Inflation und Machtergreifung
In den 90ern fiel mir das Geschichtslehrbuch meines Jüngsten in die Hände. Interessehalber schlug ich mal die Seite auf, auf der der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich beschrieben wurde. Die Argumentation war sehr dünn: Schuld war die Verelendung in der Weltwirtschaftskrise. Punkt.
„Eine genaue Schilderung dessen zu geben, was nie passiert ist, ist die eigentliche Aufgabe des Historikers“, höhnte Oskar Wilde. „Nur wenig gibt es, das sich nicht mittels einer gedachten Geschichte darstellen lässt“, schrieb Hobbes in seinem „Leviathan“. Der populärste Erfinder und Propagandist einer gedachten Geschichte über Hitler war Sebastian Haffner. Er malte das Bild der Weimarer Republik mit dem Malkasten der frühen Bundesrepublik. Das erhöhte zwar die Verständlichkeit für die Leser, sie verstanden aber Unsinn. Das Ergebnis seiner historischen Diskurse verstellt den Blick auf die Spezifik der Zwischenkriegszeit. Die Ursachen für das Abrutschen in den Nationalsozialismus waren anscheinend so banal. „Die Not war der erste Grund, der Hitler die Massen zutrieb“ schrieb Sebastian Haffner in seinem Rückblick „Von Bismarck zu Hitler“. Nebenher erwähnte er noch einen erstarkenden Nationalismus (den es wegen der Kriegspropaganda und Versailles durchweg seit 1914 gab) und das politische Format des Führers. Die Inflation mit der Deklassierung der Bildungsbürger fiel hinten runter.
Einige Jahre später (etwa 2006) suchte ich intensiv nach Ursachen dieser Machtergreifung und stieß bei den Recherchen auf die Inflation von 1923. In meinem Buch „Der Bausatz des Dritten Reiches“ habe ich das begründet, wobei ich die Wirkung der Weltwirtschaftskrise als einen der weiteren Faktoren nicht leugne. Monokausale Erklärungen sind fast immer falsch, sicher entfaltete auch die Krise noch Schubwirkung.
Meine Argumentation damals:
„Unter den deutschen Besitzern von vernichtetem Geldvermögen waren besonders viele Bildungsbürger, die ihre Ersparnisse in mehr oder weniger flüssiger Form thesaurierten und die naturgemäß weniger unbewegliches Anlagevermögen hatten, als Landwirte, Industrielle oder Handwerker. Die Besitzer von Geldvermögen waren in der Regel schon durch die neue Verteilung des BSP zurückgesetzt, durch die Inflation wurden sie ein zweites Mal zur Kasse gebeten. Da die Betroffenen meist zu den Kriegstreibern gehörten, war es zwar moralisch gerechtfertigt, sie um ihr Vermögen zu erleichtern, ob es jedoch auch clever war, ist eine andere Frage. Viele Multiplikatoren der gedruckten und gesprochenen Meinung gehörten der Schicht der um ihr Vermögen Gebrachten an und waren bis zum bitteren Ende erklärte Feinde der Republik und insbesondere der SPD.“
Man muß sich mal vergegenwärtigen, daß bereits 1928/29 – also noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise – alle Studentenausschüsse der Unis (bis auf eine einzige) mehrheitlich vom nationalsozialistischen Studentenbund gestellt wurden. Das war die Rache der Enterbten. Zwischen 1924 und 1928 wählten die meisten Frustrierten neben der NSDAP noch skurrile Kleinparteien wie die Wirtschaftspartei, die Landbünde, die Volksrechtspartei, ab 1929 dann nach deren Scheitern fast nur noch NSDAP.
Fünfzehn Jahre sind verflossen und ich sah mir ein Video mit einem Gespräch zwischen Prof. Sinn und Roland Tichy an. Sinn ist nun nicht mehr Institutsdirektor und hat etwas mehr Beinfreiheit. Keine Angst, ich habe es auf weniger als zwei Minuten eingekürzt:
Prof. Sinn sieht es auch so: Das einschneidende Ereignis, welches der Republik den Garaus machte, war die Inflation. Diese Erkenntnis sollten wir im Auge behalten, wenn wir die aktuelle von Frau Lagarde geschaffene Situation bewerten.
Auf jeden Fall sollten wir nicht zu jenen gehören, die von der EZB und vom Weltwirtschaftsforum des Herrn Schwab geprellt werden. In der Zone gab es den richtigen Leitspruch dazu: Lerne klagen ohne zu leiden.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Jetzt müßt ihr aus den Euronen raus, wenn ihr keine Wutbürger werden wollt.
Prof. Sinn. ach ja, dabei sympathisierte er im Interview (habe mir fast alles angesehen, bis es mir dann doch zu grün wurde) mit öko-grüm-klima-Gedöns. Seit 1980 gehenmir die Ökos auf den Zeigen und ich habe vor allem in den letzten 25 Jahren ein deutliche Aversion gegen diese grüne Unvernunft entwickelt. Wenn ich Beiträge höre oder lesen, die mit dem Satz“. nicht segeln Umweltschutz/Klima etc…“ anfange bekomme ich Krätze, Übelkeit und Kopfschmerzen. Ich kann diesen Müll wirklich nicht mehr hören. allerdings vermute ich, dass ich zu einer Minderheit gehöre, wenn ich nicht gerade im Kraftwerk „zu tun“ habe.
„Lerne klagen ohne zu leiden“ muss heute heissen „Lerne leben ohne zu leisten“ – Beine hoch, Steuerhahn abdrehen. Viele Impfgegner warten beispielsweise nur darauf, aus der Krankenkasse geworfen zu werden.
P.S. Die Inflation lief doch schon seit Beginn des europäischen Wettrüstens, an dem sich alle gern beteiligten. Und jede der europäischen Nationen gedachte, sich über Reparationen und Eroberungen bei dem Verlierer zu sanieren. Allerdings hatten sich alle bis auf eine auch entsprechend rückversichert.
Die Universitäten waren damals noch nicht der Massenbetrieb, da blickt der werte Autor auch mit heutigen Augen hin. Die berühmte Kriegsjugendgeneration, um 1900 geboren und zu jung für den 1. WK, wollte rasch einen neuen ausfechten. Strohtod vs. Heldentod. Und: ob organisiert jugendbewegt oder nicht, junge Leute sind immer begeisterungsfähig und lassen ihr Leben gern, stellte schon ein gewisser jemand fest („dazu sind die jungen Leute doch da“).
„Lerne klagen ohne zu leiden.“ Den Spruch las ich an einem Haus von etwa 1900 – nur vertauscht. 🙂
Aus dem, was ich an zeitgenössischen Autobiographien, Unterhaltungsromanen u.ä. kenne, würde ich sagen, die Inflation wurde als Naturkatastrophe aufgefasst. Wenn man die Regierung kritisierte (das war damals nicht unbedingt die SPD), dann höchstens weil ihr nichts eingefallen war, um diese Katastrophe zu verhindern oder zu steuern .Die großen Vorwürfe waren Dinge wie Erfüllungspolitik usw.
Trotzdem ist an der These was dran. Das Weimarer System hatte vor der Inflation Chancen, die Bildungsbürger zu gewinnen – nach der Inflation war die Entfremdung so groß (die Ruinierten hatten gelernt, dass sie auf sich selbst gestellt sind), dass diese Chance nicht mehr bestand.
Das leuchtet ein. Wie schätzen Sie die heutige Lage ein? Werden nicht wieder große Teile des Bürgertums die Verlierer sein? Könnte das System auf sehr niedrigen Niveau trotzdem stabil sein (ähnlich der Sowjetunion)?
Ich würde bei einer in mehreren demokratischen Wahlen mit sich steigernder Mehrheit verfassungsgemäss gewählten Regierungsfraktion lieber nicht von „Machtergreifung“ sprechen. Hinterher war es „Machtsicherung“, genau wie wir es jetzt gerade erleben.
Selbst nach Auskunft aller denkbaren des Lesens kundigen Kriegsgegner war die Reichsverfassung von Prof. Preuss ein Musterbeispiel für jedes Demokratie-Lehrbuch.
Artikel 1 der Reichsverfassung behandelte den Aufbau des Staats, das Grundgesetz handelt im Artikel 1 von den Grundrechten, was aber, wie sich jetzt zeigt, nur um Absichtserklärung war und in verschiedene Richtungen interpretierbar wird und nicht das Papier wert ist.
Entscheidend ist die Praxis und nicht der nochmalige Abdruck der Bibel.
Mit Moral kann man jedes Argument aushebeln, wie zum Beispiel, du bist doch für den Frieden, oder, du willst doch nicht andere Menschen mit deinem Unwillen gefährden, wobei sich hinter der Argumentation nur eine egoistische Scheinmoral verbirgt und die Moral als Argument missbraucht wird.
Was hier zurzeit geschieht, ist gegen jahrhundertelang gewachsene Moral.
Ja, mit monokausalen Erklärungen sollte man vorsichtig umgehen, gerade bei einem so komplexen Geschehnis wie es eine geschichtliche Entwicklung ist (wo man über politische Strömungen, über Zeitgeist, über Ökonomie etc. redet). Jedoch gibt es immer wieder auch Schlüsselgeschehnisse, die dem Geschehen eine neue Richtung geben können; die sollte man auch im Auge behalten.
Wie auch immer: Die Inflation 1923, so schlimm wie die war, wird von Herrn Sinn und von Ihnen, Herr Prabel, m.E. viel zu hoch angesetzt, in dem, was sie angeblich zehn Jahre später (mit-) verursacht haben soll. Das, was sie über die Studentenausschüsse mitteilen, ist bedenkenswert. Aber von den Studentenausschüssen zu den Studenten, dann zu den Arbeitern und Angestellten ist ein weiter Weg. Die Studenten in den späten 1920er Jahren waren ganz sicher nicht die „Enterbten“ und egal, was deren Eltern erlebt hatten durch die Inflation: Die Studenten in dieser Zeit waren eher die Privilegierten. Und dass die Wahl von „skurrilen Kleinparteien“ eine Rache der „Enterbten“ und „Frustrierten“ war, kann ich den Wahldaten der Weimarer Republik nicht entnehmen. Die von Ihnen genannten „skurrilen Kleinparteien“ hatten ja insgesamt weniger als 10% der Stimmen. Und Hitler, für den ja angeblich die Deutschen durch die Inflation zurechtgelegt wurden, erhielt in der ersten Wahl, an dem seine NSDAP teilnahm (6.5.1924, also unmittelbar nach der Inflation) nur 6,5%; bei der nächsten Wahl im selben Jahr am 7.12.1924 bekam er gar nur noch 2,9% und bei der darauffolgenden Wahl am 20.5.1928 nur noch 2,6%.
Dies alles passt nicht zu Ihrem Satz: „Das einschneidende Ereignis, welches der Republik den Garaus machte, war die Inflation.“ Das beherrschende politische Thema der „Deutschnationalen Volkspartei“ (um Hugenberg) und der NSDAP (um Hitler) war nach meinem Eindruck der Versailler Vertrag. Inwiefern (und ob überhaupt) diese autoritär bis rechts-faschistischen Parteien die Inflation überhaupt zum Thema ihrer politischen Agitation machten, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Da müsste ich zuerst noch mal die Quellen studieren. (Meine Arbeitshypothese dabei wäre auch, ob die links-faschistische Partei KPD nicht eher ein agitatorisches Interesse an diesem Thema „Inflation“ haben müsste. Es würde zu deren ökonomischer Unbedarftheit passen, die Inflation als böses Übel des Kapitalismus hinzustellen, obwohl doch diese Inflation ihren Ausgang in der kriegsökonomischen Planwirtschaft hatte.)
In meiner Sichtweise (was „der Republik den Garaus machte“) spielt das nächste Wahlergebnis der NSDAP (nach den oben genannten) eine Rolle: Am 14.9.1930 kamen die Nazis auf 18,3%! Das ist eine Steigerung um fast 16% zur Wahl vorher! Was war passiert? Passiert war folgendes: Die SPD-geführte Regierung hatte im März 1930 „in den Sack gehauen“ und die SPD (Hermann Müller war der SPD-Kanzler) hatte die Regierung aufgelöst. Anlass war ein solch nichtiger Grund, dass ihn oft auch Kundige der Zeitgeschichte nachschlagen müssen. Jedenfalls: Die SPD hatte die Bankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie abgegeben mit dieser Aktion. Staatsverantwortung? Regierungsverantwortung? Pustekuchen! Einfach vom Acker gemacht hat sich die SPD (als mit Abstand größte Partei im Reichstag (!) mit 28,7%, die nächstgrößte Partei war die DNVP mit 14,2%). Anschließend gab es nur noch sog. Präsidialkabinette, deren letztes das Hitler’sche war.
Gleichzeitig mit diesem Niedergang der parlamentarischen Demokratie erhöhten die dezidierten Anti-Demokraten (NSDAP und DKP) ihre antidemokratische Agitation. Und bei der Wahl am 31.7.1932 war es dann geschehen: Die antidemokratischen Parteien, die immer geplärrt hatten, sie wollen die schwache Demokratie abschaffen, hatten ihr agitatorisches Ziel erreicht: Die Weimarer Demokratie hatte keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung (die antidemokratische NSDAP erreichte 37,2%, die antidemokratische KPD 14,2%). Das war’s! Zwar verlor die NSDAP bei der nächsten Wahl im gleichen Jahr (6.11.1932, die letzte freie Wahl vor der Hitler-Diktatur) wieder über 4%-Punkte, aber die roten Faschisten (KPD) gewannen ca. 2,5%-Punkte.) (Als die Demokratie dann dahin war, haben bekannterweise die braunen Faschisten das Rennen gemacht, die roten Faschisten waren beleidigt und haben die sog. „Antifa“ (sic!) gegründet.)
Für mich war die unfähige SPD der letzte und entscheidende Sargnagel der Weimarer Republik. Da ändert auch nichts die große Rede des SPD-Abgeordneten Wels bei der Abstimmung über das Hitler’sche Ermächtigungsgesetz was dran. Mit vollen Hosen lässt sich eben gut stinken (hier mal nicht in der übertragenen Bedeutung). Eine solche Rede hätte er besser im März 1930 vor der SPD-Fraktion gehalten. Das wäre Staats- und Regierungsverantwortung gewesen!
Das Wunder der Stresemannjahre 24-29 scheint einzig und allein auf der Zurückhaltung Frankreichs beruht zu haben, das sich während dieser kurzen Zeit zur Abwechslung mal eher als Führungsmacht Europas denn als Zerstörer Deutschlands benehmen wollte.
Entscheidend waren amerikanische Kredite, die das Reparationskarussell (Deutschland > Frankreich > Rückzahlung der Kriegskredite an Amerika) am Laufen halten sollten, in der Praxis aber zweckentfremdet wurden. Damit wurde zum Beispiel der Import von Rohstoffen bezahlt.
Auf der schiefen Ebene von 1920 bis zum Untergang der US-Wirtschaft und damit der Weltwirtschaft in 1929, den selbst das zu der Zeit am weitesten gespannte britische Empire nicht vollständig abfedern konnte, lernte Europa, dass es aus der bestimmenden Rolle in der Welt sich selbst herausgeschossen hatte.
Schuld in aller Augen waren Deutschland und Österreich.
Daher war es seitens der französischen Regierung eine hoch zu achtende Leistung, eben mal ein paar Jahre die Füsse still gehalten zu haben.