Von Pilatus lernen heißt regieren lernen

Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet ihr zu!“ Sprach Pontius Pilatus, wusch sich die Hände in Unschuld und ließ Jesus kreuzigen.

Es war die fromme Osterzeit im Heiligen Land, die damals noch nicht Ostern, sondern das Passahfest gehießen wurde.

„Auf das Fest aber hatte der Landpfleger die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Er hatte aber zu der Zeit einen Gefangenen, einen sonderlichen vor andern, der hieß Barabbas. Und da sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr, daß ich euch losgebe? Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei Christus? Denn er wußte wohl, daß sie ihn aus Neid überantwortet hatten.

Und da er auf dem Richtstuhl saß, schickte sein Weib zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traum seinetwegen. Aber die Hohenpriester und die Ältesten überredeten das Volk, daß sie um Barabbas bitten sollten und Jesum umbrächten. Da antwortete nun der Landpfleger und sprach zu ihnen: Welchen wollt ihr unter diesen zweien, den ich euch soll losgeben? Sie sprachen: Barabbas. Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesu, von dem gesagt wird, er sei Christus? Sie sprachen alle: Laß ihn kreuzigen! Der Landpfleger sagte: Was hat er denn Übles getan? Sie schrieen aber noch mehr und sprachen: Laß ihn kreuzigen! Da aber Pilatus sah, daß er nichts schaffte, sondern daß ein viel größer Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk.“

Karl Lauterbach wird keinen eigenen sonderlichen Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht unters Volk bringen, so vermeldete der Spiegel nach einer Audienz für ihn. Er wird die Gesetzgebung an das Gewimmel der Hohenpriester und Ältesten des Bundestags losgeben. Das sei ein höchst unüblicher Vorgang, daß ein Minister ein zentrales politisches Projekt in seinem Zuständigkeitsbereich zwar lautstark einfordert, aber sein Ministerium dazu keinen Gesetzentwurf ausarbeiten läßt, schreibt Tichys Einblick. Das sei wohl neuartig, meint man in dessen Redaktion. Ist es aber nicht, siehe die Praxis der Entscheidungsherbeiführung bei Pilatus.

Unangenehme Gesetze bringt nicht mehr die Regierung ein, beschließt sie schon seit längerem nicht mehr in den Ministerien der verkoteten und verkoksten Reichshauptfavela Berlin, sondern man läßt sie von den Pharisäern und Schriftgelehrten in Brüssel ausbrüten, zum Beispiel das Abbrennverbot von  Zweigen, das Glühlampenverbot, die Staubwerte der Abgase usw. Als Chrustschoff den Eisernen Vorhang haben wollte, errichtete er den nicht selber, sondern ließ seinen Berliner Satrapen in Aktion treten. Das Kriegsrecht in Polen mußte der eingeborene Feldhauptmann Jaruselski durchsetzen und die Normalisierung in Tschechien leitete der frisch eingesetzte Unterkönig Husak. Kriminelles Zeugs ließ man immer schon gerne andere erledigen.

Im Hinterzimmer des Adlon treffen sich derweilen die Sekretäre des Reichsnachrichtendienstes und beraten über die Frage, wie man es den Hörern und Lesern verkauft, daß die bulgarischen Krankenschwestern vor der Impfpflicht verduften. Man einigte sich in der argumentativen Not auf das Klima. Der Praktikant Pilotius, der gerade erfolgreich sein Literaturstudium – Schwerpunkt Science Fiction – abgebrochen hatte, macht den Vorschlag, daß sich da es in Bulgarien ja wärmer sei als in Berlin, um lappische Krankenpfleger handeln müsse, die vor der Hitze an den Polarkreis flüchten. Er würde dort in der Polarnacht eine Vorortrecherche mit dem Rentierschlitten machen, wenn es der guten Sache diene. „Wenn das der Broder oder Reitschuster mitkriegt?“ Die Sekretäre brüten immer noch über den Risiken und fürchten Gesichtsverlust.

Derweilen spazieren im kalten Nieselregen drei Herren auf der Dachterrasse und blicken zum Fernsehturm, der gerade Fakenews von Marionetta sendet. Die Philanthrophen Stets, Moros und der Gesellschaftsorganisator Zuckerstein warten ungeduldig auf Lauterbach, um sich von ihrem Knecht den Stand der Impfpflicht rapportieren zu lassen. Lauterbach erscheint verspätet, ihn plagen wieder mal Zahnschmerzen.  Als Zuckerstein ihn nach seiner Zuarbeit befragt, sagt Karlchen, daß ein Reich der Impfung kommen werde, in dem keine Gewalt mehr notwendig sei. Moros, mit den Gedanken schon etwas weiter und leicht skeptisch, fragt: „Ist das die Wahrheit?“ und Lauterbach antwortet: „Die Wahrheit ist, daß mich der Zahn schmerzt.“

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst:

„Das Zahnweh subjektiv genommen ist ohne Frage unwillkommen, doch hat`s die gute Eigenschaft, dass sich dabei die Lebenskraft, die oft nach außen sich verschwendet auf einen Punkt nach innen wendet. Kaum wird der erste Schmerz verspürt, kaum spürt man das bekannte Bohren, das Rucken, Zucken und Rumoren und aus ist´s mit der Weltgeschichte. Vergessen sind die Kursberichte, die Steuern und das Einmaleins, ja jede Form gewohneten Seins, die sonst real erscheint und wichtig wird plötzlich wesenlos und nichtig. Man weiß nicht was die Butter kostet, ja selbst die alte Liebe rostet, denn einzig in der tiefen Höhle des Backenzahnes wohnt die Seele.“ (Wilhelm Busch)