Das Ulbricht-Bild beim Kaderleiter

Alexander Wendt berichtet durchaus lesenswert auf Tichy über den ZEIT-Chef Theo Sommer. Dieser hatte eine betreute Reise in die Zone unternommen und dichtete in der ZEIT über Honecker:

Honi‘ nannte ihn keiner, das war westlicher Sprachgebrauch und wurde als genierlich empfunden. Es war ‚der Chef‘, ‚der Erste‘ oder einfach Erich. ‚Erich währt am längsten‘, hieß eine Kabarettnummer der Berliner ‚Distel‘. Das Publikum im ausverkauften Haus applaudierte lang und heftig. Der Jubel verriet etwas von der heimlichen Zuneigung derer, die Honeckers Regiment unterstanden.“

Ulbricht war 1971 in einer Art Putsch von Honecker abgesetzt worden. er war danach eine Unperson, der seitens der Parteigrößen  keine Heldenverehrung mehr entgegengebracht wurde. Er wurde nicht erwähnt, eine Art  Damnatio Memoriae praktiziert.

Als ich 1987, also ein gutes Jahrzehnt später, meinen Arbeitsvertrag in der ZBOWL, einem Baubetrieb im Weimarer Umland, zu unterzeichnen hatte, mußte ich ins Zimmer des Kaderleiters Haßengier. Dort hing hinter seinem Stuhl noch das Bild von Ulbricht an der Wand. Nanu, dachte ich, wenigstens kann der Honecker auch nicht leiden.

Portrait Walter Ulbricht | DDR Museum Berlin

Im Betrieb gab es vom Leiter angefangen bis zum Brigatier über 100 Genossen. Aber niemand hatte fast zwei Jahrzehnte je Anstoß an dem Ulbricht-Konterfei genommen. Man könnte daraus schließen, daß Honecker keine übermäßige Achtung erfuhr, auch nicht in Parteikreisen.

Auch ist es eine freche Lüge, daß 1986 nach der Letzten Sommer-Reise in den Osten nicht von „Honni“ gesprochen wurde. Seit dem „Sonderzug nach Pankow“ (Februar 1983) war das absolut gängig. In Anekdoten wurde tatsächlich oft „Erich“ verwendet. Zum Beispiel: Erich fährt mit dem Traktor durch Berlin. – Er sucht seine Anhänger.

Oft kam auch der Nachname vor: Breschnjew, Carter und Honecker werden von einer Horde Kannibalen verfolgt. Breschnjew droht ihnen mit der Erschießung, Carter mit dem Entzug von Entwicklungshilfe. Sie rennen aber weiter hinter dem Auto her. Da ruft ihnen  Honecker was zu und sie verschwinden. „Was hast du denn gerufen?“ fragt Breschnjew. – „Wenn ihr noch zwei Minuten weiterlauft, seid ihr in der DDR!“

Die wirkliche Stimmung umschreibt eine andere Anekdote: „Was muß passieren, daß es uns wieder besser geht?“ – „Es darf keine Klassen mehr geben, sondern nur noch Schichten. Eine Schicht Kommunisten und eine Schicht Erde drauf.“

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt.“ (Geh. Rath v. Goethe)