Die geheimnisvolle Kraft dezentralen Aufruhrs

Wie sich die Zustände 1989 und 2022 gleichen: Flächendeckender unorganisierter Aufruhr bringt die Regierungspartei zur Weißglut und Verzweiflung. Nikolaus Doll vom WELT-Redaktionskollektiv setzte sich kritisch mit Nancy Faeser auseinander:

Doch der Appell der Innenministerin, man könne „seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln“, liefert Hass und Hetze neue Nahrung.

Ich glaub Herr Doll hat gar nicht verstanden, daß Nancy durch den Wind ist: Wie soll ich mich an vielen Orten gleichzeitig versammeln? Denn es handelt sich ja nicht um angemeldete Demos von irgendwelchen Organisationen, sondern vorgezogene Osterspaziergänge. Zu Ostern ruft ja auch nicht die AfD, die Basis oder die organisatorisch extrem zersplitterte Reichsritterschaft dazu auf, vor das Tor zu ziehen. Das machen die Leut einfach. Der sächsisch-weimarische Geh. Rath hätte gereimt:

Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder spaziert heute so gern,
Sie protestieren gegen die Herrn.
Denn sie sind übelst gestresst
Wegen dem langen Stubenarrest.
Aus Verordnungs- und Gesetzesbanden,
Aus der Quarantäne ewiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Mit Spontaneität hat die SPD als straff organisierte Sekte ihre ernsten Probleme, man sieht das ja auch daran, wie ungern Karlchen Lauterbach Genesene sieht, die nicht auf Anordnung der Partei und mit den vom Willy-Brandt-Haus zentral geplanten Impfstoffen immunisiert worden sind. Und genauso suspekt ist es Nancy, daß Einwohner auf die Gasse gehen, ohne daß es das Innenministerium, Greta oder die Antifa befohlen oder zumindest erlaubt hat.

1989 war es ja genauso: Es gab keine Parteien oder Organisationen, die Demos angemeldet haben, die Nationale Front hat sich wegen der führenden Rolle der Partei gehütet. Der Erste Sekretär und Vorsitzende des Staatsrates gab die Losung aus: „Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden“. Das Volk wurde mit dem Hinweis auf größtmögliche Freiheit vertröstet, man könne sich unter dem Dach des Kulturbunds als Rosenzüchter, Briefmarkensammler, Eisenbahnmodellbauer oder Freidenker zusammenfinden. Das war den Leuten aber zu muffig. Sie wollten endlich etwas von der Welt sehen und wie die Affen im Urwald Bananen essen.

In hunderten Städten und Dörfern gingen die Untertanen zu Tausenden auf die Straße, während gleichzeitg viele Wohnungslose nach Ungarn wegmachten, um sich endgültig zu verabschieden. Die Staatsmacht war damit überfordert, zumal Gorbatschoff das sture Ostberliner Marionettenregime gleichzeitig wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, weil es seine Kreise störte.

Ein Widerstand, der keine zentrale Führung hat, ist mit zentralistischen Mitteln sehr schwer zu bekämpfen. Als die Querdenker sich in Berlin versammelt hatten, war es für die Merkelisten mit wenig Polizei relativ einfach, zu verhindern und zu stören. Das Volk hat seine Lektion daraus gelernt. Nancy wird den Tag herbeisehnen, wo wieder eine zentrale Demo in Berlin angesetzt wird. Damals hatte das Regime die Lage deutlich besser im Griff.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Ach, daß es noch wie damals wär! Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!“ (August Kopisch, 1836)

 

Beitragsbild: Osterspaziergang 2021 vor Goethes Gartenhaus