Rebellen zwischen zwei Deckeln
Einige Bemerkungen über Bücher mit biographischem Inhalt, ungewöhnliche Leute höchst unterschiedlicher Art betreffend von Helmut Roewer
In den folgenden Zeilen rezensiere ich vier Bücher, deren Schwerpunkt Biographisches ist, sei es durch Dritte notiert, sei es durch den Portraitierten selbst geschrieben. Es handelt sich a) um Antony Fauci, den US-amerikanischen Papst der Corona-Maßnahmen, dessen Autor Robert Kennedy jun. mindestens genauso von brennendem Interesse ist, wie der Beschriebene selbst, b) den AfDRebellen Hansjörg Müller mit seinem autobiographischen Text, c) um Hermann Budziskawski, einen fast in Vergessenheit geratenen Wendehals-Kommunisten der Extra-Klasse und schließlich d) um den sowjetischen Diplomaten Iwan Majskij.
Meine vier Texte können, je nach Interesse, einzeln gelesen werden, ohne dass der Leser den Überblick verliert.
Der Papst der Spritze und der Ketzer: Die Fauci-Biographie von Robert Kennedy
Robert F. Kennedy Jr.: Das wahre Gesicht des Dr. Fauci. Bill Gates, die Pharmaindustrie und der globale Krieg gegen Demokratie und Gesundheit. Rottenburg, Kopp Verlag, 2022, 864 Seiten, 29,99 €.
Dieses Buch ist eine Biographie des US-Amerikanischen Gesundheits-Spitzenfunktionärs Dr. Antony
Fauci. Dieser Eingangs-Satz ist nur im Wesentlichen zutreffend, denn er ist zu eng, weil das dickleibige Buch nicht nur diesen Mann selbst portraitiert, sondern auch das weltweite Geflecht der Pharmaindustrie und ihrer Protagonisten zum Gegenstand hat. Es schildert die mafiosen Strukturen der Pharma-Branche und deren Liebediener in Forschung und Verwaltung. An der Spitze des Komplotts gegen den Bürger stehe jener Antoni Fauci, jahrzehntelang ein ungekrönter König im Dschungel von Zuständigkeiten und Abhängigkeiten. Man braucht einen langen Atem, um das alles, was der Autor zusammengetragen hat, zur Kenntnis zu nehmen. Nützlich ist dem Leser ein bisschen Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse, um sich in den schier überbordenden Tatsachen zurechtzufinden. Auch ist die Übersetzung nicht immer über alle Zweifel erhaben: So bedeutet das amerikanische Wort protocol nicht Protokoll, sondern, in die deutschen Verhältnisse übertragen: Richtlinie, Handlungsanweisung, Regelwerk.
Doch das sind nur Kleinigkeiten, denn es ist kein Nachteil des Buches, dass man es hartnäckig lesen muss. Dann erfährt man die regelmäßig wohlbegründete Gegenposition zu allem, was dem Publikum in den letzten drei Jahren an Lügen über Corona zugemutet und an falschen Maßnahmen aufgebürdet worden ist. So liest man von den Aktionen der Pharma-Industrie über falsche Zahlen, abstruse Medizin-Experimente bis zur mutwilligen Manipulation der Öffentlichkeit – stets mit einem bösen Geist im Hintergrund namens Anthony Fauci, dem amerikanischen Wieler-DrostenLauterbach. Die dort im Buch getroffenen Folgerungen lassen sich ohne große Mühe auf die deutschen Verhältnisse überklappen.
Zur Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte von Kennedys Werk ist anzumerken, dass es bei uns zulande wenig beachtet wurde und schon gar nicht, was für ein Hammer die Veröffentlichung des Buches in den USA war. Sein Erscheinen läutete das Ende einer Ära ein, der des Antony Fauci. Noch am 17. Juli 2022 meldeten die Wahrheitsmedien, Faucis trotzige Ansage, er wolle bis zum Ende der Amtszeit von Biden bleiben. Das änderte sich bald. Am 23. August 2022 berichteten die deutschen Medien, Doktor Antoni Fauci, der 81-jährige Corona-Papst der USA, habe seinen Rücktritt als Chef des Nationalen Institut für Infektionskrankheiten (NIAID) zum Jahresende angekündigt. Aus der einschlägigen dpa-Meldung entnahm ich nichts als Lob.
Doch die Welt drehte sich weiter. Mitte Dezember 2022 schmiss der neue Twitter-Eigentümer Elon Musk nicht nur 90 Prozent der Belegschaft raus, sondern er veröffentlichte auch die Schlachten seiner Nun-nicht-mehr-Mitarbeiter gegen die Meinungsfreiheit und die Diffamierung von Andersdenkenden durch die Zusammenarbeit mit FBI und der Fauci-Behörde. Es ging um die Verbiegung der Wahrheit fast um jeden Preis. Seither beschäftigt sich der US-Kongress dank seiner neuen republikanischen Mehrheit mit den Angriffen von Fauci, Pharma & Co gegen das amerikanische Volk. Grundlage der Debatte ist das hier besprochene Buch.
Nun zum Autor: Robert Kennedy jun. ist in den Staaten ein bekannter Mann. Er ist, ganz so wie die prominente, gewaltsam zu Tode gekommene Verwandtschaft, ein Mitglied der Demokraten, von deren Mainstream-Kurs er um Meilen abweicht. Sein Fauci-Buch ist nicht die erste Attacke gegen den Sumpf in Washington DC. Vermutlich aber seine wirksamste.
Der Erfolg mag ihn bewogen haben, dass er vor wenigen Wochen seine Kandidatur für die kommende US-amerikanische Präsidenten-Wahl erklärt hat. So könnte er, falls er sich in den Vorwahlen gegen den Amtsinhaber durchzusetzen versteht, ein ernstzunehmender Konkurrent für den ebenfalls mit den Füßen scharrenden Ex-Präsidenten Trump werden. Mainstream schäumt. Als erstes hat ihn Instagram auf seiner Plattform gesperrt. Soviel Freiheit war nie.
Der Mann, der an die Macht der Vernunft glaubte: Die autobiografische Schrift vom Ex-MdB Hansjörg Müller
Hansjörg Müller: Scheindemokratie. Ex-Bundestagsabgeordneter der AfD kritisiert seine Partei konstruktiv und wirbt für ein neues, souveränes und menschliches politisches System. München, Anderwelt Verlag, 2022, 422 Seiten, 28,90 €.
Es scheint das unausweichliche Schicksal offener Gesellschaften zu sein, dass sie von geschlossenen Apparaten befallen werden, welche die Herrschaft zu übernehmen trachten. Sie fühlen sich von den Möglichkeiten, welche die offene Gesellschaft bietet, geradezu magisch angezogen. In unserm deutschen, einst demokratisch organisierten Staatswesen haben politische Parteien diese Rolle übernommen. Man sagt, dass sie Einfluss und Machtausübung unter sich aufgeteilt haben. Falls das so ist, nimmt es nicht wunder, wenn sie beim Auftreten von Konkurrenten den Schulterschluss üben, um die Neulinge vom Markt der Macht wieder zu verdrängen und von den Pfründen fernzuhalten.
In der Geschichte der Bundesrepublik hat es genau zwei Fälle gegeben, in denen die Neuen sich gegen die Etablierten behaupten konnten. Die Rede ist von den Grünen und von der AfD. Deren Erfolge beruhten auf einem erstaunlich ähnlichen Versprechen, nämlich die verkalkten Parteistrukturen aufzubrechen, um so der Wiederbelebung der offenen Gesellschaft zu dienen. Bei den Grünen erweist sich im Nachhinein das Angekündigte als eine dreiste Lüge, die AfD ist noch nicht im Zentrum der Macht angekommen. So müssen wir uns gedulden, denn es ist offenbar das Schicksal der Novizen, dass sie nach einer gewissen Schamfrist vom politischen Establishment aufgesogen werden. Bei den Grünen ist dies offensichtlich so, bei der AfD kann man es erwarten.
Die Symbiose von offener Gesellschaft und geschlossenen Apparaten ist, wie schon gesagt, ein Widerspruch in sich. Indessen: Verlässliche Nachrichten aus dem Innern der Apparate sind rar, es sei denn, einer entschließt sich zum Ausstieg und spricht über sein Erleben. Der Geschichts- und Machtforscher nimmt – wenn ihn seine Vorurteile denn nicht hindern – derartige Berichte mit skeptischer Neugierde zur Kenntnis – und denkt sich sein Teil. Was das hier besprochene Buch anbelangt, ist es dies: Hier hat einer etwas zu lange an die Möglichkeit geglaubt, dass das Innenleben einer Partei – zumal einer neuen, die sich auch noch darauf beruft – nach den Regeln der vernünftigen Auseinandersetzung funktioniere. Tut sie aber nicht. Das ist bei aller Verständlichkeit der Subjektivität von Müllers autobiographischem Bericht lesenswert. Seine Bemühungen, nach diesem Erleben ein funktionierendes System zu erdenken, sind es erst recht – ganz unabhängig von der Frage, ob man Müllers Ansätze für realisierbar hält oder nicht.
Der Mann, der seinem Land schadete, um von ihm zu profitierten: Hermann Budzislawski
Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Berlin, Aufbau 2022, 413 Seiten, 28 €.
Heutzutage steht es felsenfest: Der Journalist Buszislawski war ein Held des Widerstands gegen Hitler und sein Regime. Mir war das in dieser Simplizität nicht so klar, als ich mich vor Jahr und Tag mit ihm eher zufällig auseinandersetzte, als ich nämlich nach den Hinterleuten von US-Präsident Franklin Roosevelts anti-deutscher Politik der Kriegsprovokation in den späten 1930er Jahren suchte. Für den beabsichtigten Krieg gegen Deutschland galt es zunächst in der strikt anti-kriegerischen Bevölkerung in der USA und ihrer Gesetzgebungs-Körperschaften Mehrheiten zu organisieren.
An der Spitze der einschlägigen Propaganda stand die Journalistin Dorothy Thomson mit ihrer Radio-Sendung „Listen Hans“ (Hör zu Hans). Hintermann dieser eher recht allgemein informierten Dame war Hermann Budzislawski, ein deutscher jüdischer Emigrant, der sich in den USA auf diese Weise seinen Lebensunterhalt sicherte. Später war der zum Kommunismus konvertierte und mutmaßlich an Moskaus Leine geführte Mann den Amerikanern unbequem, und sie sorgten sich darum, ihn außer Landes zu bekommen. Sein Zielland wurde die DDR, wo er sogleich zu Ehren und Einkünften kam.
Hiervon handelt das hier besprochene Buch neben vielem anderen, was sonst noch das Leben dieses Chamäleon-haft auftretenden Journalisten ausmachte. Wie gesagt, mich hat seinerzeit der amerikanische Abschnitt in seinem Leben und seine gleichzeitig denkbare Anbindung an Moskau interessiert. Dieses Buch bietet manches mehr. Als wohltuend habe ich empfunden, dass der Autor den Helden seines Schreibfleißes nicht zum Wunder-Widerständler promoviert hat, sondern auf dem Boden der Tatsachen bleibt, wohltuend auch der Ton, in dem er das tut, vor allem auch was Budzislawskis Nachkriegskarriere in der DDR anlangt. Ein spätberufener Funktionär, aber alles in allem kein Mann, der besonders wichtig war.
Der Bolschewist im feinen Zwirn: Botschafter Iwan Michajlowitsch Majskij (Maiski)
Gabriel Gorodetsky (Hg.): Die Maiski Tagebücher. Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler 1932-1945. München, C.H. Beck, 2017, 896 Seiten, Ladenpreis aufgehoben.
Das Buch enthält die ins Englische und von dort ins Deutsche übersetzten Tagebücher des sowjetischen Spitzenfunktionärs Iwan Majskij (Майский – im Buch als „Maiski“ geschrieben) aus dessen Zeit als Botschafter in London (1932-43). Zudem sind umfangreiche Anmerkungen des Herausgebers beigegeben, zum erheblichen Teil auch in den Text eingestreut. Es mag sein, dass der eine oder andere Leser solcher Korsettstangen bedarf, allein mir fehlt der Glaube, denn wer zu diesem Buch greift, dürfte kaum zum ersten Mal von Stalin, seinen politischen Winkelzügen und seinen Säuberungen gehört haben. Als geradezu störend habe ich empfunden, dass Tagebuchtext und Kommentartext sich kaum gegeneinander abheben – ein schwaches Bild, um es einmal wörtlich zu nehmen.
Ansonsten aber, wenn man die Majskij-Texte sorgfältig liest, kommen bemerkenswerte Details ans Licht. Hier wird einer tätig, dem es im erstrebten Maße gelingt, das kommunistische System im monarchischen Imperium hoffähig zu machen. Majskij bedient sich hierbei eines erstaunlich gut funktionierenden Tricks: Er gibt den Weltbürger, der eine bedeutende Kunstsammlung zu besitzen scheint (oder auch tatsächlich besitzt, was der Kommentator des Buches offen lässt) und zu Ausstellungen lädt, in denen sich das feine und einflussreiche England trifft. Es ist die Macht des Scheins, der die Macht es Scheins beeindruckt.
Was Majskij politisch bewirkt haben mag, ist weniger deutlich. Für fragwürdig halte ich den SubTitel des im Beck-Verlag erschienenen deutschen Übersetzungs-Bandes: Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler. Gut, das mag die in diesem Verlagshaus geübte unkritische Zustimmung gegenüber der US-Sicht der Dinge sein, doch bei näherem Hinsehen schält sich eine Figur heraus, die – abgesehen von ihrem in England genossenen Wohlleben – nur eines am Herzen lag: das Fortkommen des Sowjet-Staates unter seinem Alleinherrscher Josef Stalin. Majskijs Einstellung gegenüber Deutschland war deswegen genauso ambivalent wie die der sowjetischen Staatsmacht, die er in Großbritannien loyal vertrat. Nach dem deutschen Angriff in Sommer 1941 tat er dann allerdings, was immer er vermochte, um britische Politiker zum Bündnis gegen Deutschland zu beeinflussen. Bei einigen trug er insofern Eulen nach Athen. An dieser Stelle will ich den Lesern vor den Bemerkungen von Briten über den Russen Majskij verschonen, sonst würde diese Rezension ein seitenlanger Essay.
Das Buch beleuchtet in einer interessanten Variante eine Reihe von Aspekten zu Vorgeschichte und Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Ein immenser Wissenschaftsapparat gibt weitere wertvollste Hinweise. Verkneifen kann ich mir nicht den Hinweis, dass der Herausgeber – so wie es in den Veröffentlichungen aus dem anglo-amerikanischen Bereich üblich ist – ganz ohne die reichlich vorhandenen deutschen Quellen auskommt, wenn er die zu Deutschland gehörigen Aspekte behandelt.
Schlussbemerkung: Beim Korrekturlesen meines Textes werde ich gefragt, warum bringst du die Sachen jetzt erst? Antwort: Ich musste sie erst lesen.
©Helmut Roewer, Juni 2023
Deutsche Quellen: Tacitus hat auch keine solchen zitiert, als Römer war er eben Schmitt und nicht Schmittchen.
Zu Maiski lohnt es sich auch, seine eigene Variante zu lesen:
https://www.amazon.de/Memoiren-eines-sowjetischen-Botschafters-Maiski/dp/B000L6DEWO
Disclaimer: Selbst vor ca. 40 Jahren mit ganz anderer politischer Bildung getan. Eine unzensierte Fassung kam erst nach 1990 heraus.