Der Demagoge gehört hinter Schloss und Riegel
Einige Bemerkungen über den Dichter und Juristen E.T.A. Hoffmann, Gastbeitrag von Helmut Roewer
In diesem Aufsatz schildere ich einige Aspekte des genialen Dichters, der zudem ein Komponist, Zeichner, Maler und – ach Herrjeh – ein Untersuchungsrichter gegen staatsfeindliche Umtriebe in Preußen war, Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann. Er starb vor genau 200 Jahren in Berlin eines qualvollen Todes.
Die Idee, ein wenig nachzustochern, kam mir, als ich im Zusammenhang mit einem der Protagonisten aus dem neuesten Tellkamp-Roman die Behauptung las, der Name Hoffmann dort sei mit Bezug auf den längst verstorbenen Dichter ganz bewusst gewählt worden. Nun, auf diesen Zusammenhang wäre ich von selbst nicht gekommen. Vielleicht, so sagte ich mir, habe ich vom Namensspender nur Oberflächliches in Erinnerung.
Annäherung an einen Geisterseher: Hoffmann weicht von der vorgegebenen Laufbahn ab
Hoffmann stammte aus einer Juristenfamilie. Spätere Interpreten haben sich bemüht, künstlerische Aspekte bei seinen Ahnen auszubuddeln. Sei’s drum. Mir fiel hingegen auf, dass er das Studium und die seinerzeit üblichen drei Examina in kürzester Frist und mit guten Erfolg abschloss. Der Eintritt in den preußischen Staatsdienst war für den Mitzwanziger damit programmiert. Alsbald ging einiges schief. Kurz nach seinem Dienstbeginn in Posen hielt er es auf einem Ball Ende Februar 1802 für angebracht, die Honoratioren des Offizierskorps karikierend zu zeichnen und die Anwesenden an seinem Jux teilhaben zu lassen. Die Annullierung seiner Ernennung als Regierungsrat am Obergericht und die Strafversetzung nach Plock, einer Stadt an der Weichsel, folgten auf dem Fuße. Von dort wurde er nach Fürsprache von Freunden 1804 nach Warschau versetzt, damals Sitz einer preußischen Bezirksregierung. Hoffmann sah sich wieder auf der Sonnenseite des Lebens.
Doch nunmehr griff die Weltgeschichte ein, denn nur zwei Jahre später, 1806, wurde Preußen von Napoleon vernichtend geschlagen, seine östlichen Provinzen abgetrennt und unter französische Mandatsregierungen gestellt. Die Entlassung der preußischen Beamtenschaft kam Knall auf Fall. Hoffmann war jetzt 30 und arbeitslos, den Treueeid auf Napoleon verweigerte er, so dass er Warschau binnen Tagesfrist verlassen musste. Die nächste Station war Berlin, wo er Jahre zuvor einen Teil seiner juristischen Ausbildung absolviert hatte. Doch da ist nichts zu wollen. Der Zustand Preußens ist so miserabel, dass in der Hauptstadt Hungerunruhen ausbrechen. Wie ein Rettungsring erschien ihm da die Zusage einer Kapellmeisterstelle am Bamberger Theater. Doch die Realität ist weniger rosig als erhofft, denn das Theater machte pleite und es folgten Hungerjahre, in denen sich Hoffmann mit allen möglichen künstlerischen Arbeiten mehr schlecht als recht über Wasser hielt: Musiker, Musiklehrer, Gelegenheits-Porträtist, Theaterdekorationsmaler, Dramaturg, Komponist von Bühnenmusik, Kapellmeister, Musikkritiker, Buchrezensent. Habe ich was vergessen? Erst 1810 stabilisierte sich nach der Neugründung des Theaters Hoffmanns Lage notdürftig. Jetzt schält
sich allmählich ein anderer Künstler heraus: Hoffmann schreibt. Wie ein Berserker schreibt er Kalendergeschichten, Märchen, Fantasiestücke, Schauergeschichten, Zeitungsbeiträge, eine Oper. Er wird publiziert, sein Name wird deutschlandweit bekannt.
Kaum schien er auf der Erfolgsstraße angekommen, geriet er erneut in die Mühlen der Weltgeschichte, denn kurz nach Beginn der Befreiungskriege nahm er eine Stelle bei einer Theater-Truppe in Dresden an. Die war wegen der dortigen Kriegsereignisse, kurz bevor er die Stadt erreichte, ausgerechnet nach Leipzig entfleucht, Hoffmann, mittlerweile wieder völlig mittellos, hinterher und mitten hinein in die Völkerschlacht von Leipzig und, von dort erneut entfliehend, nach Dresden zurück. Im September 1814 dann die erneute und endgültige Rückkehr nach Berlin, nachdem es einem Freund gelungen war, für Hoffmann eine Stelle im Justizdienst loszueisen. Am 1. Oktober 1814 trat der Achtunddreißigjährige seinen Dienst am Kammergericht in Berlin an. Die acht Hungerjahre sind vorbei, die letzten acht Lebensjahre vor ihm.
Wein, Weib und Gesang: Der Mann hinter der Schreibfeder
In den nächsten hundert Jahren gab es ungezählte Versuche, den Menschen Hoffmann zu beschreiben. Nach meiner laienhaften Schätzung übersteigt das Volumen der Werke über Hoffmann das der Schriften aus der Feder Hoffmanns beträchtlich. Natürlich wollten die Interpreten wissen, was den Mann zu solch einer Flut von kuriosen Erzählungen veranlasst hat – zu Figuren, bei denen sich der Leser fragt, wer hier eigentlich verrückt ist, der Autor oder er selbst, der Leser. Meine selbstgebastelte Antwort lautet: Er war halt so, ein Mann, der auf beiden Seiten der Grenze zwischen nüchterner Beobachtung und Wahnsinn entlangtaumelte, zudem ein starker Trinker und ein ziemlich spezieller Liebhaber der Frauen.
Um mit Letzterem zu beginnen – auch was die sexuellen Gepflogenheiten von Hoffmanns Lebens- und Schaffenszeit anbelangt –, befinden wir uns in einer europäischen Umbruchphase zwischen dem ungezügelten 18. und der Prüderie des 19. Jahrhunderts. An Liebesaffären ist bei Hoffmann kein Mangel. Seine Aufzeichnungen regen reichlich zu Spekulationen an. Je weiter die Zeit nach Hoffmanns Tod ins Land schreitet, desto betulicher werden die Kommentare. In der Literaturgeschichte meiner Gymnasiasten-Jahre klingt das so: Hier [in Bamberg] hob ihn eine unerfüllt bleibende hohe Liebe über den Alltag einer prosaischen Ehe und verklärte sich in seiner Dichtung in einer immer wiederkehrenden idealen Mädchengestalt (Fricke/Klotz: Geschichte der deutschen Dichtung, 11. Aufl. 1965).
Wundert sich da noch einer, dass Meinesgleichen für derartige Dichtergestalten nicht mal ein müdes Stirnrunzeln parat hatte? Hohe Liebe? Wie hätten wir gestaunt, wenn uns der Deutschlehrer erzählt hätte, dass sich Hoffmann in Bamberg unsterblich in eine Dreizehnjährige verliebt hatte, die seine Musikschülerin war, wie er es über die nächsten zwei, drei Jahre einzurichten wusste, mit der Angebeteten an absurdesten Plätzen alleine zusammen zu sein, wie er sich parallel in den ersten noch unklaren Auftaktwochen der Beziehung sexuell an einer Bamberger Schauspielerin abarbeitete, wie er ganz nebenbei bis zu seinem Tod verheiratet war, wie die Mutter der Geliebten etwas mitbekam und beschloss, die Tochter durch Verheiratung mit einem Hamburger Kaufmann, den das Mädchen nicht liebte, aus dem Verkehr zu ziehen, und mancherlei mehr, was sich mit etwas Phantasie aus den Tagebuchnotizen herauslesen lässt.
Hohe Liebe? Das ist für meinen Geschmack etwas zu viel Pädagogen-Schmalz auf das Hoffmann-Brot gestrichen. Der Mann liebte die Abwechslung, wozu auch die Frau des Verlegers und Damen der Berliner Gesellschaft zählten, die irgendwann von Freunden geheiratet wurden. Er fing früh an. Später wunderte er sich, als er die Tochter seiner ehemals unsterblichen Jugendgeliebten zufällig traf. Die letzte mittelgroße Liebe, soweit man weiß, war dann eine erfahrenere, die Sängerin und Schauspielerin Johanna Eunicke. Auch sie hatte er in Bamberg zuerst gesehen. Später in Berlin sang sie die Titelrolle in der Oper Undine, deren Musik Hoffmann komponiert hatte. 27 Aufführungen erlebte das Stück, bevor das Theater am Gendarmenmarkt abbrannte (und mit ihm unwiederbringliche Teile der Partitur). Von Hoffmanns Wohnung bis zum Theater war es, gemessen an Berliner Entfernungen, nur ein Katzensprung.
Hohe Liebe? Nun ist keiner von meinen Lehrern auf die Idee gekommen, mich für Hoffmann zu interessieren. Stelle mir allerdings vor, dass dies seinerzeit leicht möglich gewesen wäre, wenn man mich und die Spießgesellen in meiner Klasse mit dem anonym erschienenen Roman Die Schwester Monika bekannt gemacht hätte. Auszüge hätten sicher genügt. Es ist die reine Pornographie. So blieben wir auf die heimliche Lektüre der Blechtrommel angewiesen. Keine leichte Kost, und eine schöne grad gar nicht.
Hoffmanns Leben war eine dichte Folge von Rausch und ekstatischer Arbeit, Phasen der Furcht, dass er selbst dem Wahnsinn verfallen werde, den er so vortrefflich zu beschreiben wusste, und immer wieder Trinken bis zum Abwinken. Er machte sich über Leute lustig, die bei Lutter und Wegner, dem Weinlokal, an ihren Pokalen nippten, anstatt die vollen Gläser mit einem Zug runterzukippen. Das ging nicht ewig gut. Mit 46 war er tot.
Demagogen müssen hinter Schloss und Riegel: Der preußische Untersuchungsrichter Hoffmann
Ich sagte es schon: Hoffman war ein Jurist. Er war in seinen wenigen vierziger Lebensjahren Rat am Kammergericht zu Berlin. Alsbald und kurz vor seinem Tode avancierte er zum Rat am preußischen Appellations-Gericht. Das war eine Beförderung für gute Leistungen – nehme ich wenigstens an. Zuvor, am 1. Oktober 1819, war er nämlich mit einem Sonderauftrag versehen worden: Er wurde Mitglied der „Immediatskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“. Jaja, ganz richtig gelesen, damit war er in einen Zentralplatz der preußischen und europäischen monarchistischen Restaurationspolitik vorgerückt. Dies zu verstehen, ist ein kleiner Umweg angezeigt.
1806 erlitt, wie eingangs gesagt, Preußen gegen Napoleon eine vernichtende militärische Niederlage. Der Sieger ließ von der bis dato aufstrebenden europäischen Großmacht nur einen Rumpfstaat übrig. Diese preußische Katastrophe bewirkte, was der Korse sich im Traum nicht vorgestellt hatte. Sie erzwang nicht einen gehorsamen Vasallen, sondern radikale Reformen im preußischen Staatswesen und ein in die gebildeten Schichten des Landes weit hineinreichendes deutsches Nationalgefühl, das die Fremdherrschaft als unerträglich empfand. 1813 war es dann so weit. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. rief, wenn auch widerstrebend, nicht seine Untertanen, sondern das Volk zu den Waffen. Das war ein neuer Ton, und er wurde gut verstanden. Es war der Anfang der Befreiungskriege. An deren Ende stand Napoleons Niederlage. Nicht zum Wenigsten hatte hieran mitgewirkt, dass auf Preußens Seite erstmals ein Volksheer von Freiwilligen focht. Wie gesagt, der Aufruf An mein Volk war da angekommen, wo er hinsollte.
Nach dem Sieg kam die große Enttäuschung. Die Begeisterten verlangten nach der Dividende der Befreiung, doch stattdessen erhielten sie den Befehl zum Maulhalten. Demokratie? Das wäre ja noch schöner. Verfassung? Unsinn. Meinungs- und Pressefreiheit? Papperlapapp. Deutschland? Das wäre ja das Letzte. Nicht jeder war bereit, die Restauration der alten Verhältnisse widerspruchslos hinzunehmen. Wer widersprach, war, wie man damals sagte, ein Demagoge. Wo irgend möglich erhielt er ein Strafverfahren wegen Hochverrats angehängt. Die einschlägigen Verfahren als Untersuchungsrichter voranzutreiben, wurde Hoffmanns Aufgabe.
Ich hätte im Leben nicht von diesem Tun erfahren, wenn mir nicht ein Freund anlässlich meines ersten juristischen Staatsexamens einen dicken Band mit Hoffmanns juristischen Arbeiten geschenkt hätte. Als junger Jurist mit erstem Examen glaubt man, die Welt der Juristerei mit Löffeln gefressen zu haben, also löffelte ich auch das in mich hinein. Bis dahin hatte ich Hoffmann nur aus der Oper von Jacques Offenbach Hoffmanns Erzählungen auf dem Schirm, deren Barcarole konnte ich pfeifen. Den Dichter holte ich nun nach. Verkehrte Reihenfolge, denn ohne die Dichterberühmtheit hätte sich sicher niemand die Mühe gemacht, seine Juristenschriftsätze zu edieren.
Bei dieser Gelegenheit interessierte ich mich für diesen staubigen Winkel der preußischen Geschichte, die Freikorps, die Turner, die studentischen Verbindungen. Hier war das Zentrum der Opposition der Gebildeten. Die Leitfigur war ein gewisser Turnvater Jahn, die Turnbewegung
eine Tarnbewegung. Dies war der Hort der späteren Verfassung. Heftig bekämpft von denen, welche die Uhr des Zeitgeistes auf die Verhältnisse vor Napoleon zurückdrehen wollten. Eine Weile lang hatten sie Erfolg. Man nennt die Zeit das Biedermeier.
Hier also war das Arbeitsfeld von Hoffman. Verdächtigungen, Denunziationen, Beschlagnahmen, Durchsuchungen, U-Haft. Ganz wie heute, wenn jemand im Verdacht steht, „die Maßnahmen zu delegitimieren“. Im Mittelpunkt zwei Figuren, der preußische Innenminister und der Berliner Polizeipräsident – Namen, die heute keiner mehr kennt. Das ist tröstlich. Zu Hoffmanns Ehre sei gesagt, dass er die Delinquenten mit geradezu subversiver Rabulistik und formaljuristischem Schnickschnack abarbeitete: Es war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, dass… Zurück blieb ein Aktenstapel, denn am 25. Juni 1822 ist Hoffmann in Berlin gestorben.
©Helmut Roewer, Zeichnungen: ETA Hoffmann und Bernd Zeller, Juni 2022
—–Nach dem Sieg kam die große Enttäuschung. Die Begeisterten verlangten nach der Dividende der Befreiung, doch stattdessen erhielten sie den Befehl zum Maulhalten. Demokratie? Das wäre ja noch schöner. Verfassung? Unsinn. Meinungs- und Pressefreiheit? Papperlapapp. Deutschland? Das wäre ja das Letzte. Nicht jeder war bereit, die Restauration der alten Verhältnisse widerspruchslos hinzunehmen. Wer widersprach, war, wie man damals sagte, ein Demagoge. Wo irgend möglich erhielt er ein Strafverfahren wegen Hochverrats angehängt. —-
KLINGT IRGENDWIE AKTUELL; BESONDERS FÜR DIE OSSIS.
Man kann es betrachten wie mal will, Deutschland endet immer im Sumpf des Totalitären. Deswegen geht es auch immer weiter bergab.