf manche Männer ausübt, die sonst von intellektuellen Frauen umringt werden.
Mag alles sein, doch jetzt kommt die Hauptsache: Jeder Erfolg braucht seine Sponsoren. Im Falle von Gorki ist es seit der Oktoberrevolution die Regierung von Sowjetrussland, der späteren Sowjetunion. Das mag, solange Gorki bis 1921 in Russland ist, als eine Art Selbstläufer durchgehen. Aber danach, als er 1921 Russland mit durchaus diffusen Gedanken den Rücken gekehrt hatte? Jetzt wird die Sache interessant. Ich spreche von der Operation Gorki. Sie hieß im Geheimdienst-Russisch nicht wirklich so. Ich selbst habe sie zur Illustration so bezeichnet, weil ich die zugrundeliegende Fall-Akte noch nicht entdeckt habe.
Fünf
Wem kann man ein X für ein U vormachen, und wie macht man es?
Besondern Wert legten die sowjetischen Unterwanderungsspezialisten auf die Erringung der kulturellen Hegemonie. Mit anderen Worten: Sie wollten, dass ihre Zielpersonen die Sowjetunion liebten und bewunderten, und, jetzt kommt’s, dies auch mit dem Ziel der Nachahmung zum Ausdruck brachten. Die zugehörige Beeinflussung geschah stets zweigliedrig: teils durch plumpe Propaganda, zum Teil durch das Einspannen von Kultur-Prominenz vor den Karren des Sozialismus sowjetisch-russischer Bauart.
Fürs deutsche Publikum, genauer gesagt: für dessen links-intellektuelle Schickeria, wurde 1923 zu diesem Zweck ein spezieller Beeinflussungs-Apparat geschaffen: der Verlag Das Buch, später etwas bekannter unter dem Namen Das internationale Buch. Der Chef dieses frisch gegründeten Unternehmens, das zunächst bei der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin mehr oder weniger heimlich unterkroch, war ein Bekannter von uns aus Petrograd: Peter Petrowitsch Krjuschkow. Der war dort bis dahin, wie wir schon hörten, der Liebhaber von Gorkis Frau, Maria Andrejewa und der Leiter des von Gorki 1918 in seiner Wohnung gegründeten Verlags für internationale Literatur. Krjutschkow sprach das Deutsche fließend, denn die Mutter war eine Baltendeutsche aus – wie man so sagte – gutem Hause und der Vater ein russischer Staatsrat, mithin ein Mann des russischen politischen und kulturellen Establishments. Der von Krjutschkow in Berlin geleitete Verlag wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Deutschland-Beeinflussung, deren Zielpersonen deutsche Intellektuelle und über diesen Treibriemen die breite Öffentlichkeit wurden. Krjutschkow hatte im krisengeschüttelten Deutschland ein starkes Argument bei der Hand: eine mit Dollar-Devisen gefüllte Kasse. Es entbehrt nicht der Komik, dass einer der Geldkuriere, die zwischen Moskau und Berlin verkehrten, der Schriftsteller Maxim Gorki war, denn den Weltstar würde an den Grenzen niemand genau kontrollieren. Wir lesen mit Behagen, wie sich solche Übergabetreffs in Berlin
abspielten. Immer im selben Café, Gorki immer schlechtgelaunt und vor Entgegennahme der Quittung akribisch das Geld mehrfach nachzählend. So hat es eine später erzählt, die, wie man beim Dienst so sagt, solche Treffs abzusichern hatte.
Sechs
In eurem Bunde der Dritte
Mit Gorkis Absetzbewegung aus Sowjetrussland im Jahre 1921 begann die zweite Operation Gorki der jungen sowjetischen Geheimpolizei Tscheka, später GPU, OGPU, NKWD. Es war einer der leitenden Funktionäre, der die Sache Gorki zu seiner eigenen gemacht hatte und der damit, sicher ohne es zu ahnen, sein eigenes Schicksal an das des Schriftstellers band.
Die Rede ist vom Genrich Jagoda (1891-1938). Der ehemalige jugendliche Anarcho Kommunist war seit 1917 Mitglied der Bolschewiki und ab 1920 bei der Tscheka. Er stieg dort steil auf, war seit 1923 Erster stellvertretender Leiter der GPU/OGPU und schließlich ab dem 10. Juni 1934 Leiter der erneut, diesmal in NKWD umbenannten StaatssicherheitsBehörde. Ab dem 26.November 1935 trug er den schmückenden Titel eines Generalkommissars der Staatssicherheit.
Jagoda entwickelte frühzeitig einen glasklaren Plan zum Schutze der Sowjetherrschaft. Hierzu gehörte es, Russland-Flüchtlinge zu System-Bekennern umzudrehen. Die Notwendigkeit hierfür entsprang der Tatsache, dass Hunderttausende, die Russland nach der Revolution und im Bürgerkrieg fluchtartig den Rücken kehrten, über die Sowjet-Herrschaft nichts Gutes zu berichten wussten. Vor allem die Aussagen über Massenerschießungen, Enteignungen, Massenelend, Seuchen und Hungersnöte wirkten nicht eben anziehend. So kam es darauf an, wenigstens die eine oder andere Gegenstimme von einigem Gewicht zu gewinnen, besonders wenn sie im westlichen Ausland zu hören und der Sprecher prominent und scheinbar unpolitisch war. Es nimmt also nicht wunder, dass die Tscheka-GPU bei Gorki ansetzte.
Der Mann, der jetzt sein Meisterstück zu erbringen hatte, war der soeben bereits ins Bild getretene Neubolschewik Peter Krjutschkow. Er war ein Freund Gorkis. Dass er dessen Frau quasi geerbt hatte, tat dem Verhältnis der beiden keinen Abbruch. Zudem saß Krjutschkow in Berlin genau an der richtigen Stelle, um dem Schriftsteller zu umgarnen. Er hatte das Geld und schuf die Verbindungen, damit Gorkis Geschäfte auch fürderhin blühen konnten. Krjutschkow tat, was er konnte, und das war wirklich enorm. Ich bezweifle, dass Gorki ahnte, was mit dem Geld passierte, dass er im Auftrag der Komintern heimlich in bar von Moskau nach Berlin transportierte. Auch zweifle ich, ob er eins und eins zusammenzählte, wenn er all die prächtigen Einladungen und Publikationsaufträge erhielt und annahm, um mündlich oder gedruckt vom Ruhme Moskaus vor den Ohren naiver Intellektueller zu künden. Er tat’s und nicht zu seinem Nachteil
Sieben
Finale in Moskau
Im Jahre 1928 gelang es Krjutschkow, seinen angeblichen Freund Gorki nach Russland zurück zu locken. In Moskau würde er alles haben, was er zum Leben und Dichten brauchte, einschließlich einer Villa mit dem nötigem Personal und einem erstklassigen Sekretär, nämlich ihm selbst. Es hat nicht an Warnungen gefehlt, Gorki solle sich auf die Einflüsterungen von Krjutschkow nicht einlassen. So vom polnisch-stämmigen Alt-Bolschewiken und Lenin-Vertrauten Mieczyslaw Kozłowski (1867-1927). Dem erteilte Gorki eine rüde Abfuhr, indem er dem vorgeblichen Freund Krjutschkow eine makellose Gesinnung attestierte und zu dem Warner jeglichen Kontakt abbrach. Dass dieser kurz drauf im Alter von 60 Jahren plötzlich und unerwartet starb, will ich zumindest erwähnt haben.
Es ist nicht glaubwürdig überliefert, was genau den Rückholplan auslöste, noch warum Gorki hierauf einging. Zwei Antworten erscheinen mir möglich. Der mittlerweile – nach der Austreibung seines Erzrivalen Trotzki – nahezu fest im Sattel sitzende Stalin, wollte durch den prominenten Gorki im Ausland kein unnützes Risiko mit einem unabhängigen Geist und potenziellen Trotzki-Unterstützer eingehen, sondern den Mann räumlich und körperlich unter Kontrolle bringen. Und dieser ging darauf ein, weil er als Sechzigjähriger das Wanderleben satt hatte.
Gorki wird sich allerdings kaum vorgestellt haben, dass das Moskauer Domizil ein Leben im Goldenen Käfig werden würde. Denn genau das wurde es. Gorki war dicht von Mitarbeitern der Geheimpolizei umstellt, die seinen Besucher- und Postverkehr streng überwachten. Und schlimmer noch: Der Hauptüberwachungs- und Lenkungs-Spitzel an seiner Seite war sein angeblicher Freund Krjutschkow. Der wohnte mit Familie auf dem Gorki-Anwesen. Aus seinem Arbeitszimmer führte ein direkter Telefondraht zum Leiter der Staatssicherheit. Von Zeit zu Zeit wurde er zudem von Stalin vorgeladen, der sich unter vier Augen Bericht erstatten ließ. Ein Bild aus diesen Tagen zeigt Gorki Seit an Seit mit Krjutschkow und mit dessen Vorgesetzten, dem damals noch stellvertretenden Chef der Geheimpolizei Genrich Jagoda. Als
die Aufnahme 1933 entstand, waren die Tage der angeblichen Freunde gezählt.
Auch nach seiner Ernennung zum Generalkommissar des NKWD blieb Genrich Jagoda dicht an Gorkis Seite. Ein ziemlich finsteres Foto zeigt die beiden im Jahre 1935. Es erweckt nicht den Eindruck, als sei dem Dichter diese Begleitung angenehm. Aber wir wollen die Szene nicht überinterpretieren. Das nächste sichere Datum ist der 18. Juni 1936. Das ist Gorkis Todestag.
Drei Monate später wurde Jagoda als Chef der Staatssicherheit abgesetzt – einfach so. Nach Gorki Tod wollten die Gerüchte nicht verstummen, dass der Mann ermordet worden sei. Zuzutrauen wäre es den uns bekannten Beteiligten allemal. Dass in einem solchen Fall der Befehl von Stalin kam, halte ich für sicher. Sein Motiv: Gorkis Villa war in Moskau ein gesuchter Treffpunkt der sowjetischen Kulturniki. Auch Chef Stalin lenkte nur zu gerne seine Schritte dorthin, um sich in angeblich zwangloser Umgebung als Kunst-Mäzen ein bisschen feiern zu lassen. Doch nur ein einziger gab sich, wenn Stalin anwesend war, zwanglos. Das war Gorki. Bei solchen Gelegenheiten soll er sich in einer Weise geäußert haben, dass die übrigen anwesenden Kultur-Schranzen sich am liebsten in Mauselöcher verkrochen hätten. Stalin war nicht der Mann, derartige Insubordinationen hinzunehmen. So einfach erklärt sich die Sache, falls Gorki tatsächlich einer Mörderhand zum Oper fiel. Wie auch immer: Für die Leichtgläubigen gab’s ein prunkvolles Gorki-Begängnis.
Für Jagoda und Krjutschkow galten andere Maßstäbe: Beide starben am 15. März 1938, hinterrücks erschossen auf dem Truppenübungsplatz Butowo bei Moskau. Auf diese Weise wurden sie als angebliche Verschwörer nach dem 3. Moskauer Schauprozess hingerichtet, devot beklatscht von den Kräften des Fortschritts in Ost und West.
Zurück zum Start: Die ganze hier erzählte Geschichte hätte so nicht stattfinden können, wenn sie nicht von der Schauspielerin Maria Andrejewa eingefädelt und befördert worden wäre. Was wurde aus ihr? Sie starb – es wird gesagt: völlig verarmt – 1953 in Moskau. Mura Budberg erging es entschieden besser: Nachdem Gorki nicht mehr aus Russland raus durfte, trennte sie sich 1933 endgültig von ihm und zog nach London – ins Nachbarhaus von H.G. Wells, der ihr 1946 bei seinem Tode ein beträchtliches Vermögen hinterließ. Sie starb 1974 in Italien.
©Helmut Roewer, Oktober 2023
Peschkow alias Gorki, der Bittere, war Pflichtliteratur sowohl an der EOS als auch im Studium. An der Schule sowohl auf Deutsch als auch Russisch.
Obwohl von den jeweiligen Lehrern hochgelobt, hat kaum ein Schüler Gorki je gelesen. Seine literarischen Ergüsse waren so uninteressant wie die von Nikolai Ostrowski. Propagandaliteratur.
Wir mußten von der Schule mal unter verschärftem Zwang „Die Mutter“ ansehen. Es war gruselig langweilig und uninteressant. Da brauchte man nach der verlorenen Zeit nicht zu suchen.
Gorki ist nicht auf die singulaere DDR-Pflichtlektuere „Die Mutter“ limitiert. Seine dreiteilige Autobiographie z.B. ist interessant und in jedem Fall Literatur, die diese Bezeichnung verdient..
@ Michael B.
Klar, wem es gefällt, für den ist es natürlich Literatur. Für mich bleibt’s Propaganda. Roewers Untersuchungen zur sind sehr akribisch und interessant. Und bestätigen meine Meinung zu Gorki. Mein Bauchgefühl zu diesem „Meister des sozialistischen Realismus“ hat mich nicht getäuscht
„Gefaellt“ ist kein Massstab fuer Literatur. Es gibt Schriftsteller die Meinungen vertreten, die zu 180 Grad von meiner verschieden sind und die Literatur ersten Grades verfassen. Rein inhaltlich waere im speziellen Fall zu begruenden, fuer wen Gorki z.B. in den von mir genannten Buechern (v.a.D. den beiden ersten) Propaganda betrieben hat. Das ist zeitlose Beschreibung des menschlichen Lebens, die aus den Umstaenden selbst gespeist wird. Keinerlei engere politische oder ideologische Ueberlagerung konnten diesen Kern zerstoeren. Gorkis Fehler zeigen sich gerade immer dort, wo er das mit Gewalt versucht hat. Dafuer ist „Die Mutter“ ein Paradebeispiel. Das ist aber lange nicht alles.
Unglaubliche Rechercheleistung. Aber nicht unglaublich.
Genau solche Zustände wünscht sich niemand. Oder?
Eine heiße Zeit, die erste Hälfte des 20. Jhdts.
Hoffentlich geht es nun nicht wieder los in diesem Umfang. Wackeln tuts ja schon an immer mehr Ecken.
– Was mich aber bzgl. Gorki noch interessieren würde: wie kam es zu seinem Durchbruch als Weltliterat mit dem „Nachtasyl“?
Danke für die spannende Recherche!
Ansonsten beschränkt sich die (höflich:) staatstragende Rolle vieler Intellektueller nicht auf die Sowjetunion.
Eigentlich gehört dieser Beitrag in die Schulbücher. Dort sind die Staatenlenker allesamt ehrgeizige Menschen, aber eben nicht verrückte, irrende mit reichlich Privatleben. Einzig August der Starke könnte sein Privatleben ins Geschichtsbuch bringen.
Ansonsten, als Wessi: Maxim Gorki kennt hier niemand. Vielleicht ein paar Theaterbegeisterte. Schüler hatten und haben das nicht gehabt.