Margarita und der Meister – 3. Teil und Schluss
Gastbeitrag von Helmut Roewer
Der eine oder andere Leser mag sich erinnern, dass ich mir gegen Ende des Jahres 2020 den seit Jahrzehnten in einem Regal schlummernden Roman von Michail Bulgakow „Der Meister und Margarita“ vornahm und ihn erneut las. Den Anstoß hierzu hatte der Blogger Wolfgang Prabel gegeben.
Die weibliche Hauptperson Margarita, der es gelingt, den im ganz und gar gottverlassenen Moskau auftauchenden Teufel zu bezirzen, hat es sicher schon vielen vor mir angetan. Ich malte mir aus, was das wohl für eine im wirklichen Leben gewesen sein mochte, die da, ohne es zu ahnen, dem Dichter Modell gestanden haben mochte.
Ich ging den Lebensläufen und Portraits von etlichen Russinnen nach und schrieb über zwei von ihnen: die Sowjetagentin und Muse Albert Einsteins, Margarita Konjenkowa, und die schreckliche sowjetische Funktionärin Warwara Jakowjewa, deren Leben schließlich 1941 durch einen Schuss ins Hinterhaupt, wie es in den Akten ganz prosaisch heißt, beendet wurde. Gewiss, es waren Mutmaßungen. Nicht, was die Existenz dieser Frauen anbelangt, sondern dass Bulgakow sie portraitierte.
Erst anschließend – fürwahr eine komische Reihenfolge – beschäftigte ich mich mit dem kurzen Leben des Michail Bulgagow (1891-1940), las seine Briefe, Notizen und Tagebuchfragmente. Dass das Sowjetregime ihm übel mitspielte, das wusste ich schon vorher, aber nicht wer und wie. Es waren Hetzkampagnen, die über die gleichgeschaltete Presse losgetreten wurden. Sie machten aus dem genialen Dichter, Theatermann und Romanautor eine konterrevolutionäre Unperson. Die Täter dieser Hetze treten beim Lesen von Bulgakows Aufzeichnungen aus den Kulissen heraus. Einer wollte den anderen übertreffen. Es waren diese devoten Helfershelfer, die den Mann vernichteten. Sie brauchten keine Weisung von höchster Stelle. Sie handelten freiwillig. Sie wollten bei Hofe gefallen.
An der Spitze des Denunziantengesindels der sowjetischen Spitzenfunktionär Anatolij Lunatscharskij. Äußerlich gab er den intellektuell Aufgeklärten, der in der Welt herumtourte, um für das Sowjetsystem zu werben. Zu diesem Zweck zelebrierte er eine öffentliche Ehedarstellung mit einem Luxus-Weib, die ihn bis hinein in die Schickeria Berliner Salon-Bolschewiken zum Heroen aufsteigen ließ. Die Magazin-Macher drängten sich um das glitzernde Paar. Über Hungernöte, Zwangsarbeit und Verelendung der russischen Massen fragte sie niemand.
Eine Bolschewikin als Femme Fatale: Natalja Rosenelli-Lunatscharskij posierte 1928 für das Berliner Magazin Uhu. Daneben ihr Ehemann, der Spitzen-Bolschewik Anatoli Lunatschaskij, im durchaus großbürgerlichen Habit (Aufnahme von 1932). Er verhinderte, dass der verfemte Bulgakow aus der Sowjetunion ausreisen durfte.
Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Mir auch, denn zugleich war dieser Lunatscharskij, dieses Wunder an sowjetischem Liberalismus, derjenige, der den Ausreisewunsch des mundtot gemachten Bulgakow zunichte machte. Man kann es verstehen, denn nichts fürchtet ein autoritäres Regime mehr als den Spott. Bulgakow war ein solcher Spötter, scharfzüngig und von einer beneidenswerten Beobachtungsgabe. Er wusste genau, was in der Sowjetkaste vor sich ging, seine Aufzeichnungen und nicht zuletzt der Margarita-Roman belegen dies. Gerne hätte man alles gelesen, doch die Geheimpolizei OGPU beschlagnahmte die Tagebücher und rückte sie niemals wieder raus. Es wäre zu wünschen, dass sie eines Tages aus einem finsteren KGB-Archivwinkel wieder auftauchten.
Bulgakow war in seinem kurzen Leben dreimal verheiratet. Mit Tatjana, Ljubow und Jelena – nacheinander. Die erste bekämpfte die Morphium-Sucht des jungen Arztes, dann verließ er sie wegen der zweiten, die er verließ, nachdem ihm die dritte über den Weg gelaufen war, die verließ er, als ihn das Leben verließ. Erst als ich mich mit diesen Frauen zu beschäftigen begann, kam mir der Verdacht, dass eine von ihnen bei der Margarita Modell gestanden haben könnte. Ich tippe intuitiv auf die erste, aber das mag eine persönliche Vorliebe sein. Oder vielleicht waren es alle drei? Am wenigsten wohl die letzte, denn ihr ist es zu danken, dass der Roman Jahrzehnte später erscheinen konnte. Sie hatte das Manuskript entstehen sehen und kannte seinen Inhalt. Fühlte sie sich getroffen, oder sogar gut getroffen? Ich weiß es nicht. Es ist Geschmackssache. Urteilen Sie selbst.
Die realen Margaritas im Leben des Meisters: Tatjana Wassiljewna Bulgakowa (Татяна Васильевна Булгакова), Ljubow Beloserskaja (Любов Белозерская), Jelena Schilowskaja (Елена Шиловская).
©Helmut Roewer, Juli 2021
Kenne das Buch.
Welcher realen Person die Margarita nachempfunden wurde, ist Spekulation.
Eine der Ehefrauen? Interessante Sichtweise.
Da ich über sie nichts wusste, habe ich das gemacht was man eigentlich nicht machen sollte, ich habe bei „Wikipedia“ nachgesehen.
Nichts Erhellendes dazu gefunden.
Aber etwas anderes.
Großes Erstaunen meinerseits:
Geburtsort Bulgakow
„Kiew, Russisches Kaiserreich“.
Das ist neu !
Wer denkt da nicht an Victor Klemperer?
Suggestion: „Kiew hat nichts mit Russland zu tun“
Wie wird doch Weißrussland neuerdings in den Lügenmedien genannt?
„Belarus“.
Suggestion: „Belarus hat nichts mit Russland zu tun“
Die Machthaber gehen auf „all in“.
Sie überlassen nichts mehr dem Zufall.
Das nur mal so am Rande.
@ Harri Kiri
Da müssen Sie ein anderes Wikipedia benutzen als mich. In meinem steht: M.A. Bulgakow, Geburtsort Kiew, Ukraine. In diesen Jahren gab es keine Ukraine. Es gab die inoffizielle Bezeichnung Okraina, d.h. Randgebiet. Kiew war Russisches Kaiserreich, so wie Sie es beschrieben haben, aber nicht bei Wikipedia gefunden haben können. Wikipedia ist eben immer auf dem neuesten Stande.
> aber nicht bei Wikipedia gefunden haben können
Ahem, doch: https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Afanassjewitsch_Bulgakow
Davon abgesehen – wunderbares Buch:
Angetan mit einem blutrot gefütterten weißen Umhang,
mit schlurfendem Kavalleristengang erschien eines
frühen Morgens, am Vierzehnten des Frühlingsmonats
Nissan, im überdachten Säulengang zwischen den beiden
Flügeln des Palastes Herodes’ des Großen der Prokurator
von Judäa, Pontius Pilatus.
Merke mir selten Dinge auswendig, aber das Stueck ist haengengeblieben (wenn hier auch trotzdem nur hinein kopiert).
Man muss das Werk dekonstruieren, dekolonisieren sowie in gerechte & einfache Sprache übersetzen, dann heisst es „Maggie mastert Ihn“.
In meiner Wikipedia liegt Kiew zur Zeit Bulgakows Geburt auch im Russischen Kaiserreich.
Herr Blaschke, als Bulgakow geboren wurde, war Kiew in Russland:
https://de.wikipedia.org/wiki/Russland#/media/Datei:Growth_of_Russia_1613-1914.png
Die Staatsform Russlands war damals eine Monarchie, deshalb Russisches Kaiserreich.
Die Assoziation Kiew- Russland soll aber unbedingt vermieden werden, ebenso wie „Weißrussland“ automatisch eine Verbindung mit Russland sichtbar machen würde.
Sollte Belarus oder die heutige Ukraine wieder Teil der russ. Förderation, sprich Russlands, werden wollen, dann ist das historisch völlig abartig und nichts anderes als eine Einverleibung. So die Intention der Machthaber und ihrer Geschichts(-um)schreiber
@ Harri Kiri
Ich weiß das. Aber, wie gesagt in der Wikipedia, die ich lesen kann, steht „Kiew, Ukraine“. Und wie gesagt gabe es bis 1920 keine Ukraine.
Die Ukraine gab es immer, so wie es auch Thüringen gab, als es einige Bezirke waren. Kulturelle Bezüge sind immer wichtiger als Staatsgrenzen. Das Problem der Ukraine ist ihre Heterogenität zwischen Habsburg, Litauen, den Kosaken, dem Kolonialland im Osten und anderen Einflüssen.
https://www.youtube.com/watch?v=nufte3K6CzU
@ Herr Prabel, auch Thüringen gab es nicht immer. Es gab auf dem Gebiet des heutigen Thüringen eine Unmenge von Duodezherrschaften, die in ihren Namen alles was mit Sachsen hatten. Z.B.. Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen- Weimar etc. Nach 1815 war dort Königreich Preußen, Provinz Sachsen.
Der Teil der heutigen Ukraine, der schon immer zum russischen Reich gehörte, hieß Malorossija (Kleinrussland), im Volksmund Okaraina, Randgebiet.