Die Medien haben schon immer geschnarcht
Die Pessimisten vermuten, daß früher alles besser war und das Westfernsehen der 70er und 80er wird etwas über den Klee gelobt. Wenn man sich ältere Ausgaben der Tagesschau ansieht, oder in Zeitungsarchiven stöbert, kommt schnell die Erkenntnis, daß die Medienwelt auch vor Jahrzehnten nur die eigene Agenda abspulte und wirklich alles andere als neugierig war. Bereits der Geh. Rath v. Goethe geißelte die Defizite: „Sag mir, warum dich keine Zeitung freut? Ich liebe sie nicht, sie dienen der Zeit.“
Ein besonders aufschlußreiches Kapitel des journalistischen Autismus war die Zeit zwischen August und November 1989, als die Medien sich angesichts eines im Wochentakt kollabierenden Nachbarstaats in einem Dornröschenschlaf befanden und immer wieder überrascht wurden. Der Paukenschlag, der die berichtende Zunft eigentlich hätte wecken müssen, erfolgte am 19. August 1989, als etwa 400 Landeskinder bei Sopronköhida über die Grenze rannten. Das hatte massive Auswirkungen auf das Ansehen der Partei. Der Kaiser stand plötzlich nackt vor dem Volk, die normalen Leute bis in die Partei hinein rechneten mit dem totalen Zusammenbruch der usurpierten Macht binnen Wochen.
Die Westmedien hatten ihre Korrespondenten im Osten: Brüssau und Schmitz für das ZDF, Börner, Heber und Hauptmann für ARD, Mehner vertrat den SPIEGEL, Hinze die Alpenprawda usw. Sicher, sie fuhren manchmal nach Leipzig und filmten im Dissidenten- und Antragstellermilieu. Ihnen entging allerdings, was an der Basis, also in der normalen Bevölkerung gedacht und gemacht wurde. Selbst als sich die Massen nach Prag und Budapest in Bewegung setzten erkannten sie noch nicht die Tragweite. Ab Oktober gingen die Leute zu Tausenden demonstrieren, was als ein laues Lüftchen der Reform mißdeutet wurde. Da mag der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein, denn die tonangebenden Pseudoeliten im Westen hingen an der Nadel der Zweistaatlichkeit und sahen die Zone als legitime Bestrafung für den WK II. Der Umbruch in Osteuropa war eine narzißtische Kränkung für sie, die sie nie verwunden haben.
Skurril und symptomatisch war ein SPIEGEL-Bericht vom 1. Oktober 1989 über die wieder aufgenommenen Gespräche zwischen SPD und SED. Der Dresdner Bonze Modrow war nach Stuttgart gereist und wurde vom SPIEGEL zum Gorbatschow aufgeblasen: „Nicht wenige im Westen, aber auch im Osten würden den 61jährigen, der seit langem mit den Etiketten »Reformer« und »Hoffnungsträger« der SED behaftet ist, nur zu gern als Kronzeugen gegen die Betonköpfe in der DDR-Führung sehen.“
Der SPIEGEL log sich zurecht, wie beliebt Modrow im Volk wäre: „Mag sein, daß den Oberen in Ost-Berlin Modrows Lebensstil nicht paßt, der ihn fast zum Paradiesvogel unter den SED-Führern macht: Der Mann aus Dresden liebt das einfache Leben. Seit seinem Dienstantritt in Sachsen weigert er sich beharrlich, in die SEDeigene Dienstvilla einzuziehen; erst kürzlich hat er mit den Mitbewohnern seines Mietshauses ein Fest gefeiert.
Der Funktionär mit dem Dienst-Citroen fährt privat einen russischen Lada und ist stolz darauf, seine »Autofahrer-Karriere« mit einem Trabi begonnen zu haben. Und während viele seiner Funktionärskollegen ohne separate Devisen-Läden mit westlichem Überflußangebot nicht leben können, sind er oder seine Frau eher in der »Kaufhalle« zu finden. Soviel Bescheidenheit kommt an im DDR-Volke.“
Die Journalisten und die SPD-Gastgeber hatten überhaupt nicht begriffen, daß sie die Geister der vergangenen Weihnachten eingeladen hatten, daß sie mit gerupften Zombies verhandelten: Dieter Spöri, SPD-Oppositionschef in Stuttgart, sagt den Abgrenzern in seiner Partei deutlich: »Die Formel ,Wandel durch Abstand‘ widerspricht den Interessen der Menschen.« Modrow erklärte seinen schwäbischen Genossen, die Massenflucht über Ungarn sei ein »inszeniertes Abwerbekomplott« der Bundesrepublik gewesen, und die müssen das wohl geglaubt haben, zumindest ein bißchen.
Ein einziger Korrespondent mit prophetischer Gabe berichtete Joachim Jauer am 2. Mai 1989 über den Abbau der Grenzanlagen durch ungarische Grenztruppen. „Heute endet hier an dieser Stelle die vierzigjährige Teilung Europas in Ost und West. Dies wird unabsehbare Folgen haben – für Europa, für die Deutschen in der Bundesrepublik und insbesondere in der DDR.“ Na, es geht doch.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Wunsch um Wünsche zu erlangen, schaue nach dem Glanze dort! Leise bist du nur umfangen, Schlaf ist Schale, wirf sie fort!“ (Geh. Rath v. Goethe, 1831)
Ich erinnere mich noch heftig an die Zeit 9.11.89 ff, als die Zeitungen bei Druck schon Altpapier waren, weil alles bereits längst überholt war, was sie berichteten. Das Radio kam noch einigermaßen nach, konnte zumindest die Fußgängerstaus auf den größeren Straßen ansagen („nehmen Sie kein Fahrrad mit zum Kudamm, da sind die Fußgänger so dicht, Sie bleiben mit dem Fahrrad überall hängen.“), das wars dann aber auch. Dafür gab es einen plötzlichen Massenbedarf an Stadtplänen…
Diese ersten Monate waren die entscheidenden, aber kaum hör- und sichtbaren.
Dort wurden sämtliche Schäfchen ins Trockene gebracht in der Zone wie im Westen.
Dort verschwanden die SED-Milliarden, wo heute wohl nur noch Bartsch (damals Schatzmeister) und Gysi (Chef) der PDS und deren Profiteure darüber bescheid wissen.
Dort verschwanden im Schredder oder verschiedenen Geheimdinstarchiven wichtig Akten und Dokumente.
Vergleichbar mit der Jelzin-Phase in Russland, nur eben kürzer.
Die „unabsehbaren Folgen“ des Herrn Jauer sind eingetreten, wollen die Restdeutschen aber bis heute nicht wahrhaben: sie wollen die D-Mark, besser noch die Goldmark zurück und wähnen sich ein grosses Reich, jeder ein HErr.
Realiter bleiben ein paar silberne Blechlöffel, wie es in dem Lied von Sabinchen heisst. Es gibt ja nicht mal mehr einen Schuhmacher in Treuenbrietzen, siehe Gogel!
Mir war durch vier Besuche in die Ostzone klar geworden, dass die Staatstheorie zwar jedem geläufig war, aber niemand daran glaubte. Wer eine Chance hatte, unbeobachtet mit mir zu sprechen, z.B. im Trabbi, sagte klar: Das wird nie was.
Die SED hatte es also nur geschafft, die Leute zu Lippenbekenntnissen zu zwingen. Sie hatte weder die Köpfe, noch die Herzen erobert.
Die Menschen waren müde von der Heuchelei.
Unklar war aber, was der Russe machen würde. Wieder Prag 68, Ungarn 56?
Daher: Mir aus dem Westen war klar, dass es sich im Osten stark ändern würde. Ich persönlich dachte aber eher an einen Militärputsch, nicht an eine einfach so Grenzöffnung.
Nach der Öffnung war mir aber klar: Zwei deutsche Staaten wird es nicht geben wenn die Grenze offen bleiben soll. Und mir war klar, wer das wollte, war ein realitätsferner Depp. Das war so etwas wie der lackmus Test für Politiker. Hier zeigte sich, wer sich die Situation angeschaut hatte, oder wer nur Phrase dreschen konnte.
Ich hatte 1975 das zweifelhafte Vergnügen, mir als Wessi das Arbeiter- und Bauernparadies mal zwei Wochen auf dem platten Land von innen anzusehen (Mansfelder Land) und mit jeder Menge Eingeborener zu reden. Darum habe ich mich sehr gewundert, dass der Laden überhaupt bis Ende 1989 existiert hat.
Aus MM von gestern
Von „tischtennisgroßen Hagelkörnern“ sprechen einige Anwohner im Gespräch mit der Heimatzeitung. Zwar habe das Unwetter nur rund zehn Minuten gedauert, aber dabei verheerenden Schaden angerichtet. „Fast alle Solaranlagen in Habach sind hinüber“, erzählt Peter Lang .
So geht es auch….
Ich muss widersprechen:
1. Die (westdeutschen) Leit-Medien waren nicht immer so, wie sie heute sind. Es gab linke Meinungen und Kommentare und es gab „rechte“ (konservative) Beiträge. Die ARD stand etwas mehr zur SPD, die zu Helmut Schmidts Zeiten „rechter“ war als die CSU heute und das ZDF stand etwas mehr hinter der Union. Bei Sabine Christiansen wurde noch kein rotgrüner Einheitsmeinungsbrei serviert, sondern es kamen auch noch intelligente Menschen (Karl-Olaf Henkel, Lothar Späth) zu Wort.
Meiner Meinung nach waren die 80er und 90er Jahre, auch und gerade medienpolitisch, um Lichtjahre besser (demokratischer und freier) als heute, wo die totalitären Tendenzen nicht mehr zu übersehen sind.
2. Die Zeit vom Spätsommer 1989 bis zum Frühjahr 1990 (1. freie Wahlen in der Zone) war eine hochspannende Zeit täglicher(!) Veränderungen.
NIEMAND konnte sich Ende September 1989 vorstellen, dass die DDR bald nur noch Geschichte sein wird.
Ich erinnere mich sehr gut an eine Diskussion im Studentenclub im September 1989, als wir (technische Studenten in der DDR) in Hans Modrow einen Hoffnungsträger sahen, ihm aber keine realistischen Chancen einräumten, die alten Männer abzulösen.
Dann ging alles Schlag auf Schlag: Die neuen Hoffnungsträger hießen erst Bärbel Bohley und dann Helmut Kohl.
Das war aber am 1. Oktober 1989 noch nahezu undenkbar.
Viele Jahre später wurde dann Merkel, Tochter eines roten Pastors, West-Reisekader (Wie linientreu musste man dafür sein ?!) und „Kohls Mädchen“, zur „Herrscherin des Unrechts“: Ein Treppenwitz der Geschichte und eine Tragödie für Deutschland.
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Sehr sehenswert ist das Zeitdokument (Yotube) der Bundestagssitzung, in der die Nachricht des Mauerfalls frisch hereinkommt und ein „Hinterbänkler“ die Nationalhymne anstimmt. Besonders das Verhalten der antideutschen Grünen ist interessant.
Die Grünen waren schon damals so wie heute, nur noch nicht so mächtig, aber die anderen Parteien und die Medien waren noch mehr oder weniger „normal“.