Olaf Scholz aus weiblicher Perspektive

Meine bessere Hälfte hat Erfahrung mit Männern. Sie meint, daß Olaf Scholz kein Führer in dem Sinn ist, daß er etwas voranbringt. Er wird sich im breiten Strom von Medien, Verbänden, NGOs, quengelnden Parteigenossen, Sponsoren und Beratern treiben lassen. Der Bundeskanzler würde bei ihr durchfallen, auch wenn er 10 Zentimeter länger wäre.

Einige Bundeskanzler waren entscheidungsfreudig, vor allem Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Sie wurden zwar alle durch die eigene Partei zu Fall gebracht, aber bis dahin hatten sie einiges erreicht: Adenauer mit Erhard nach dem Kriege die Auflockerung der Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Elementen. Schmidt die Niederschlagung des 68er-Terrorismus, Schröder hat der deutschen Industrie einen langen Aufschwung erleichtert, der über seine Regierungszeit hinausreichte. Okay, jeder hatte auch verkorksten Mist gebaut, zum Beispiel die Riesterrente oder die Schändung von Sebnitz, aber das Positive überwog.

Helmut Kohl war im Prinzip auch kein Durchreißer, nur einmal lief er zu Hochform auf, wärend der Endkrise der Sowjetunion und ihres westlichen Satelliten. Das Image als Kanzler der Einheit überdeckte einige Schwächen, wie die Etablierung von Dr. M. und den Berlinumzug.

Konrad Adenauer hatte 1949 einen Trümmerhaufen übernommen, jeder konnte es sehen und mußte es fühlen. Aber die Funktionsweisen waren simpel, es gab viel weniger Paragrafen, viel weniger Zusammenhänge. Die wirtschaftliche, rechtliche und politische Lage war überschaubarer, als heute.  Das Bundesverfassungsgericht wurde noch nicht wegen jedem losen Hosenträger angerufen und das tat dem Land gut.

Heute ist das ökonomische, rechtliche und politische System hochgezüchtet auf ein Niveau, welches Handeln schwierig macht. Bei jedem Zug auf dem politischen Schachbrett ist die Zahl der Nebenwirkungen gewaltig. Die Zahl der Akteure, die etwas zu sagen haben, ist über Jahrzehnte ständig aufgeblasen worden, die Zahl der Verordnungen auch. Zudem ist die Wirtschaft durch Globalisierung, immer mehr Produkte und immer längere Lieferketten verletztlicher geworden.

Es ist ein Irrglaube, daß durch Digitalisierung alles einfacher und billiger wird. Es wird auch störanfälliger, „just in time“, ein typisches Kind des Computers und der email, ist dafür ein Exempel. Per email wird das zehnfache an Post erzeugt, als früher per Brief. Als das CAD-Zeichnen aufkam, glaubten einige Optimisten, daß Planen nun billiger wird. Sie haben nicht auf dem Schirm gehabt, daß die Auftraggeber viel mehr bunte Präsentationen sehen wollen, meistens ohne zu bezahlen. In den Buchhaltungen steht zweimal im Jahr alles Kopf, wenn wieder ein Update der Lohnprogramme kommt.

Im Unterschied zu 1949 sieht die Lage 2021 besser aus, als sie ist. Olaf Scholz befindet sich in den eigenen Hinterlassenschaften und denen von Dr. M. in einer Situation, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde: Riesige selbstgemachte Probleme der Energiesicherheit und der damit verbundenen Kostenstruktur, Rohstoffknappheit, die beginnende Inflation, eine schrumpfende industrielle Basis, Staatausgaben, die mit den Einnahmen nicht mehr das Geringste zu tun haben, immer mehr Großfamilien, die ein kriminelles Eigenleben führen, in die Höhe schnellende Kosten des Sozialsystems und im Bundestag etwa hundert maulende rote und grüne Jungtürken, denen der Lauf ins Verderben nicht schnell genug geht.

Gerhard Schröder hatte das Spiel wegen nur fünf Querulanten verloren, Olaf Scholz hat von Anfang an wesentlich mehr. Schon bei seiner Kanzlerwahl gab es 14 Abweichler. Wenn er ein Kerl wäre, würde er mit frischem Schwung irgendwas durchziehen, zum Beispiel die Kernkraftwerke nicht abschalten, die Autoindustrie retten und den Energiepreis senken. Und dann eben in Würde scheitern und wie Schröder wenigstens nicht als völliger Lappen in den Geschichtsbüchern stehen.

Ich fürchte meine Freundin hat recht. Sie hält Olaf Scholz für einen Zauderer und würde ihn als Mann nicht mit der Kneifzange anfassen. Ach, wenn sie sich doch irren würde!

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“ (Gerhard Schröder 2003)

 

Beitragsbild von Bernd Zeller. Heute in der ZZ: Staatsschutzministerin wittert Kontertransformation