Deutschland von rechts und links – eine Rezension und eine Groteske
Gastbeitrag von Helmut Roewer
In diesem Beitrag behandle ich zwei Bücher mit demselben Thema: Deutschland. Beide Bücher enthalten Aufsatzsammlungen, doch sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Das Buch mit der Sicht von rechts kann man kaufen, das andere, das mit der linken Sicht, nicht, denn es wurde vor 50 Jahren vernichtet.
Deutschland von links: Anmerkungen zu einer Groteske von historischem Ausmaß
Vor 50 Jahren fanden in München die Olympischen Sommerspiele 1972 statt, ein Großereignis, bei dem (West)-Deutschland zeigen wollte: Man ist wieder wer. Die Sechziger Jahre hatten es in sich gehabt. Der Arbeitsmarkt war so leergefegt, dass Arbeitermassen importiert werden mussten, um den anschwellenden Export zu bewältigen. Den Deutschen (West) ging’s weitgehend gut, die sog. Brüder und Schwestern in der Zone betrachtete man mit der Herablassung des Neureichen.
Das allgemeine Wohlergehen verlangte nach Statussymbolen in einer von jeglicher Symbolik radikal amputierten Republik. Olympische Spiele boten sich an. Schaut her, wir können uns das wieder leisten. Mit dem Wohlergehen kam die Lust zum politischen Experiment. Die Sozis sollten auch mal ran, nachdem sie dem Marxismus in Godesberg offiziell abgeschworen und mit Willy Brandt einen deutlich charismatischeren Führer an der Spitze hatten als die zwischen steingrau und mausgrau changierende Christunion. Doch der Farbenwechsel – er betraf auch den Bundespräsidenten – bescherte den neuen Mannen an der Staatsspitze ein Problem. Sie mussten sich in einer Frage – es ging um die deutsche Nation – positionieren, um die man, so gut es ging, einen Bogen gemacht hatte. Nun gar die Olympischen Spiele. O Gott o Gott. Auf jeden Fall waren nationale Töne zu vermeiden. Da kam irgendwer im Regierungsgetriebe auf den vortrefflichen Gedanken, an die nach Deutschland strömenden Fremden eine Art Betriebsanleitung des deutschen Bewusstsein in Geschenkpapier zu verteilen.
So entstand das Sammelwerk Deutsches Mosaik. Ein Lesebuch für Zeitgenossen, der Innentitel hierzu leicht variierend Deutsches Mosaik. Offizielles Geschenkwerk des Organisationskomitees für die Spiel der XX. Olympiade München 1972. Fürs Links-kompatible sorgten die Herausgeber Dieter Hildebrandt, ein Kabarettist, und Siegfried Unseld, der Eigentümer des Suhrkamp Verlages. Letzterer erhielt praktischer Weise auch zugleich den Herstellungsauftrag. Heißa, da wieherte der neue Zeitgeist des „Mehr Demokratie wagen“. Das Buch enthielt vier Abschnitte, die hier unkommentiert aufgezählt werden sollen, damit man weiß, worum es ging: (1) Das neue Jahrhundert; (2) Die verschenkte Republik; (3) Die Unzeit; (4) Die provisorische Zukunft. Dieser vierte Abschnitt des Buches wird mit einem BrechtZitat eingeleitet: „Das große Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ Man stutzt, man staunt. Ja richtig: Hunderttausende hatten öffentlich bekundet: Nie wieder Krieg.
Verflogen, vergessen. – Im Buch selbst folgt ein Eldorado der deutschen Schuld: Deutschland mit Trauerrand. Deutschlands Zeitgeistler atmeten bedeutungsschwer ein und aus. Kein Hauch von Witz, nicht einmal Selbstironie. Doch das Buch enthielt einen Pferdefuß, der den Herausgebern bei aller selbstzensurierenden Beargwöhnung entgangen war. Das war der Beitrag von Uwe Johnson: Boykott der Berliner Stadtbahn (S. 369 ff.). Autor und Thema waren ein doppelt Unerhörtes – zumindest aus der Sicht des anderen deutschen Staates, der DDR. Johnson, der Mecklenburger, hatte der DDR 1959 ohne Gruß den Rücken gekehrt und war im Westen verschwunden, wo er ein ebenso gefeierter, wie eher mäßig gelesener Suhrkamp-Star wurde.
Im fraglichen Aufsatz geißelte er die Legende vom Berliner S-Bahn-Boykott. Diese Propagandanummer hatte zum Inhalt, dass die Westberliner aus Solidarität mit den Brüdern und Schwestern in der Zone auf die Benutzung der grandios billigen S-Bahn verzichten würden, da die S-Bahn der (ostdeutschen) Deutschen Reichsbahn gehörte. Diese, die Deutsche Reichsbahn, wurde in der DDR nach ihrer Gründung 1949 nur deswegen weitergeführt, um so die wertvollen Bahntrassen auf dem Boden Westberlins einkassieren zu können. Die Siegermächte waren einverstanden. Um nun den Westberlinern zu zeigen, was für ein toller sozialer Staat die DDR sei, konnten sie die S-Bahn zu Pfennigtarifen benutzen. Hiergegen sollten sich die Westberliner nach Ansicht ihrer Führung solidarisieren.
Die Geschichte der jüngsten Boykotts vor Augen grinst man, wenn man’s liest. Die Leute in Westberlin wussten ohnedies, was für ein mieses System im Osten herrschte. S-Bahn fuhren sie trotzdem, und zum preiswerten Friseur gingen sie auch nach drüben. Es ist nicht verwunderlich, dass man in Ostberlins Führung – in Pankow, wie man damals sagte – den Johnson-Aufsatz nicht witzig fand. Humor – die Regime ähnelten sich insofern – war auch dort nicht die starke Seite. Also protestierte man. Und drohte – mit Boykott. Der blieb aus, denn die DDR siegte auf der ganzen Linie: Die Bundesregierung war eingeknickt. Man könnte es auch anders formulieren: Das bisschen Wahrheit im Buch musste der großen Wolke der Neuen Ostpolitik weichen. Das Buch wurde eingestampft.
Nun noch ein Wort für die Freunde des Anekdotischen: Zehn Jahre später wurde ich als der damals jüngerer Beamter der Abteilung Innere Sicherheit auf Anforderung der Hausverwaltung des Bundesinnenministeriums in die Kellerräume an der Graurheindorfer Straße in Bonn beordert. Dort lagerten die bizarren, schimmligen und wenig angenehm riechenden Überreste der Wehrsportgruppe Hoffmann. Die Gruppe war wg. Verfassungswidrigkeit verboten worden. Ich unterschrieb eine Vernichtungsanordnung und wollte mich gerade wieder trollen, als im Nachbarkeller mit Donnergetöse ein Regal zusammenbrach. Der Kollege, der dort offenbar an einem falschen Karton gezerrt hatte, stand bis zu den Knien in einer silberfarbenen Büchermasse. Er klärte mich über diese Bücher auf. So kam ich zu einem Exemplar des Deutschen Mosaik. Vor ein paar Tagen habe ich es zu meiner Verblüffung wiederentdeckt, als es zusammen mit einem Stapel andere Bücher aus gut drei Metern Höhe an die Erde fiel. Nein, nein, das Regal steht noch.
Zurück in die Gegenwart: Jetzt geht es um ein zweites Buch. Es wurde nicht vernichtet, obwohl ich mir leicht vorstellen kann, dass Mainstream wünschen könnte, es wäre anders.
Deutschland von rechts: Eine Rezension zur Aufsatzsammlung „Was ist deutsch?“
Das Buch wurde vom Leiter des Stocker-Verlages herausgegeben. Dieser, Wolfgang Dvorak-Stocker, hat das einleitende Essay verfasst: Ich bin nicht „stolz“, Deutscher zu sein. Von ihm stammt auch der erste der im Band enthaltenen Aufsätze Der Mythos Preußen. Dieser Auftakt ist gleich doppelt erstaunlich – Preußen als Grundton dessen, was deutsch sei, mit einem Autor, der ein Österreicher ist. Nun ist es ja nicht ganz fernliegend, wenn einem, wie man so sagt, von einem Außenstehenden die Leviten gelesen werden. Doch ist Autor Stocker ein solcher? Ich bezweifle das, der Subtitel des Buches Elemente unserer Identität und der Text des Einleitungsaufsatzes stützen meine Vermutung.
Dvorak-Stocker argumentiert historisch, dem Grundkonflikt Habsburg-Preußen ab dem 18. Jahrhundert folgend, der schließlich in einer gemeinsamen grandiosen Niederlage gegen einen Dritten, nämlich Napoleon, scheinbar beendet wird. Man rauft sich wieder zusammen. Doch das Gemeinsame der beiden deutsch-dominierten Staaten Preußen und Österreich reicht nur zum Sieg über den Usurpator, der zuvor das welke Römische Reich deutscher Nation durch einen Federstrich beendet hatte. Vor allem in Habsburg fehlte nach dem Sieg über die Franzosen der Wille und die Kraft zum deutschen Neubeginn. Auch mangelte es an der zündenden Idee, die tragfähig gewesen wäre.
So wurde Preußen nolens volens nach gehörigem zeitlichen Zögern zur deutschen Zentralkraft – nahezu wider Willen. Es war die Staatsidee Preußens, welche eine deutsche Einheit erst schuf, bestehend aus Elementen, über die manch einer heute die Nase rümpft: Sparsamkeit, Pünktlichkeit, Fleiß, Normentreue und die Selbstverständlichkeit des Dienenwollens. Vielen Außenstehenden war dies ein Dorn im Auge, zumal dieses Deutsche Reich im Rekordtempo im europäischen Wettbewerb der Großmächte seinen Platz einnahm. Der Autor hält es für denkbar, zumindest aber für wünschenswert, durch Rückbesinnung auf die Werte Preußens zu einer deutschen Erneuerung zu gelangen. Ich will zum Schluss dieser Besprechung noch einmal darauf zurückkommen.
Das Buch – sein Untertitel Elemente unserer Identität betont das – blättert einen Strauß von Möglichkeiten auf, was das Deutschsein sei. Das Kulturelle, Sprachliche, Wirtschaftliche, Militärische, Religiöse, Mythische. Aber auch dies: Die anthropologische und genetische Stellung des deutschen Sprachgebiets in Europa. Der Aufsatz ist von Andreas Vonderach und vertritt – falls ich ihn recht verstehe – das Vorhandensein einer speziellen ethnischen Disposition. Man stutzt. Früher hätte man wohl von Rasse geredet – ein Begriff, den man auch mühelos im geltenden Grundgesetz wiederfindet.
Gewiss, der Autor macht den üblichen entschuldigenden Umweg, indem er mit gutem Grund vom Missbrauch der Rassenforschung durch ein Verbrecherregime redet, doch zu recht weist er darauf hin, dass die ernsthaft zu nennende Forschung weitaus älter ist. Ausgerechnet der begnadete Mediziner Rudolf Virchow war der Wegbereiter. Der verglich äußere Merkmale wie Augen- und Haarfarbe, später kamen Körper- und Gesichtsformen, noch später Blutgruppenvergleiche. Und heute? Hinter der Schweigetrennwand des öffentlichen Moralisierens haben längst Ethnien-spezifische Genforschungen in Pharmazie und Medizin einen festen Platz.
Doch was ist das spezifisch Deutsche daran oder besser: darin? Ich nehme an, dass bereits die Fragestellung irreführend ist. Feststehend scheint indessen, dass ein ganzes Bündel von Vergleichsmaßstäben (Äußerlichkeiten, Serologisches und Genetisches) in der Addition zu solch erstaunlicher Binnen-Ähnlichkeit führt, dass Abweichungen zu angrenzenden Völkern unschwer gemessen werden können. Ob es heutzutage wirklich noch so ist, dass sich Ähnlichkeit dieser Art bestimmend auf die Partnerwahl auswirkt, wie bei Vonderach geschildert, mag man angesichts Massenzuwanderung seit den 2010er Jahren bezweifeln.
Solche Zweifel werden durch die der jüngst vorgelegte Bevölkerungspyramide des Statischen Bundesamtes gestützt. In dieser Altersstatistik wird vorgerechnet – vorausgesetzt die Zahlen stimmen einigermaßen mit der Wirklichkeit überein –, dass die Zuwanderer in der Altersgruppe von null bis 35 Jahren Jahrgang für Jahrgang die jeweilige Mehrheit in der in Deutschland lebenden Bevölkerung bilden. Das kann nicht ohne Auswirkung auf Partnerwahl und Fortpflanzung bleiben, so dass es den wie auch immer klar zu definierenden deutschösterreichisch-schweizerischen Typus schon sehr bald nicht mehr geben wird. Er wird sich bis zur Unkenntlichkeit verändern. Was dann kommt, wird sich zeigen. Das ist dann keine Frage des Gefallens oder Nicht-Gefallens mehr. Der Zug ist abgefahren.
Kommen wir noch einmal auf das von Dvorak-Stocker formulierte Preußen-Postulat zurück. Wer also wird auf solche Werte setzen, die einst den deutschen Erfolg ausmachten? Es werden die neuen Erfolgreichen sein. Eine lange Reihe von Zuwanderern aus allen möglichen Ecken der Welt. Es werden dies die neuen Aufsteiger sein, Leute also, die wissen, dass sie durch Fleiß, Genügsamkeit und Familienbindungen ihren oft anfangs kleinen Wohlstand geschaffen haben. Sie werden wissen, dass sie ihren Erfolg in erster Linie der eigenen Tüchtigkeit danken, und sie werden nichts unversucht lassen, das Selbstgewonnene gegen Schmarotzertum zu verteidigen. Das wird preußisch-deutsch? Ich weiß es beim besten Willen nicht, finde es aber nicht unsympathisch.
©Helmut Roewer, Zeichnung: Bernd Zeller, Jena, Juli 2022
Die Sache mit den Zuwanderern ist allerdings unwahrscheinlich, eben wegen der Familienbindung und dem islamischen oder Natur-Recht, das sie durchsetzt (in jedem Sinne dieser Satzkonstruktion).
Wir haben ja die Beispiele in den USA vor Augen, die etwas eher mit der Third World Migration angefangen haben: die Neger wollen Macht und Geld, Frauen, dicke Autos und Goldketten, die Araben wollen den Salafismus, einzig die Asiaten lernen was sie nur können, um es zu Hause umzusetzen. Sieht ja in Frankreich ähnlich aus.
Zu einem Volk (oder mehreren, wie in Deutschland) gehört eben auch sein angestammtes Land. Kontinente erobern und besiedeln geht meistens schief, wofür wieder die USA in ihren Exzessen das beste Beispiel sind. Lateinamerika scheint da gegenüber den Spaniern resilienter gewesen zu sein; bei Brasilien bin ich im Zweifel.
Die Zukunft liegt jedenfalls nicht in Europa.
Übrigens lohnt es sich, Tee aus Ruanda zu probieren und so die Leute in ihrem Land zu unterstützen.