Ein haarsträubendes Beispiel für Zensur?

Die Aktuelle Kamera berichtete am 6. Oktober 1989 über den FDJ-Fackelzug am Vorabend des letzten Republiksgeburtstags in Ostberlin. Ich habe sonst kein Ostfernsehen angemacht, aber es roch im Oktober schon so stark nach Verwesung, daß ich eine Ausnahme machte. Und meine Selbstverleugung und Ausdauer wurde belohnt.

Man muß das, was geschieht, immer an den Möglichkeiten messen. Große Teile der Bevölkerung waren durch das Paneuropäische Picknick, die Ausreisemöglichkeiten über Ungarn und die Nachrichten aus der Botschaft in Prag ermutigt, etwas mehr zu riskieren, als üblich. Andererseits war der Staatsapparat noch nicht ganz zusammengebrochen. Das sollte sich einen Tag später an den Prügelorgien in Ostberlin zeigen. Eine seltsame und kurze Zeit der Doppelherrschaft war angebrochen, wo man nicht genau wußte ob die Russen oder die Preußen die Hosen anhatten.

Am Vorabend des 7. Oktober war ein Fackelzug der FDJ organisiert worden. Die Marschblöcke der größeren Bezirke wie Halle, Dresden und Karl-Marx-Stadt umfaßten jeweils etwa 10.000 Jugendliche, die der kleineren wie Suhl oder Frankfurt weniger als 5.000. Bei diesen Unmengen konnte natürlich nicht so stark gesiebt werden, so daß neben den Instrukteuren und Propagandisten der Bezirks- und Kreisleitungen auch viele Normalos mitliefen.

Auf der Tribüne war nicht nur die Parteiführung aufgestellt worden, sondern auch ausländische Kommunisten waren zu sehen, insbesondere der russische Parteichef Gorbatschoff, dem nach dem Verbot des „Sputnik“, einer deutschsprachigen Propagandazeitschrift der KPdSU, der Ruf eines Reformers anhing.

Vor der Tribüne war wegen mangendem Vertrauen in die Linientreue der Jugendlichen ein dreireihiger Kordon von Security aufgestellt, vermutlich aus dem Wachregiment und sonstiger Gestapo.

Es dauerte Stunden, bis die 100.000 Leutchen vorbeigezogen waren. Es war deutlich zu hören, daß aus den Blöcken der Südbezirke „Gorbi-Gorbi“-Rufe erschallten, laut genug, daß die Tontechnik des Ostfernsehens das nicht wegbekommen hat. Die Kameras drehten dann öfter zum Wachregiment, welches aus Leibeskräften „Erich-Erich“ brüllte.

Es gibt dazu ein Video von der Hauptausgabe der AK, wo der Ton an den interessanten Stellen „aus rechtlichen Gründen“ wegzensiert wurde. Wie weit sind wir in diesem Orwellstaat schon gekommen?

Es fällt auch auf, daß nicht alle die Verbandskleidung anhatten. Zwischen den Stimmungskanonen der Partei sieht man auch viele Normalos relativ uninspiriert vorbeilaufen. Das ist ganz ähnlich wie bei FfF, wo auch nur vor den Lehrern schöngetan wird.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „“Falschheit nur und Verstellung ist dem Umgang der Menschen, / keiner erscheint, wie er ist.“ – Danke dem Himmel, mein Freund! (Geh. Rath. v. Goethe)