Psychologie herrscht in der Planwirtschaft
„Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen!“, hatte Honecker auf dem 10. Parteitag der SED verkündigt. Die Werktätigen nahmens wörtlich. Der kleine Trabant-Anhänger hieß im Volksmund „Klaufix“. Freitags kamen viele Bauarbeiter mit ihrem Hänger auf Baustelle. „Freitag ab Eins macht jeder seins“.
Aber auch die Betriebsleiter hatten ihre Techniken, um die Plankommissionen irrezuführen. Viele Materialien wurden durch komplexe Dreiecksgeschäfte, Korruption und vor allem Betrug besorgt. Meine Chefs bauten dem Forst ein Forsthaus und dem Holzhandel eine Halle – alles aus von der Bezirksplankommission ergaunerten Materialien – und bekamen dafür Bauholz. Eine Brigade wurde nach Cottbus ins Keramikwerk geschickt und dafür kamen zwei Waggons voll Steinzeugrohre. Ein Teil davon wurde wiederum für das Schmieren von Funktionären abgezweigt. Wichtig waren diejenigen, die Baugenehmigungen erteilten, so eine Halle für den Holzhandel mußte ja auch genehmigt werden. Der Bauleiter, der die Arbeiten in Privatobjekten betreute, hieß im Volksmund „Schweinebacke“. Aus ihm war kein Wort herauszubekommen. Trotzdem wußte jeder, daß dem Bauaufsichtler die Garage gefliest worden war.
Nun werden solche Erfahrungen mit dem Sozialismus wieder Gold wert, denn die Planwirtschaft breitet sich rasant aus. Wehe dem, der untalentiert ist Ich erwähne mal drei Standardsituationen für den Anfänger.
Einmal brauchte ich Dreviertel-Zoll-Wasserohre für die Installation in meinem Haus. Bei der AGP Metall in der Weimarer Rießnerstraße wurde ich mit meinem frivolen Wunsch abgefertigt. Ich ging nicht wütend nach Haus, sondern stellte mich gottergeben unter einen Schatten spendenden Baum neben das verrostete Eingangstor. Die Blätter wedelten im Wind und spendeten abwechselnd Licht und Schatten. Alles sah romantiktechnisch sehr gut aus und ich fühlte mich keineswegs schlecht. Nach fünf Minuten stand eine alte runzlige Hexe neben mir und fragte wie in Grimms Märchen nach meinem Begehr. Sie führte mich zu einem Holzhaus (!) in der Buttelstedter Straße in ihren Keller, wo mehrere hundert Meter Rohr lagen. Problem gelöst.
Ein anderes mal war ich auf der Suche nach einem Sägegatter. Bei drei Betrieben war ich als Bittsteller schon durchgefallen und schnöde abgewiesen worden, und nun stand ich vor dem vierten und letzten. Am Eingang stand ein Schild: „Für Holzwerber Nachfrage zwecklos.“ Sofort begann das Flämmchen der Hoffnung in mir zu glimmen und ich ging mit der Vermutung hinein, daß da jemand saß, der nicht Nein sagen konnte. Ich hatte mich nicht getäuscht. Wir machten einen Deal: Ich wechselte als Ingenieur in seinen Betrieb und bekam meine Baumstämme zu Kantholz und Dachlatten gesägt.
Für einen Hauskauf brauchte ich auf Wunsch der Bürgermeistern zwei Wohnungen, ich hatte zum Tausch aber nur eine. Finde die Stecknadel im Heuhaufen! Ich beschloß in Weimar-West in eine Wohnscheibe an den Fahrstuhl zu gehen, denn da war immer Betrieb. Der Allererste und Einzige, den ich ansprach, war ein harter Trinker, der mit seiner Freundin zusammenziehen wollte und deshalb zwei Wohnungen hatte. Ohne Gottes Hilfe geht in der Planwirtschaft garnichts.
Auch in der Parallelwelt von Märchenrobert sind alle Dinge irgendwie lösbar, blos nicht gerade effizient. Statt Geld spielt Psychologie und Schauspieltalent eine große Rolle.
Das schlimmste Schmierentheater habe ich 1988 gespielt, um ein paar sandgelbe Keramikfliesen 15 x 15 zu erlangen. Sie wurden nur an Bauern aus dem Kreis Jena-Land verkauft, aber ich war aus dem Kreis Weimar-Land. Ich hatte mich als Landwirt mit löchriger Wattejacke, Gummistiefeln und Feldmütze verkleidet, war unrasiert und sprach sehr undeutlich mit Fistelstimme. Als befehlsgewohnter Feldbrigadier wäre ich nicht durchgegangen, aber als trotteliger Traktorist war ich authentisch. In meinem Ausweis war der Wohnort Mechelroda handschriftlich und leicht unleserlich eingetragen und im Kreis Jena gab es einen Ort namens Münchenroda. Als mich die Kassiern nach meinem Ausweis fragte nuschelte ich was von Münchenroda, sie guckte nur oberflächlich und fiel auf das Theater rein. Als ich die Fliesen eingeladen hatte, bekam ich erst mal einen Lachkrampf. Am Nachmittag war Versammlung der Brigadiere und Baustellenmeister, ich erzählte den Schmarrn und war der Held des Tages.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Wer sich nur selbst spielen kann, ist kein Schauspieler.“ (Geh. Rath v. Goethe)
Ich glaube, das war eine der vielen Ulbricht-Weisheiten !
Ich vermute, dass es bei den Zertifizierungen fürs Lieferkettengesetz und nach den ESG-Kriterien in etwa so zugeht. Schade, dass ich da nicht sitze, um die Gefälligkeiten der Bittsteller anzunehmen. Die gleichen Leute, die Geldwäsche bekämpfen, werden sie hier für sich und ihre Freunde selbst anwenden müssen. Gut, dass sie sich auskennen.
Gibt es schon „Beratungsfirmen“, die kleine und mittelständische Unternehmen durch den Lieferkettengesetz-Dschungel führen? Dort werden auch Experten in „Gefälligkeiten-Anbieten“ sitzen. So wie in Südamerika, wo einen die „Berater“ durch den Behörden-Albtraum führen, die genau wissen, wie hoch der übliche Bestechungstarif für welche Leistung ist und auf welchem Wege man das üblicherweise durchführt.
So konstruiert man eine Wirtschaft, in der ohne illegale Tätigkeit alles zusammenbricht. Gleichzeitig wird es niemanden von Bedeutung mehr geben, den man nicht dadurch in der Hand hat, dass man ihm mit einer rechtlichen Untersuchung droht. Das Leben wird ärmer, aber auch aufregender!
So einfach ist es nicht ganz.
Schattenwirtschaft war in der Planwirtschaft, ohne wesentliches Finanzamt, kaum Selbständige, keine grossartige Geldwirtschaft, Offenlegungspflichten pp, doch wohl einfacher. Selbst der in der Wolle gefärbte IM brauchte mal was.
Heute gibt es zu jeder mengenmässigen Buchung auch eine wertmässige, ich erinnere an die Registrierkassenkontrolle. Unsere lokalen Einzelhändler haben das mehrfach im Jahr; die Rhein-Neckar-Region ist eben ein Touristenziel, da vermutet das Finanzamt standardmässig Unterschleif mit Dollares oder Yen etc.
Obwohl ich zustimmend sagen muss: die Baubranche braucht den Vergleich mit der DDR nicht zu scheuen – es ist eine geschlossene Gesellschaft, wenn auch der Zoll mal den einen oder anderen pro forma drischt, bleibt es doch Cosa Nostra (Spackasse, Gemeinde, Architekt, Ausführende, neuerdings auch Bio- und Archäologen, falls ein Juchtenkäfer oder eine Römervilla leider, leider zu einer Verzehnfachung der Kosten führen), Man sieht ja, wie dieser ehrenwerte Klub sogar die Deutsche Bank wieder aus der Immofinanzierung rauskicken konnte, da nützte auch die Ackermann-Sause im Kanzleramt nix.
Die Wessis sind viel zu staatstreu um überhaupt an so was zu denken.
Wenn der Staat sagt, bleibt zu Hause, dann tun sie das. Der Staat, den wir demokratisch gewählt haben, sorgt sich um uns. Wer etwas verbotenes tut, schadet der Gemeinschaft.
Bitte nicht vergessen: Die Wessis kennen das Lied der Partei nicht. Die Partei die Partei die hat immer Recht….
Nein, was der Staat tut ist gut.
Amen.
Doch, ich kenne das Lied, ich kenne Fam. Findig, den Genossen Volkspolizisten, das Kindersprecherensemble und die ganze – verglichen mit heute – hervorragend gemachte Propaganda.
Aus irgendwelchen Gründen lag Ostwestfalen mitten im sowjetzonalen Sendestrahlengang.
Und die Verwandtschaft schickte Holzspielzeug aus Thale.
Dann wird es sich wohl um das östlichste Ostwestfalen aller Zeiten gehandelt haben. Von dort war es ja nur noch ein Katzensprung zum Zonenrandgebiet.
Nichtsdestoweniger bekommen Sie natürlich für Ihr nachträgliches Lob hinsichtlich der damaligen Marketing-Bemühungen der bislang wirklich einzigen, deutschen Demokratie den ‚Vaterländischen Verdienstorden‘.
Ja, ich weiß, die Ehrung klingt krass sowjetisch. War es natürlich auch, und ist augenscheinlich immer noch der Sehnsuchtsort für viele.
Was ist denn aber ihr Sehnsuchtsort, werter Mitforist?
Vielleicht der Ort, wo ich Ihrer dystopischen Aura nie in Natura gegenübertrete?
Der Russlandvernichter redet von Dystopie – erstaunlich. Na, in ihrem imaginierten „Resort“ werden wir uns sicher nie begegnen.
„Russlandvernichter“, stark!
Ich würde ja Graduierung etwas dosierter einsetzen, denken Sie an die Eskalationsdominanz.
Und ich denke nicht, der Russe braucht äußere Katalysatoren, der schafft das ganz allein.
Da sind die Ossis, die Russen , eigentlich alle östlich des eisernen, inzwischen Gedankenvorhangs anders gestrickt.
Die haben mit dem Staat nichts am Hut, nur da, wo es unvermeidlich ist.
Da das meiste, was der „Staat“ gegenüber seinen Bürgern derzeit veranstaltet, vermeidlich ist, wäre also auch auf der anderen Seite weniger Hoffnung auf „den Staat“ nicht nur angebracht, sondern existentiell.
„…hieß im Volksmund „Klaufix“.“
Heißt er immer noch, ist i.d.R. oft noch im Originalzustand und sein Verwendungszweck bis heute der gleiche.
Der damalige Leiter des regionalen Dienstleistungskombinats hatte eine überdurchschnittlich hohe Quote sowohl an verwahrten Baumaterialien und Ersatzteilen als auch an wechselnden Sexualpartnerinnen.