Ein reiches Land und deutscher Wahn – Bemerkungen über Südwest Afrika
Gastbeitrag von Helmut Roewer
In diesem Beitrag beginne ich, einige Anregungen abzuarbeiten, die ich einer längeren Reise durch Namibia/Südwest Afrika im November und Dezember 2022 verdanke. Das Land ist, gelinde gesagt, ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte – viel reicher, viel ärmlicher und voller Zeugnisse eines fernen deutschen Kolonialerbes.
Teil 1: Der Mann auf dem Geldschein und die Hereros
Die abgebildete 50 Dollar-Note – sie entspricht etwa 3 € – ist ein aktuelles Zahlungsmittel in Namibia. Das Land hieß bis 1990 Südwest Afrika (South-West Africa). Es trug zuvor, genau genommen bis 1915 oder 1919 – darüber streiten die Völkerrechts-Experten – den Namen Deutsch Südwest. Die kurzzeitige deutsche Kolonie (seit ca. 1880 – darüber wiederum streiten die Staatsrechts-Experten) wurde während des Ersten Weltkriegs dem Deutschen Reich mit militärischer Gewalt wieder entrissen. Damit begann die Herrschaft Südafrikas über das nordwestlich gelegene Nachbarland, das fortan als Mandatsgebiet bezeichnet wurde. Während der Endphase des Apartheits-Regimes in Südafrika gelang einer politischen Gruppierung, der Befreiungsbewegung Swapo, 1990 die Abspaltung von der südafrikanischen Vorherrschaft.
Von Namibia als einem Nationalstaat in dem uns bekannten Sinne zu sprechen, führt in die Irre, denn seine Bewohner gliedern sich in Stämme, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben, vielmehr seit Zeiten, die weit vor der Kolonisierung liegen, miteinander verfeindet sind und eigenständige Sprachen sprechen. Die Herrschaft im Gesamtstaat wird seit der Unabhängigkeit 1990 von der Swapo ausgeübt. Diese steht unter der Kontrolle des Stammes (des Volkes) der Owambo, die seit mindestens 2-300 Jahren im Norden von Namibia siedelten und im Gegensatz zu anderen Stämmen (Völkern) sesshafte Ackerbauern waren.
In den heutigen Vorstellungen vieler Deutscher wird der Staat Namibia mit dem Volk der Herero gleichgesetzt. Nichts könnte falscher sein. Die Herero sind vielmehr einer der im Gebiet von Namibia und den angrenzenden Ländern im Osten und Süden lebender Stamm von ursprünglich Nomaden, die mit ihren Viehherden, bestehend aus Rindern und Kleinvieh, umherzogen und nur so lange an Ort und Stelle blieben, wie die karge Weide und das Wasser reichten.
Diese Lebensform führte zu ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen mit den benachbarten Nomadenstämmen, in deren Weidegründe man eindrang. Die Herero galten bei ihren Nachbarn als berüchtigt für ihre Viehdiebstähle. Über diese lange vor dem Eintreffen deutscher, burischer und englischer Kolonisten stattfindenden Buschkriege gibt es keine verlässlichen Nachrichten, da die Beteiligten seinerzeit keinerlei Aufzeichnungen hinterlassen haben. Sie konnten nicht schreiben. Es ist heute daher nicht möglich, exakte Angaben über die Größe der Nomadenvölker zu machen. Notizen christlicher Missionare geben ein unsicheres, oft widersprüchliches Bild, was sich dadurch erklärt, dass deren Missionsstationen in den riesigen, weitgehend menschenleeren Savannen- und Wüstengebieten wie die sprichwörtliche Nähnadel im Heuhaufen steckten.
Es lässt sich bestenfalls sagen, dass zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – also noch vor der Kolonisierung – beträchtliche Teile des Herero-Volkes durch feindliche, von Süden vordringende Stämme vernichtet worden waren. Dieser Hinweis erscheint deswegen nützlich, weil heute kuriose Zahlen über die damaligen Hereros in Umlauf sind, aus denen dann die Opfer des Herero-Krieges von 1904 destilliert werden, für die sich gutmenschelnde Deutsche permanent entschuldigen.
Falsch sind auch deutsche Darstellungen, dass der Mann auf dem Geldschein ein solches deutsches Herero-Opfer sei. Es handelt sich in Wirklichkeit um Hendrik Witbooi, einen Stammesführer aus dem Volk der Witbooi (andere Selbstbezeichnung: Bastards), welches vermutlich aus einer Mischung von weißen Buren und schwarzen Nama-Frauen entstand. Hendrik Witbooi wurde an einer christlichen Missionsschule erzogen und muss dort ein Gutteil westlichen Ideenguts in sich aufgesogen haben. Er brachte es zu Lebzeiten zu einigem Wohlstand, der sich im Gegensatz zu seinen Stammesgenossen nicht nur in Viehherden, sondern auch in einem festen Wohnhaus aus Stein und einem Sparkassenkonto ablesen ließ. Er besaß zudem – davon wird noch die Rede sein müssen – den Ehrgeiz, die Stämme aus dem Südwesten des heutigen Namibia unter seiner Herrschaft zu vereinigen.
Es gibt von Hendrik Witbooi eine Reihe von Fotografien, die ihn in unterschiedlichen Kleidungen zeigen. Verhandelte er mit weißen Händlers, so bevorzugte er europäische Kleidung. Eines der Fotos zeigt ihn mit einem bemerkenswerten Detail, nämlich einer dreigestreiften Armbinde, deren Farben, wie ich sicher annehme, schwarz, weiß und rot waren, also die Farben des Deutschen Reichs, als dessen militärischer Unterstützer er mehrfach in Erscheinung trat, wofür er Waffen, Ausrüstung und Geld erhielt. Sein letzter Einsatz für die Deutschen fand 1903/04 statt, als er an der Seite der deutschen Schutztruppe zunächst gegen Aufständische im Süden und sodann gegen die Hereros zu Felde zog, die er zu besiegen half.
Mit diesem Detail ist ein wesentlicher Punkt in der Kolonialgeschichte in Deutsch Südwest berührt. Nach einer Reihe blutiger Auseinandersetzungen in den frühen 1890er Jahren trat ein Jahrzehnt relativer Ruhe ein, die Ende 1903 durch Aufbegehren von Angehörigen einiger Nama-Stämme im Süden der Kolonie unterbrochen wurde. Nachdem die ohnehin nicht zahlreiche deutsche Schutztruppe in mühseligen Märschen im Aufstandsgebiet zusammengezogen wurde, nutzten die Hereros, die in der Mitte der Kolonie in den Savannen lebten die – wie es ihnen schien – Gunst der Stunde und schlugen gegen die Weißen in ihrer Umgebung los. So kam es im Januar 1904 zur Ermordung aller Weißen, deren sie habhaft werden konnten, Farmer und deren Familien, Eisenbahner, Verwaltungsbeamte und einige Polizisten. Ich nehme an, es waren etwas mehr als 120 durchweg unbewaffnete Personen. Die Reaktion kam postwendend, wobei der Ausdruck postwendend vielleicht etwas in die Irre führt. In Wirklichkeit war den deutschen Behörden lediglich sofort, als sich die Nachricht von der Erhebung der Hereros zu verbreiten begann, klar, dass dem Morden nur durch eine massive militärische Antwort Paroli geboten werden konnte – jedenfalls dann, wenn man dem eigenen Anspruch als eine Kolonialmacht gerecht werden wollte.
So kam es ab Februar 1904 im Reich zur Aufstellung eines kriegsstarken berittenen Infanterie-Regiments aus Freiwilligen, die der Armee entnommen wurden. Diese Truppen wurden, um einige Artillerie verstärkt, im April und Mai 1904 via Hamburg im Seetransport nach Swakopmund an der Atlantikküste der Kolonie entsandt. Von dort ging der Weitertransport durch die Namib-Wüste ins Landesinnere auf der lächerlich kleinen, eingleisigen Schmalspurbahn, die seit einigen wenigen Jahren den Hafenort mit dem Hauptort Windhoek verband. Danach war Landmarsch auf dürftigsten Pisten angesagt, zu Pferd, zu Fuß und auf Ochsenkarren bei mörderischer Hitze weiter ins eigentliche riesig ausgedehnte Aufstandsgebiet.
Nach einigen Zusammenstößen im Juni und Juli 1904 kam es zur sog. Schlacht am Waterberge, wohin sich ein Teil der Aufständischen mit Vieh und all ihrem dürftigen Hab und Gut zurückgezogen hatte. Das Gefecht fand am 11. August 1904 statt. Es handelte sich um einen deutschen Angriff mit dem Versuch, die Hereros mit ihnen Herden an Ort und Stelle einzukesseln und zu vernichten. Dieser Versuch misslang, weil die Hereros, die am Waterberg gestellt wurden, vermutlich mit Masse in der Nacht auf dem 12. August 1904 nach Osten in Richtung der angrenzenden Wüsten des Sandfeldes entkommen konnten.
Ich habe mir das Gelände, in dem sich die Rest-Hereros versammelt hatten, an Ort und Stelle angesehen. Der Waterberg ist in der rauen Wirklichkeit ein steil aus der Savanne aufragendes lang gestrecktes Gebirgsmassiv, an dessen verbuschtem Fuße Wasserlöcher vorhanden sind. Diese sind die unerlässliche Grundlage für das Leben und Überleben der Nomaden und ihrer Herden. Das Gelände der Hochebene am Fuß des Gebirges ist mit Dornen und dichtem Buschwerk bewachsen. Es ist bis auf ein paar Fuß- und Wagenpfade nahezu undurchdringlich. Diese Unwegsamkeit machte es dem deutschen Angreifer faktisch unmöglich, einen dichten Ring um die im Prinzip umstellten Hereros zu schließen und veranlasste diese, in richtiger Erkenntnis ihrer militärischen Unterlegenheit, einem Entscheidungskampf durch Flucht auszuweichen.
Die Südwestspitze des Waterberg-Massivs, aufgenommen vom Kleinen Waterberg (unten links auf der Gelände-Skizze). Die Hereros hatten sich mit ihren Herden im Buschland am Fuße des Berg-Zuges, vom Betrachter aus rechts, versammelt. Dort wurden sie am 11. August 1904 von den Deutschen angegriffen und vertrieben.
Was sodann mit ihnen geschah, ist umstritten. Dass die Masse von ihnen bei ihrer Flucht durch Verdursten ums Leben kam, ist oft erzählt worden, aber wenig wahrscheinlich, denn bald nach den Ereignissen waren bemerkbare Teile von ihnen in Deutsch Südwest wieder aufgetaucht, wo sie sich durch Viehdiebstähle neue Herden zu beschaffen suchten. Es ist zudem umstritten, ob und wie sie sich bei ihrem zwischenzeitlichen Asyl im östlich angrenzenden Britisch Betschuana-Land und ihrer anschließenden Rückwanderung nach Südwest britischer Hilfe erfreuen konnten. Klar ist lediglich, dass die Briten anderthalb Jahrzehnte später, im August 1918, kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, zu Propagandazwecken ein Blaubuch herausgaben, in welchem sie die Deutschen der unglaublichsten Kolonial-Gräuel und des Völkermords an den Hereros bezichtigten (Report on the Natives in South-West Africa and Their Treatment by Germany).
Die Schrift diente als Begründung dafür, dass man den sadistischen Deutschen den Kolonialbesitz entziehen müsse, was dann auch geschah. Das Blaubuch wurde in den 1920er Jahren von der britischen Regierung wieder zurückgezogen. Dennoch fühlen sich deutsche sog. moderne Historiker heutzutage nicht daran gehindert, es immer noch für bare Münze zu nehmen und mit seiner Hilfe den deutschen Völkermord an den Hereros zu zelebrieren. Hierbei verstiegen sich einige Enthusiasten zu der unfreiwillig komischen Behauptung, es habe sich hier um den ersten Völkermord in der Geschichte der Menschheit gehandelt.
Wichtige Quelle bei der Beurteilung des deutschen Kolonialkrieges in Deutsch Südwest: Das deutsche Generalstabswerk aus dem Jahre 1906. Hier in einer Kopie aus der Universität Bremen. Mein Versuch, ein Original der beiden Bände in Swakopmund antiquarisch zu kaufen, scheiterte schließlich an den Grenzen des Fluggepäcks. Im Rückblick ärgert mich meine Zurückhaltung.
Eine abschließende Bemerkung zum Mann auf dem Geldschein: Hendrik Witbooi glaubte im August 1904, als die Deutschen mit der Bekämpfung und Verfolgung der Hereros beschäftigt waren, dass seine Zeit zum Seitenwechsel und zur Errichtung eines Nama-Reichs unter seiner Führung gekommen sei. Er erklärte dem Deutschen Reich den Krieg und eröffnete einen Kleinkrieg in den südwestlichen Gefilden der Kolonie, der als Krieg gegen die Hottentotten in die deutschen Kolonial-Geschichtstabellen eingegangen ist. Dieser Guerillakrieg dauerte bis 1906. Er belehrte das preußisch-deutsche Militär-Establishment darüber, das es nahezu aussichtslos ist, gegen einen entschlossenen, geschickt geführten Gegner erfolgreich vorzugehen, der extreme Klima- und Geländeverhältnisse in einem nahezu menschenleeren Raum zu ertragen und für sich auszunutzen weiß.
Das militärische Vorgehen gegen die sog. Hottentotten kam erst ans Ende, als diese selber den koordinierten Kampf im Banden- und Guerillakrieg aufgaben. Anlass war der Tod ihres unbestrittenen Führers, des Kapteins (Häuptlings) Hendrik Witbooi. Er wurde, als er sich am 29. Oktober 1905 an einem Überfall auf deutsche Nachschubfuhrwerke beteiligte, durch eine Gewehrkugel in den Oberschenkel getroffen und ist wenige Stunden später durch Verblutung verstorben. Sein Sohn, als der alsbald gewählte Nachfolger, war nicht in der Lage, die einigende Kraft des Vaters aufzubringen, und so sind die Aktionen in Einzelakte zersplittert und hörten in den folgenden Wochen schließlich ganz auf.
©Text & Bilder: Helmut Roewer, Dez. 2022
JaJa. die alte Gräuelpropaganda, bei der die Hunnen auf der Spitze iher Pickelhaube aufgespiesste Kinder gegrillt haben. Man muss es dem Michel nur oft genug unter die Nase reiben….dann glaubt Er es auch !!
Ja da sind die Hunnen wie die Asiatischen Horden, die von den Bolschewistischen Verbrechern gegen die Demokratie und Rechtsstaat geführt werden – am Ende müssen sie unterliegen, weil sie statt zu kämpfen Zeit und Manneskraft beim Morden, Brennen und Notzüchtigen verschwenden.
Zur Frage der gesamten Anzahl der Hereros gibt es Untersuchungen. Die waren ein Nomadenvolk, das immer dann, wenn deren Kühe eine Weide leergefressen hatten, zur nächsten weiterzogen. Ermittelte Zahlen für solche Nomadenstämme liegen zwischen 10 und 12 000 Personen. Das wird hier genau nicht anders sein. Alle anderen Zahlen sind vollkommener Unsinn.
Die Namibia-Gegend ist auch nicht die Urheimat der Hottentotten. Die sind aus dem Norden erst zugewandert, nachdem sich die Büren dort vorher angesiedelt und angefangen haben, das Land zu kultivieren.
Zur Frage der gesamten Anzahl der Hereros gibt es Untersuchungen. Die waren ein Nomadenvolk, das immer dann, wenn deren Kühe eine Weide leergefressen hatten, zur nächsten weiterzogen. Ermittelte Zahlen für solche Nomadenstämme liegen zwischen 10 und 12 000 Personen. Das wird hier genau nicht anders sein. Alle anderen Zahlen sind vollkommener Unsinn.
Die Namibia-Gegend ist auch nicht die Urheimat der Hottentotten. Die sind aus dem Norden erst zugewandert, nachdem sich die Büren dort vorher angesiedelt und angefangen haben, das Land zu kultivieren.
Danke für diese Klarstellung. Da ich einige Monate in Namibia verbracht habe (eigentlich wollte ich dort arbeiten), habe ich Weisse, Schwarze, UND Witbooi kennen gelernt.
In den Siedlungen um Keetmanshoop leben viele (hauptsächlich?) Mischlinge (Witbooi), die glauben, gegenüber ihren ‚dunkleren‘ Brüdern, etwas besseres zu sein- was wiederum in Rassismus ausartet.
Obwohl die Kinder eine Schule besuchen, leben die Stämme wie in der Urzeit.
Nama fahren mit Eselkarren auf der Hauptstrasse, und nicht nur die Esel hinterlassen ihre Verdauung AUF der Strasse.
Himba, die wird jeder schon mal gesehen haben (und erkannt, dank der barbusigen Frauen; und der rötlich gefärbten Haare) leben, leb(t)en immer noch in Dornenhecken umfriedeten Dörfern am Kunene; dem Grenzfluss zu Angola.
Das war 1998. Und es soll keine Diskriminierung sein- nur ein Beispiel wie langsam die Entwicklung im südlichen Afrika ist/war.
Karl aus Oberschlesien, das sind die Rehoboth Basters. Die wohnen in einer eigenen Autonomie, wollten sogar einen eigenen Staat gründen. Heiraten nur untereinander und sind keine Nomaden. Die sind doch schon in ihrer Entwicklung sehr europäisch. Warum auch nicht?
Danke für den Bericht Herr Roewer!