Lobbyismus hat in Berlin kaum noch Zweck

Naive Seelen wundern sich, warum die Vorstände der DAX-Konzerne den ruinösen Vorgaben der Bundesregierung und der EU so wenig Widerstand entgegensetzen. Warum fressen sie die Luftsteuer, die Energieeinsparverordnung, die Taxonomie und das EEG ohne zu klagen, warum protestieren sie nicht stärker gegen die Abgaswerte? Die Übergriffigkeit der Politik ist kein rein deutsches Problem. Shell wurde aktuell von einem niederländischen Gericht verdonnert, mehr für das Klima zu tun.

Für Shell sind die Niederlande wirtschaftlich etwa ungefähr so unwichtig, wie Deutschland es für Delivery Hero ist: Nur noch Bruchteile der Produktion und des Umsatzes werden im Land des Firmensitzes erwirtschaftet. Man kann das schlecht oder auch gut finden: Gut ist, daß die DAX-Unternehmen von Dr. Merkel, Greta und vdL nicht kaputtgespielt werden können. Sie weichen idiotischem Druck bestimmter Regierungen und Organisationen zunehmend aus. Entsprechend den Doppelbesteuerungsabkommen wird in der Regel da besteuert, wo die Wertschöpfung stattfindet. Da gibt es naturgemäß Unschärfen und Anreize zu mißbräuchlichen Gestaltungen, wo ein möglichst großer Teil mit fadenscheinigen Ausreden (Verwaltungskosten, Lizenzen, Patente…) in billigen Staaten versteuert wird. Die Republik Irland mit geringen Steuersätzen ist der klassische Profiteur. Aber niemand hindert Olaf Scholz daran den Iren nachzueifern.

Das besagte Unternehmen Royal Dutch Shell ist in den Niederlanden, dem UK, den USA, in Kanada, Nigeria, Malaysia, den Philippinen, China, Norwegen, Brasilien, Quatar, Singapore und Rußland sehr aktiv, insgesamt wird in 70 Ländern gearbeitet. In der Stunde der Not, wenn die Gesetze und Richter zu lästig werden, kann man das Unternehmen umtopfen und der Firmensitz ist dann halt woanders, wo CO2 nicht die erste Geige spielt.

Wer sich mit der Firmengeschichte des Mailänder Autobauers FIAT beschäftigt, wird was das Vagabundieren von Firmen betrifft, fündig. Erst wurde mit Crysler fusioniert, dann mit Peugeot (PSA). Der Firmensitz befindet sich weder in Italien, noch den USA und auch nicht in Frankreich. Die Zentrale ist derzeit in Amsterdam, welches keine bedeutende Fahrzeugbautradition, aber offensichtlich andere Vorzüge hat.

Mit dem Deutschsein ist es auch so eine Sache. Die Telekom heißt zwar Deutsche Telekom, in Wirklichkeit ist sie weltweit unterwegs. In den Vereinigten Staaten macht sie mehr Umsatz als in Deutschland, zahlreiche Tochterfirmen und Beteiligungen gehören dazu, unter anderen T-Mobile USA, Magyar Telekom mit dem Makedonischen Ableger, T-Mobile Polska, Hrvatski Telekom, T-Mobile Netherlands, T-Mobile Czech Republic. Dazu kommen dutzende Zweckgesellschaften.

BMW hat die Motorenentwicklung bereits nach China verlagert, die technisch simple E-Ware wird künftig in Deutschland produziert. Produktionsstandorte befinden sich derzeit in Deutschland, China, USA, UK, Mexiko, Brasilien, Indien,Thailand, Ungarn und Österreich. Man ist genau wie Daimler auf der Flucht. Nur VW liegt wegen Staatsbeteiligung an der niedersächsischen Kette.

BASF beschäftigt weltweit 110.302 Mitarbeiter an über 390 Produktionsstandorten in mehr als 80 Ländern. Größere Standorte sind u.a. Ludwigshafen (dort sind rund 39.000 Mitarbeiter beschäftigt, 1990 waren es noch 55.000), Düsseldorf/Monheim (BASF Personal Care and Nutrition GmbH), Münster (BASF Coatings), Lemförde (BASF Polyurethanes),Nienburg/Weser (Catalysts Germany GmbH), Schwarzheide, Basel (BASF Schweiz AG, ehemals Ciba), Antwerpen, Port Arthur, Freeport (beide Texas), Geismar, Ascension Parish (Louisiana), Altamira (Mexiko), Kuantan, (Malaysia) und Nanjing, (China).

Siemens: Schon Anfang der 1980er produzierte Siemens in 37 Ländern in 141 Fabriken. Die Nicht-Deutschen Konzernumsätze waren schon um die 1980er-Jahre mit 50 Prozent stark am Konzernumsatz beteiligt. In den 1990er-Jahren stieg der ausländische Anteil auf zwei Drittel an. Der Siemens-Konzern (inkl. Joint Ventures und Beteiligungen) beschäftigte 2018 weltweit rund 378.000 Mitarbeiter. Dabei ist eine Entwicklung hin zum Offshoring zu erkennen. So sank der Anteil der in Deutschland tätigen Siemens-Mitarbeiter von 41 Prozent im Jahr 2001 auf 31 Prozent im Jahr 2018. Gleichzeitig schuf Siemens in Osteuropa und Asien neue Beschäftigung.

SAP hatte Ende 2020 weltweit rund 102.430 Mitarbeiter, davon etwa 29.580 Mitarbeiter in der Forschung und Software-Entwicklung. SAP ist weltweit durch etwa 120 Tochtergesellschaften präsent. Das Unternehmen betreibt neben dem Entwicklungszentrum am Unternehmenssitz in Walldorf noch weitere Entwicklungsstandorte in 12 Ländern, beispielsweise in den USA, Frankreich, Indien, der Volksrepublik China.

Der DAX-Neuling Delivery Hero hatte sein Deutschlandgeschäft vor zwei Jahren ganz an Takeaway verkauft. Aktuell wird versucht auf dem Berliner Markt als Foodpanda wieder Fuß zu fassen. Das deutsche Geschäft ist für den Berliner Konzern ein Mikroorganismus.

Ähnliche Verhältnisse herrschen den ganzen DAX hoch und runter. Das ist der Grund, daß sich von den Vorständen niemand mehr über Brüssel und Berlin beschwert. Die denken vermutlich: „Rutscht uns doch den Buckel runter, wenn es zu bunt wird, hauen wir ab (sächsisch: machen wir weg)“. Die Deutschland AG hatte eigentlich schon im alten Jahrtausend ausgedient. Solange von Bonn aus einigermaßen rational gedacht und gehandelt wurde, hatte Deutschland als Standort mit seiner Rechtssicherheit und Solidität für Firmen seinen Reiz. Nach dem Umzug ins traditionell windige und halbseidene Berlin hat sich die Sache gedreht: Andere Staaten haben dank Technologieoffenheit, marktwirtschaftlichen Restbeständen, Realismus und Pragmatismus gegenüber unserer Heimat aufgeholt.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Während die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstand aus und gewinnen die Welt.“ (Geh. Rath v. Goethe)