Wo ist Deutschland Rußland eigentlich noch überlegen?

Ich habe russischen Boden nie betreten, meine Kenntnisse über das Land sind gering. Meine Freundin hat es mal bis Leningrad geschafft. Was die Leute betrifft, kann ich schon mehr mitreden, ich habe sieben Jahre unmittelbar neben Russen und Tartaren gewohnt, die von Zeit zu Zeit ausgewechselt wurden und wieder nach Rußland zurückmußten.

Schon damals fiel mir die Diskrepanz zwischen abstrakter Heimatliebe und nationalem Selbstbewußtsein einerseits und andererseits der regelrechten Verzweiflung auf, wenn der Rückfahrtbefehl auf dem Tisch lag. 1990 und davor gab es keine Frage: Deutschland war Rußland abgesehen von den Kernwaffen und der Bevölkerungszahl in allen Belangen überlegen. Das blieb auch so, bis Dr. M. ans Ruder kam.

Wirtschaft

Durch den Besitz von vier Aktien mußte ich mich mit der Industriekultur in Rußland beschäftigen. Dabei fiel mir ein patriarchalisches Verhältnis der Oligarchen zu Putin auf. Die Betriebe – auch die größeren – gehen an der kurzen Leine. Der Kreml kann ihnen das Leben schwer machen, wenn sie nicht spuren, besonders über die Finanzverwaltung und die Justiz, die zentralen Einflüssen gehorchen. Wir finden hier eine jahrhundertealte Obrigkeitskulisse, die noch von dem handfertigen Sklaven Iwan Kalita und Iwan dem Schrecklichen herrührt und in der Sowjetzeit weiter zugespitzt wurde. Verglichen mit alten Zeiten haben die CEOs heutzutage mehr Handlungsspielraum, die kleinste Abweichung vom kaiserlichen Willen ist nicht mehr verderblich. Seit 1990 hat es viele Lockerungen gegeben.

Die deutsche Volkswirtschaft ist derweilen immer mehr ins bürokratische Korsett der Planwirtschaft gezwungen worden. Das ging mit EU-Gängelungen wie DIN ISO 9001 los und hat inzwischen mit der Abschaltung der Kernkraftwerke und weiteren energiewirtschaftlichen und lufttechnischen Ukasen einen vorläufigen Gipfelpunkt erreicht. Das Lieferkettengesetz ist aus der Baureihe des Ariernachweises. Eine ehrliche Regierung würde den Außenhandel einfach verbieten, die Ampel geht den Umweg der Auslagerung des Risikos an Betriebe, die nicht die Kanonenboote und Kampfhubschrauber haben, um vom Ausland umfassende und prüfbare Auskünfte zu erlangen.

An dieser Stelle eine despektierliche Bemerkung wie solche Nachweise funktionieren: Meine Familie hat ihre Wurzeln in Loitz, das zum Herzogtum Pommern gehörte. Die Herzöge hießen Wartislaw, Bogislaw, Kasimir und Wizlaw, die Untertanen waren auch nicht alle Germanen. Prabel heißt zum Beispiel in der damaligen Landessprache was mit Strohballen. In den 30ern war seitens der Zivilgesellschaft der Ariernachweis erwünscht. Der fitten Großmutter fiel ein, daß Nobel sich so ähnlich anhört wie Prabel. Sie behauptete von Schweden abzustammen und das wurde ihr auf Grund eines selbst gemalten Stammbaums (ohne beglaubigte Auszuge aus Kirchenbüchern) von den NGOs unbesehen geglaubt, weil es in die damals erwünschten Narrative wunderbar hineinpaßte. Es wollte auch niemand aus der Familie beim Staat ein Genosse Wichtig werden, so daß das wie bei Relotius glatt durchging.

Ich kalkuliere, von der Qualität werden auch die Lieferkettennachweise sein. Ab und und zu wird es ein Unternehmen vor Gericht erwischen. Wer etwas sehr Arbeitsteiliges herstellt, sollte Deutschland lieber aufgeben.

Auch die deutschen Firmen gehen mittlerweile wie die russischen an der kurzen Leine, in einigen Belangen mit juristischem Mehraufwand (ESG-Regeln) ist sie deutlich kürzer.

Freiheitsrechte

Der Kóronahusten hat gezeigt, daß Rußland etwas liberaler ist, als beispielsweise Deutschland. Ekaterina Quehl schrieb 2021 über Kórona in Rußland:

„Besonders bemerkenswert finde ich das Gespür meiner Landsleute – und das habe ich natürlich auch – für das Absurde. Regeln hin oder her, sobald sie aber ins Absurde gehen – in Deutschland gibt es da aktuell unzählige –, lachen wir darüber und ziehen eine innere Bremse, was deren Einhaltung angeht. Und das weiß auch die russische Regierung. Deshalb geht sie nur bis zu einer gewissen Grenze, was staatliche Regulierung persönlicher Freiheiten angeht – aktuell betrifft es besonders die coronabedingten Einschränkungen. Und sie weiß ganz genau: Ab einer gewissen Grenze fangen Russen wieder an, ihre Überlebenskünste zum Erhalt persönlicher Freiheiten anzuwenden, selbst wenn dies Illegalität bedeutet.

Und so leben das Volk und die Regierung in einer stillschweigenden Übereinkunft, dass beide Seiten eine gewisse Grenze im Miteinander nicht überschreiten dürfen. Sicher ist es keine gute Lösung auf Dauer, sie sorgt aber für den Erhalt des gesunden Menschenverstands, welcher in Russland für ein entspanntes und nicht von Ängsten getriebenes Leben sorgt und im heutigen Deutschland eher als Störfaktor empfunden wird. Denn wenn man den gesunden Menschenverstand in Deutschland hat, landet man heute fast schon unausweichlich in einer Randgruppe, für die die Mehrheit so viele Namen hat: Coronaleugner, Querdenker, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und als universeller Oberbegriff für all diese Namen – Rechtsradikale.“

Es gab bei den Moskowitern auch Impfzwänge für verschiedene Berufsgruppen, aber man durfte Schulen, Sportstätten, Geschäfte und Lokale ohne Schikanen betreten. Es gab keine Schulschließungen. Es wurden keine Omas von der Polizei zu Boden gebracht und keine Radfahrer brutal per Bodycheck vom Rad gestoßen, daß sie meterweit durch die Luft flogen. Gegen das strammstehende und geifernde Deutschland der alten Hexe und der Kartoffel ist Rußland relativ schluppig.

Medien

Rußland und Deutschland sind nicht die klassischen Länder der Medienvielfalt. Wir erinnern uns an die Anekdote, wo zwei Russen den Unterschied zwischen Prawda und Iswestija diskutieren. Auch der Unterschied zwischen ND und Volksarmee war nicht größer, ebensowenig wie der zwischen Stürmer und Völkischem Beobachter. Die russischen Medien sind auch heute noch relativ staatsnah, aber das sind die deutschen ja auch, wenn man mal von PB, PI, Jouwatch, EF und der Zellerzeitung absieht. Die Russen haben den Vorteil, daß es kein Zwangsfernsehen gibt.

Die Zensurmaßnahmen im Internet gleichen sich immer mehr an. Sowohl hie wie da fühlt sich die Regierung beleidigt, wenn sie kritisiert wird und versucht das zu kriminalisieren. Hier mit Hausdurchsuchungen und Anzeigen, dort mit Abschaltungen. Steinmeier, Schröder und Scholz hatten auf die eine oder andere Art Gefallen an Rußland gefunden, warum sollte das heute anders sein? Gleich und gleich gesellt sich gern,

Man könnte noch weitere Themen antippen, die ersten drei Stichproben sind aber so verheerend, daß ich meinen neugierigen Lesern weitere Exkurse versparen möchte, um den dobry humor heut Abend nicht zu ruinieren.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Gleichnisse dürft ihr mir nicht verwehren, ich wüßte mich sonst nicht zu erklären.“ (Geh. Rath v. Goethe)