Die Suche nach den Wurzeln des Krieges

Es gibt eine hartnäckige Legende, die vom möglichen Weg Rußlands nach Westen erzählt. Ein Zeitfenster dafür öffnete sich der Fama entsprechend nach den Napoleonischen Kriegen. Die Dekabristen wären – so wie Zar Peter I. – mit westlicher Zivilisation in Berührung gekommen und drängten auf eine Verwestlichung. Als Jugendlicher hatte ich mir mal ein paar Texte der Dekabristen besorgt. Sie atmeten nicht den rationalen Geist Westeuropas, sondern waren schwülstig und staatsgläubig. Man kann den Verschwörern nicht absprechen Reformer zu sein, aber sie blieben der orthodoxen, staatsfixierten und pathetischen Kultur Rußlands verbunden. Ich machte noch einen zweiten Versuch – es war damals nicht leicht vernünftige Literatur zu besorgen – und drang einige Seiten in die Ideenwelt von Wissarion Belinski ein: Auch bei ihm eigentlich protosozialistischer Kitsch. Der Gedanke, daß Rußland sich verwestlichen würde, war verlockend, wies er doch einen Irrweg aus der jaltalonischen Gefangenschaft. Trotzdem hakte ich das Thema „Verwestlichung Rußlands“ wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit ab.

Derzeit wird eine fruchtlose Diskussion über NATO-Bündnisfragen im Vorfeld von Rußland geführt, die meines Erachtens vom Pfad gründlicher Analyse wegführt und die eigentliche Problemstellung vernebelt. Ob Finnland, Estland oder Ungarn der NATO angehören ist für Rußland militärisch und politisch gelinde gesagt Wurscht.

Man muß sich mal die Frage stellen, warum gerade Weißrußland und die Ukraine zur Kampfzone geworden sind, und um welchen Kampf es sich handelt. Dazu ist es hilfreich einen Eintrag vom 30. Oktober 2021 noch einmal zur Kenntnis zu nehmen. Putin hatte vor Bewunderern seine Ängste ausgeplaudert. Er leidet wie der Chinesenführer Xi Jinping an der revolutionären Geschichte und fürchtet sich vor den Gespenstern seiner Jugendzeit: In Rußland wie in China herrschte die Jugendbewegung in ihrer kommunistischen Variante. Putin über die Oktoberrevolution:

„Etwas zerbrechen ist, wie Sie wissen, kein Aufbauen. Wozu das führt, wissen wir in Russland leider aus eigener Erfahrung und mehr als einmal sehr genau. Vor etwas mehr als hundert Jahren erlebte Russland objektiv, auch im Zusammenhang mit dem damaligen Ersten Weltkrieg, ernsthafte Probleme, aber nicht mehr als andere Länder, und vielleicht sogar in kleinerem Maßstab und noch weniger akut, und sie hätten nach und nach auf zivilisierte Weise überwunden werden können. Revolutionäre Umwälzungen führten jedoch zum Zusammenbruch, zum Zusammenbruch des großen Landes. Die Geschichte wiederholte sich vor 30 Jahren, als eine potenziell sehr mächtige Macht nicht rechtzeitig den Weg der notwendigen flexiblen, aber notwendigerweise durchdachten Reformen einschlug und dadurch Dogmatikern verschiedener Art zum Opfer fiel: sowohl Reaktionären als auch sogenannten Progressiven – Jeder hat es versucht, auf beiden Seiten. Diese Beispiele unserer Geschichte lassen uns feststellen: Eine Revolution ist kein Ausweg aus einer Krise, sondern ein Weg, diese Krise zu verschlimmern. Keine Revolution war den Schaden wert, den sie dem menschlichen Potenzial zufügte.“

(…) Natürlich sind die soziokulturellen Umbrüche, die in denselben Staaten und in Westeuropa stattfinden, nicht unsere Sache, wir gehen nicht dorthin. Jemand in westlichen Ländern ist überzeugt, dass die aggressive Auslöschung ganzer Seiten der eigenen Geschichte, die „umgekehrte Diskriminierung“ der Mehrheit im Interesse von Minderheiten oder die Forderung, das gewohnte Verständnis von so grundlegenden Dingen wie Mama, Papa, Familie aufzugeben , oder sogar Geschlechterunterschiede eine Meinung wären, und es gibt Meilensteine in der Bewegung zur sozialen Erneuerung.

Wissen Sie, ich möchte noch einmal betonen, dass dies ihr Recht ist, wir gehen nicht dorthin. Wir bitten Sie nur, unser Haus nicht extra zu betreten. Wir haben auf jeden Fall einen anderen Standpunkt, die überwiegende Mehrheit der russischen Gesellschaft – es wird natürlich genauer gesagt – einen anderen Standpunkt: Wir glauben, dass wir uns auf unsere spirituellen Werte, auf historische Tradition, auf die Kultur unseres multinationalen Volkes stützen. Die Anhänger des sogenannten sozialen Fortschritts glauben, dass sie der Menschheit eine Art neues Bewusstsein bringen, richtiger als zuvor. (…) Erst jetzt wissen Sie, was ich jetzt sagen will: Die angebotenen Rezepte sind völlig neu, das alles – wie es jemandem unerwartet erscheinen mag – wir haben es in Russland bereits durchgestanden, wir hatten es bereits.“

Ähnliche Vermutungen stellte Stefan Aust in seiner Betrachtung des Chinesenführers Xi an. Er wolle eine erneute Kulturrevolution mit allen Mitteln vermeiden.

Die Ukraine und Belorußland sind für Moskau wegen der sehr ähnlichen Sprache Quälstaaten. Wenn  deren Medien in die Hände der Jugendbewegung 2.0 fallen, wird Rußland ständig mit ideologischem Schrott berieselt. Und das ist sowohl in Konstantinopel, in Moskau, Delhi, Riad und Peking ein viel größeres Ärgernis, als militärische Präsenz. Ich habe in meinem Umfeld oft erlebt, daß moralische Überzeugungen und kulturelle Streitigkeiten viel mehr Erregungspotential haben, als wirtschaftliche oder handelspolitische Differenzen. An nichts anderem geilt sich rasende Wut so auf. Man sehe nur mal nach mit welcher Inbrunst der peinliche Suppenkasper Lauterbach seinen Feldzug für die vierte Spritze führt. Wegen Zöllen ist schon lange kein Krieg mehr ausgebrochen.

Dieser Umstand macht einen Friedensschluß so schwierig. Hilfreich könnte eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump werden. Er ist so ein innovativer und cooler Typ.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Rußland wird nur durch Rußland überwunden.“ (Fr. Schiller)

 

Beitragsbild von Bernd Zeller aus ZZ. Heute: Ministerposten sollten von mehreren Frauen besetzt werden.